Allein vor einer Riesenkolonie Pinguine zu stehen, sei schon unglaublich. So umschreibt aktuell Oberschwabenklinik-Ärztin Julia Gutting ihre Arbeit in der Antarktis. Die Anästhesistin aus Ravensburg ist der OSK zufolge seit vergangenen November Leiterin der Forschungsstation Neumayer-III, die vom Alfred-Wegener-Institut in Bremerhaven betrieben wird. Damit Gutting dort arbeiten kann, hatte sie der Oberschwabenklinik-Verbund zwei Jahre von ihrer Arbeit an der Klinik in Ravensburg freigestellt.
Leiterin der Neumayer-III-Station ist "Mädchen für alles"
In der Forschungsstation ist die 45-Jährige praktisch "Mädchen für alles". Als Stationsleiterin koordiniert sie alle Aufgaben der momentan acht Forschenden an ihrer Seite. Sie hat den Überblick über deren Arbeit, etwa meteorologische Messungen und die Erfassung klimarelevanter Gase mit Hilfe von Ballonen in 500 Metern Höhe. Gutting ist noch dazu Hygienechefin, kontrolliert den Zustand der Landebahn nahe der Station und die Beflaggung der Wege, die das Team mit seinen Motorschlitten nutzt.

Zudem verantwortet sie medizinische Studien, etwa wie die Isolation in der Antarktis auf das Immunsystem wirkt oder sich bei der dauerweißen Umgebung das 3D-Sehvermögen des Teams ändert. Die Veränderungen durch die Isolation könnten frappierend sein, sagt Gutting. Frühere Studien hätten ergeben, dass etwa der Hippokampus, der im Gehirn für das Gedächtnis zuständig ist, in der Eiswüste um zehn Prozent schrumpft. Nach dem Polarwinter erhole er sich allerdings wieder.
Polarwinter in der Antarktis verschärft Isolation
Und der Polarwinter hat gerade begonnen, berichtet Gutting. Während des Polarwinters sei man noch mehr von der Außenwelt isoliert als zuvor. Kein Flugzeug, kein Schiff kann die 45-Jährige mehr erreichen, denn die Neumayer-III-Station ist nun acht Monate lang vom Rest der Welt abgeschnitten. Es gebe Temperaturen von bis zu minus 49 Grad und tagelange Schneestürme, die mit bis zu 200 Kilometer pro Stunde über die Eiswüste fegen und drei Meter hohe Schneeberge aufwerfen. Zudem sei es zwei Monate stockdunkel, nur die Polarlichter erhellten die Polarnacht ein wenig, so die Leiterin der Station am Südpol.

Gutting ist nicht nur Stationsleiterin, sondern auch Stationsärztin
Die Leitung der Station ist übrigens nicht die einzige Aufgabe der Anästhesistin. Als Ärztin ist sie auch für alle medizinischen Probleme ihres Teams zuständig – in allen medizinischen Bereichen. Dafür habe sie im Vorfeld wochenlange Fortbildungen gemacht, auch in einer Zahnarztpraxis. Sie könne theoretisch Blinddärme und Leistenbrüche im stationseigenen OP-Saal ebenso operieren wie eine Wurzelbehandlung an Zähnen durchführen. Falls nötig, gebe es online Hilfe aus Deutschland. Im Normalfall habe sie es aber eher mit Erkältungen oder Ohrenschmerzen zu tun.
Einmal auf Expedition zu gehen, das hat die gebürtige Freiburgerin schon immer fasziniert. Nach 13 Jahren am Elisabethenklinikum in Ravensburg hat sich das nun ergeben. Gleich beim ersten Versuch, sich für die Stelle in der Antarktis zu bewerben, wurde sie ausgewählt und konnte sich dank der Freistellung durch die OSK auf den Weg machen.
Rund um die Station sind Robben und Pinguine
Neben den Herausforderungen als Leiterin der Station hätten sie vor allem die Erlebnisse außerhalb des Stationsgebäudes in die Antarktis gelockt. Fernab von jeder Zivilisation zu arbeiten, könne überwältigend sein. Vor allem dann, wenn man Leben spüre in der Antarktis, wenn hinter einer Bucht plötzlich dösende Weddelrobben auftauchten oder eine Kolonie von 30.000 quicklebendigen Kaiserpinguinen, erzählt die 45-Jährige.

Manchmal sammelt Julia Gutting auch verlassene, erfrorene Eier auf, die Pinguinen von den Füßen gekullert sind. Man messe dann die Dichte der Schalen und damit den Einfluss der Klimaerwärmung auf die Tiere. Das sei eigentlich eine eher traurige Aufgabe. Aber irgendwann sei ein Pinguin so hocherfreut auf sie zugewankt, dass sie habe zurückweichen müssen.
Alleine vor einer Riesenkolonie Pinguine zu sein, alleine am Meer vor einem Eisberg zu stehen, das ist schon unglaublich.
"Für uns sind 30 Meter Sicherheitsabstand vorgeschrieben", erzählt Gutting, "aber die Pinguine wissen das nicht und nicht alle halten sich daran. Sie haben noch nie einen Menschen getroffen, manche haben offenbar Vertrauen zu uns." Und genau das seien die Erlebnisse, für die sie in die Antarktis gekommen sei.