Generationswechsel von Strobl zu Hagel

CDU BW legt ihr Schicksal in die Hände eines 35-Jährigen

Stand
Autor/in
Henning Otte
SWR-Reporter und -Redakteur Henning Otte, SWR Landespolitik

Der Wind hat sich gedreht. Den Grünen scheint der Zeitgeist abhandengekommen zu sein. Und ihr Erfolgsgarant ist auch bald weg. Die CDU BW schöpft Hoffnung und setzt auf den Nachwuchs.

Wer ist Manuel Hagel? In der Politik ist der 35-jährige CDU-Politiker längst kein unbeschriebenes Blatt mehr, aber die meisten Menschen in Baden-Württemberg kennen ihn eher nicht. Sogar in seiner Heimatstadt Ehingen im Alb-Donau-Kreis ist der Hoffnungsträger der CDU nicht allen ein Begriff.

Kostproben einer Straßenumfrage des SWR in Ehingen: Eine Frau sagt auf die Frage, ob sie weiß, wer Hagel ist: "Ein Präsident. Ich kenn' ihn vom Sehen von einem Bekannten, mehr weiß ich leider nicht." Ein junger Mann schüttelt den Kopf: "Nee, kenn' ich nicht. Wer soll denn das sein? Sagt mir gar nichts, tut mir leid." Ein älterer Herr ist da schon besser informiert: "Das ist ein Abgeordneter vom Landtag in Stuttgart, von der CDU." Eine Frau kennt zumindest die Familie: "Der ist von Ehingen und ist CDU irgendwas. Ist von einer Bekannten der Sohn." Dieser Mann scheint Hoffnungen in ihn zu setzen: "Manuel Hagel ist Landtagsabgeordneter von Baden-Württemberg und hat beste Möglichkeiten, Höheres zu werden."

Ziel: Regierungschef spätestens ab 2026

Wenigstens letzteres wird der Chef der CDU-Landtagsfraktion, der an diesem Samstag beim Landesparteitag in Reutlingen auch noch Parteivorsitzender werden will, gerne hören. Der Anspruch des politischen Durchstarters und designierten Nachfolgers des langjährigen Parteichefs Thomas Strobl ist klar: Die CDU soll nach einer längeren Durststrecke spätestens 2026 wieder den Regierungschef stellen. Und wenn nicht alles täuscht, soll dieser neue Regierungschef Manuel Hagel heißen.

Doch der Weg dahin ist noch weit. Vor allem muss sich Hagel - siehe oben - deutlich bekannter machen. Noch hat er Ministerpräsident Winfried Kretschmann von den Grünen vor der Nase. Doch der 75-jährige Erfolgsgarant der Ökopartei will bei der nächsten Landtagswahl nicht mehr antreten - nach dann 15 Jahren an der Macht. Das könnte die große Chance sein für die CDU zur Rückeroberung ihrer einstigen Hochburg.  

Wind hat sich zugunsten der CDU gedreht

Der Moment für Hagels Machtübernahme in seiner Partei scheint günstig. Der politische Wind hat sich seit der Landtagswahl 2021 gedreht. Zur Halbzeit der grün-schwarzen Koalition sah eine SWR-Umfrage die CDU BW bei 29 Prozent, die Grünen nur noch bei 22 Prozent. Der große Koalitionspartner hat den Generationswechsel noch vor sich.

Wer in Kretschmanns Fußstapfen treten soll, ist noch unklar. Als Favorit gilt Cem Özdemir (57), der Bundeslandwirtschaftsminister. Doch ob der springt? Jedenfalls profitiert die Union derzeit von der politischen Großwetterlage, die von Krieg, Inflation und Migration geprägt ist. Und: von viel Verdruss über die Ampel-Koalition in Berlin. Hieran haben die Grünen im Bund einen nicht unerheblichen Anteil. Mit dem verunglückten Heizungsgesetz hat Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck viel Vertrauen verspielt.

Zwar sind die Grünen im Bund recht stabil bei 15 Prozent, aber die Rauswürfe aus den Regierungen in Berlin und zuletzt in Hessen wiegen schwer. Selbst Kretschmann räumte neulich in einem Interview ein: "Ich glaube, dass wir den Leuten zurzeit offensichtlich auf die Nerven gehen." Und weiter: "Die Leute haben das Gefühl, wir sagen ihnen, wie sie heizen sollen, wie sie sich fortbewegen sollen, wie sie essen sollen, und wir sagen ihnen zum Schluss sogar, wie sie reden dürfen und wie nicht." Klingt fast so, als würde ein CDU-Mann im Wahlkampf über die Grünen reden.

Spricht der Ehinger Hagel nur den ländlichen Raum an? 

Aber ist Manuel Hagel, ehemaliger Filialleiter der Sparkasse Ehingen, der Richtige, um seiner Partei zu altem Glanz zu verhelfen und die Grünen abzulösen? Der 35-jährige Bank-Betriebswirt gilt intern als Kontrollfreak, extrem fleißig und sehr gut vernetzt. Parteifreunde würde es nicht wundern, wenn er den Großteil der über 300 Delegierten beim Parteitag schon abtelefoniert hätte.

Also, kann der das? Professor Frank Brettschneider von der Universität Stuttgart-Hohenheim sagt: "Manuel Hagel ist schon eher Kandidat des ländlichen Raums. Ein Problem ist das für die CDU allerdings nicht, weil es eher interpretiert werden kann als heimatverbunden, als nah an den Bürgerinnen und Bürgern dran und nicht als abgehoben, nicht als jemand, der sehr intellektuell ein städtisches Milieu anspricht." Wenn Hagel wie einst Lothar Späth für Modernisierung und technischen Fortschritt stehe, könne das eine "erfolgreiche Mischung" sein.

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Hagel will in CDU alte Gräben zuschütten

Dass "Manu", wie ihn Parteifreunde auch nennen, zu jung für die Aufgabe sein könnte, glaubt der Kommunikationswissenschaftler nicht. "Es geht eher um Erfahrungen als um das Alter. Und was die Erfahrung betrifft: In der Landespolitik kann er ja schon ganz schön viel vorweisen." Von 2016 bis 2021 war Hagel Generalsekretär, seitdem Fraktionschef. Seine größte Leistung ist es wohl, in der CDU Brücken zu bauen und die Reihen hinter sich zu schließen. Unter seiner Führung wirkt die Landtagsfraktion nicht mehr wie ein zerstrittener Haufen.

Auch in der Partei tut er alles, um alte Gräben zuzuschütten. Schon mehrfach hat er die früheren CDU-Ministerpräsidenten Erwin Teufel (84), Günther Oettinger (70) und Stefan Mappus (57) zusammengebracht. Hagels Credo: Nur wenn sich die Partei einig zeigt, hat sie die Chance auf einen Wahlsieg. Seit Oettinger 2005 im Unfrieden die Nachfolge von Teufel angetreten hat, geht ein Riss durch die baden-württembergische CDU.

Hagel will mit den alten Geschichten nichts zu tun haben und ein neues, versöhnliches Kapitel aufschlagen. Das Ablösungsmanöver gegen Strobl hat der Fraktionschef geräuschlos hinbekommen. Auch wenn im Umfeld von Strobl hinter vorgehaltener Hand von "Mobbing" die Rede war. Und da der Bundespolitiker Thorsten Frei seine Zukunft eher in Berlin an der Seite von Parteichef Friedrich Merz sieht, war der Weg frei für Hagel zum Landesvorsitz. 

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Grüne Strategen sehen Risiken für Hagel

Beim Koalitionspartner gilt der Fraktionschef in Absprachen als verlässlich. Doch grüne Strategen halten ihn auch für "machtbesessen" und "beliebig". Die frühe Kür zum Zugpferd der CDU habe auch Risiken. Zweieinhalb Jahre seien eine lange Zeit, in der man auch schwere Fehler begehen könne. Vor allem, weil mit dem Vorlauf zur Europa- und Kommunalwahl im Frühsommer 2024 eine Art Dauerwahlkampf beginne.

Es sei schon jetzt sichtbar, dass Hagel vielen vieles verspreche. Zwar halte die CDU verbal die Haushaltsdisziplin hoch, doch es häuften sich die Wünsche: Hagel wolle die gesenkte Mehrwertsteuer in der Gastronomie beibehalten, kostenlose Kitas, mehr Geld für Sprachförderung, parallele Züge des G8- und G9-Gymnasiums und nicht zuletzt ein 100-Millionen-Euro-Topf für die Transformation der Unternehmen. Die Hoffnung der Grünen: Die Menschen würden schon noch merken, dass hier jemand nur viel ins Schaufenster stelle.

Zwischen roter Wurst und Vegi-Burger

Ab dem Landesparteitag in Reutlingen am Samstag gilt es dann für Hagel. Dann steht er für die CDU im Schaufenster. Die SPD-Opposition hält den Ehinger für im Grunde erzkonservativ, eine Haltung, die er schon ganz früh in der Jungen Union kultiviert habe. Tatsächlich mischt er sich auch immer wieder in identitätspolitische Fragen ein, ist gegen das Gendern und für das Festhalten am Winnetou-Spielen. Doch Hagel weiß, dass er möglichst viele ansprechen muss und darum sagt er auch: Jeder solle essen dürfen, was er wolle, egal ob rote Wurst oder Vegi-Burger.

Überhaupt hat Hagel seinen Kommunikationsstil stark verändert. Als junger Generalsekretär meinte er noch 2019, die "politische Schonzeit" für Kretschmann sei vorbei, das sage er "auch als Jäger". Heute lobt er den bald abtretenden Regierungschef in den höchsten Tönen. Kretschmann sei ein "toller Ministerpräsident", den er sehr möge. Gleichwohl verstärkt er seine Kontakte zu FDP und SPD und geht so auf Distanz zu dem langjährigen grünen Partner.

Hagels Erfolg hängt auch von Merz‘ Performance ab

Als Fraktionschef, Parteivorsitzender und möglicher Spitzenkandidat steht der junge Mann vor einer großen Aufgabe. Und seine Partei legt ihr Schicksal komplett in seine Hände. Allerdings hängt auch sein Erfolg maßgeblich von der Performance der Union auf Bundesebene ab. Anders als die Mehrheit der Landespartei war Hagel nie ein Fan von Friedrich Merz (68). Er wollte damals lieber Jens Spahn als Parteichef sehen.

Doch jetzt müssen sie sich zusammenraufen. Merz kommt auch nach Reutlingen und will nach Hagels Wahl reden. Nach dem Erfolg der Hessen-CDU scheint Merz stabilisiert, auch wenn er immer wieder mit Sprüchen und steilen Thesen zur Migrationspolitik provoziert und sich auch Parteifreunde die Haare raufen. Das Abschneiden bei der Europa- und Kommunalwahl sowie bei den Wahlen in den ostdeutschen Bundesländern im kommenden Jahr - bei denen die AfD vorne mitmischt - dürfte für die CDU von zentraler Bedeutung werden.

Die Baustellen des neuen CDU-Landesvorsitzenden    

Die baden-württembergische CDU ist nach der in NRW immerhin der zweitgrößte Landesverband. Aber auch sie hat mit Mitgliederschwund zu kämpfen. Aktuell hat sie 53.000 Mitglieder, Ende 2022 waren es noch 53.900. Zu Zeiten von Lothar Späth und Helmut Kohl hatte die CDU BW im Jahr 1984 mit über 96.000 ihren Spitzenwert. Heutzutage liegt das Durchschnittsalter bei 62 Jahren, der Frauenanteil bei 24,3 Prozent. Alles Baustellen für den neuen Parteivorsitzenden, die Strobl schon versucht hatte anzugehen. Weniger Mitglieder bedeutet eben auch weniger Geld, hier muss Hagel ran. Eine Reform, mit der die Beiträge innerhalb von zehn Jahren verdoppelt werden sollten, wurde nach Protesten aus den Kreis- und Bezirksverbänden kurz vor dem Parteitag erst mal auf Eis gelegt.

Allerdings ist die CDU BW der Konkurrenz noch immer weit voraus. Sie hat dreimal so viele Mitglieder wie die Grünen im Land. Diese hatten vor der Bundestagswahl 2021 recht viele Mitglieder hinzugewonnen, doch seither liegt die Zahl stabil bei 16.600. Der Altersschnitt liegt nach jüngsten Zahlen bei 48,4 Jahren und der Frauenanteil bei 41,4 Prozent. Die SPD verliert auch kontinuierlich und hat noch knapp 31.000 Mitglieder. Das Alter liegt im Schnitt bei 61, aber der Frauenanteil ist mit 34 Prozent deutlich höher als bei der CDU.

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