Ryyan Alshebl (links), Geflüchteter aus Syrien und Grünen-Bürgermeister von Ostelsheim (Kreis Calw), spricht im SWR-Videopodcast "Zur Sache Intensiv" mit den SWR-Journalisten Henning Otte und Alexandra Gondorf.

SWR-Videopodcast "Zur Sache intensiv"

Bürgermeister mit syrischen Wurzeln fordert: Sozialleistungen für Migranten auf drei Jahre befristen

Stand
Autor/in
Henning Otte
SWR-Reporter und -Redakteur Henning Otte, SWR Landespolitik

Ryyan Alshebl floh 2015 aus Syrien nach Deutschland. Seit einem Jahr ist er Bürgermeister im Nordschwarzwald. Und dringt auf eine schärfere Asylpolitik - wie passt das zusammen?

Deutschland sollte als Aufnahmeland dringend die finanziellen Anreize für Migranten eindämmen, um die Zugangszahlen zu senken und die Akzeptanz in der Bevölkerung für Einwanderer wieder zu erhöhen. Diese Forderung kommt von Ryyan Alshebl - der junge Mann ist 2015 vor dem Bürgerkrieg in Syrien geflüchtet und wurde vor gut einem Jahr zum Bürgermeister in der Gemeinde Ostelsheim im Kreis Calw gewählt. Der 30-Jährige ist Mitglied der Grünen und versteht sich als Realpolitiker. Im SWR-Videopodcast "Zur Sache intensiv" erklärt Alshebl, warum er sich aktuell Sorgen um Deutschland macht und von einer späteren Rückkehr nach Syrien träumt.

Syrischer Bürgermeister über Boots-Flucht und Asyl-Forderungen | Zur Sache! intensiv

Befristung von staatlicher Hilfe wäre "fairer Deal"

Der junge Bürgermeister fordert konkret, Sozialleistungen für Migranten zu befristen, damit diese sich schneller um eine Arbeit bemühen. "Einfach würde es gehen, wenn man sagt: Die Hilfsleistungen - von mir aus gerne auch das Bürgergeld - werden zeitlich befristet. Irgendwann wird erwartet von denjenigen, die arbeitsfähig sind, dass sie arbeiten. Das ist ein fairer Deal." Auf die Frage, wie lange Sozialleistungen gezahlt werden sollten, sagte er: "Maximal drei Jahre." Während Asylbewerber geringere Leistungen erhalten, bekommen Ukrainerinnen und Ukrainer nach kurzer Zeit Bürgergeld in Deutschland.  

Integration in Arbeitsmarkt funktioniert nur schleppend

Das Hilfssystem sei ein Problem, sagte Alshebl. "Es gibt Leute, die zehn Jahre vom System profitieren - ohne Gegenleistung." Deshalb brauche man sich nicht wundern, wenn die Integration in den Arbeitsmarkt schleppend laufe. In Ländern ohne solche Sozialleistungen wie den USA funktioniere das wesentlich besser. Eine solche radikale Lösung komme für ihn aber auch nicht infrage. "Wir müssen Hilfe bieten für diejenigen, die herkommen, also ein Starterpaket." Innerhalb von drei Jahren könne man die Sprache lernen und das Land richtig kennenlernen. "Und dann irgendwann wird man verpflichtet, jetzt musst du auch selbst arbeiten."

Alshebl zeigte Verständnis dafür, dass sich Einheimische in Deutschland darüber aufregen, dass Einwanderer über Sozialleistungen teilweise mehr Geld haben als Menschen, die arbeiten. "Die Menschen nehmen es den Flüchtlingen übel." Aber das eigentliche Problem sei das Hilfssystem und der unattraktive Niedriglohnsektor.

Aus Sorge vor Aufstieg der AfD: Zuwanderung begrenzen

Der Bürgermeister von Ostelsheim hält eine Begrenzung der Zuwanderung für geboten, um auch der AfD das Wasser abzugraben. "Bei allem Verständnis für die Menschen, die noch kommen wollen und für deren Angehörige, die auf sie warten: Wir dürfen den Bogen nicht überspannen, weil irgendwann, und das ist ein Worst-Case-Szenario, was aber nicht ganz unrealistisch oder unvorstellbar ist, werden die Populisten die Macht erobern. Und dann werden gar keine Flüchtlinge mehr reindürfen - weder legal noch illegal."

Alshebl verwies auf die Lage in Schweden. Die dortige neue Regierung habe selbst eingebürgerten Geflüchteten bis zu 30.000 Euro Abfindung geboten, wenn sie die schwedische Staatsangehörigkeit wieder ablegen. "In so einem Land will ich nicht leben."

Alshebl warnt vor Stigmatisierung von Ausländern

Zu der Diskussion um eine Verschärfung der Asylgesetze sagte Alshebl: "Das ist eine Debatte, die mich sehr betrübt und sehr schmerzt, weil wir als Gesellschaft nicht mehr differenzieren können." Auf der einen Seite sei das Thema Migration "mit all den Chancen, Herausforderungen und von mir aus auch Problemen, die damit einhergehen. Und das Thema Kriminalität, die von bestimmten Gruppen, meistens Migranten, die auch jung und männlich sind, ausgeht." Die Lösung sei aber nicht, die Migrationszahlen zu senken, um so weniger Kriminalität zu haben. "Das stigmatisiert alle Migranten, die hier leben und das ist das Problem. Und das ist die Gefahr, in die wir in im rasenden Tempo hineingehen."

Heftige Kritik an Merz: Syrer fühlen sich nicht mehr willkommen

Der Grünen-Politiker attackierte insbesondere CDU-Chef Friedrich Merz, der nach den islamistischen Anschlägen von Mannheim und Solingen gefordert hatte, keine Syrer und Afghanen mehr ins Land zu lassen. Merz unterscheide nicht mehr zwischen einzelnen Attentätern und Millionen von friedlichen Menschen. Das sei schlimmer, als wenn so etwas von Rechtspopulisten komme. "Von einem Herrn Merz ist es viel heftiger, weil man ihn natürlich auch in der politischen Mitte einordnet und sagt: Okay, wenn der Diskurs in der politischen Mitte mittlerweile so aussieht, dann haben wir selbst in der Mitte der Gesellschaft nicht nur keine Willkommenskultur mehr, sondern nicht mehr die Fähigkeit, mit diesen Leuten umzugehen, also mit diesen Geflüchteten."

Alshebl sieht Muster bei Anschlägen und fordert Konsequenzen

Vor Kurzem hatte Alshebl zusammen mit Tübingens OB Boris Palmer (parteilos) und dem Rathauschef von Schwäbisch Gmünd, Richard Arnold (CDU), einen Artikel in der "ZEIT" veröffentlicht und geschrieben, viele der Attentate hätten verhindert werden können. Es gebe ein Muster, das sich immer wieder wiederholt, sagte Alshebl in dem Videopodcast. Es gehe um "Leute, die mehrmals strafrechtlich auffällig geworden sind und trotzdem auf freiem Fuß rumlaufen dürfen". Das könnten die Menschen hier nicht verstehen - zurecht. "Warum sind wir nicht in der Lage, diese Leute proaktiv aus dem Verkehr zu ziehen?"

Warnung vor Abwanderung integrierter Fachkräfte aus Deutschland

Alshebl sieht die große Gefahr, dass Deutschland fremdenfeindlicher wird. Wegen der Verallgemeinerung nach den Anschlägen fühlten sich viele Syrer hier nicht mehr willkommen - darunter auch Ärzte, Apotheker oder Ingenieure. "Du kommst aus Syrien, dann bist du erstmal verdächtig." Das hinterlasse tiefe Spuren. "Diese Leute sind in der Lage - das ist die schlechte Nachricht - zu gehen. Ich kann auch auswandern. Wir suchen uns andere Länder aus, in denen wir besser aufgehoben sind." Ende 2023 lebten fast eine Million Syrerinnen und Syrer in Deutschland. Bei Alshebl selbst bestehe die Gefahr zunächst nicht, er sei erst vor einem Jahr für eine Amtszeit von acht Jahren zum Bürgermeister gewählt worden. Aber es bestehe schon die Gefahr, "dass irgendwann möglicherweise jemand wie ich auch sagt: Ich will auch weg."

Gespräch Ryyan Alshebls Weg ins Rathaus - Ein Geflüchteter wird Bürgermeister

Vor acht Jahren ist Ryyan Alshebl in einem Schlauchboot übers Mittelmeer geflohen. Nun wird der 29jährige der erste Bürgermeister in Ba-Wü mit syrischen Wurzeln. Er hat eindeutig die Tatkraft, etwas zu bewegen.

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Alshebl träumt von Rückkehr nach Syrien: Beim Wiederaufbau helfen

Auf die Frage, ob er selbst sich hier noch willkommen fühle, sagte Alshebl: "Als Syrer nein, als Ryyan Alshebl ja." Das liege auch an seinem Umfeld als Bürgermeister von Ostelsheim und seiner Mitgliedschaft bei den Grünen. Er habe aber einen großen Traum: "Irgendwann habe ich - glaube ich - doch den Bedarf, irgendwann später in der Zukunft nach Syrien zurückzugehen, um die Pension dort zu genießen." Angesichts der verfahrenen Lage in seinem Heimatland könne man das nicht planen. Er denke dabei an ein Syrien, "das gerade nicht existiert, sondern genau das Gegenteil. Die Hoffnung stirbt zuletzt." Er träume davon, "dieses Land irgendwie mit wieder aufzubauen und den Rest meines Lebens dann dort zu verbringen". Ob der Traum wahr werde, "das ist die Frage".

Der schier endlose Krieg in Syrien

Seit 2011 herrscht in Syrien Krieg, in dem bisher über eine halbe Million Menschen getötet wurden. Über zwölf Millionen Menschen, etwa die Hälfte der Bevölkerung, sind geflüchtet. Machtpolitisch ist das Land ein kompliziertes Gebilde: Den Großteil des Landes kontrolliert Machthaber Baschar al Assad, den Nordosten des Landes verwalten die Kurden. Einige nördliche Landesteile hat die Türkei völkerrechtswidrig unter ihre Kontrolle gebracht, in der Provinz Idlib herrschen islamistische Rebellen und in der syrischen Wüste gibt es bis heute kleinere Gebiete, in denen sich die islamistische Terrormiliz IS hält.

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