Grünen-Veranstaltung wurde abgesagt

Eskalierte Bauernproteste in Biberach: Sicherheitsbehörden weisen Vorwurf zurück

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Patrick Seibert
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Christian Spöcker
Christian Spöcker, SWR

Die Grünen mussten ihr geplantes Treffen in Biberach absagen. Das führte zu der Kritik, die Polizei sei nicht genug vorbereitet gewesen. Das stimme nicht, so das Innenministerium.

Der Politische Aschermittwoch der Grünen wurde wegen Protesten am Veranstaltungsort kurzfristig von der Partei abgesagt. Was über die Ereignisse in Biberach bisher bekannt ist:

Was ist am Aschermittwoch in Biberach passiert?

Die Grünen wollten am Mittwoch ihre traditionelle Veranstaltung zum Politischen Aschermittwoch in Biberach abhalten. Dort sollten unter anderem Bundeslandwirtschaftsminister Cem Özdemir, Baden-Württembergs Ministerpräsident Winfried Kretschmann, die Grünen-Bundesvorsitzende Ricarda Lang sowie der ehemalige Umweltminister Jürgen Trittin Reden halten.

Massive Proteste haben in Biberach jedoch für Chaos gesorgt, der Politische Aschermittwoch der Grünen wurde daher kurzfristig abgesagt. Landwirte hatten ab dem frühen Morgen mit ihren Traktoren Straßen blockiert. Biberachs Oberbürgermeister Norbert Zeidler (parteilos) berichtete, dass die Hupkonzerte der Demonstranten, darunter auch viele Bauern, um 3:30 Uhr begonnen hätten.

So berichtete SWR Aktuell am Mittwoch (14.2.) im TV über die Proteste in Biberach:

Biberach: Zufahrtsweg zur Stadthalle blockiert

Am Vormittag fand eine angemeldete Kundgebung von Landwirten auf dem Biberacher Gigelberg statt. Dort sprach Bundeslandwirtschaftsminister Cem Özdemir (Grüne) zu den Bäuerinnen und Bauern. Özdemir nannte die Kundgebung später "fair und anständig".

Vor der Biberacher Stadthalle - in der die Grünen ihren Politischen Aschermittwoch abhalten wollten - eskalierte die Situation. Die Polizei teilte mit, an der nicht angemeldeten Protestaktion vor der Biberacher Stadthalle seien zeitweise bis zu 1.000 Menschen beteiligt gewesen. Die Beamten seien unter anderem mit Gegenständen beworfen worden und hätten deswegen Pfefferspray gegen die Protestierenden eingesetzt. Bei den Protesten seien drei Polizisten leicht verletzt worden, über verletzte Demonstranten sei nichts bekannt. Im Zuge der Proteste seien mehrere Menschen vorläufig festgenommen, später aber alle wieder auf freien Fuß gesetzt worden, teilte die Polizei mit.

Auf den Zufahrtsstraßen zur Stadthalle standen Dutzende Traktoren, Wege waren mit Pflastersteinen und Sandsäcken blockiert. Vor der Halle wurde ein großer Misthaufen abgeladen. Außerdem warf ein Unbekannter "mit einem Zollstock die Scheibe an einem der Begleitfahrzeuge" Özdemirs ein, teilte die Polizei am Donnerstag mit.

Biberach

Mehrere Polizisten verletzt Chaos durch Bauernproteste: Grüne sagen Politischen Aschermittwoch in Biberach ab

Massive Proteste unter anderem von Landwirten haben in Biberach für Chaos gesorgt. Der Politische Aschermittwoch der Grünen wurde daher kurzfristig von der Partei abgesagt.

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Hat die Polizei den Einsatz unterschätzt?

Grünen-Politiker Jürgen Trittin kritisierte am Mittwoch, dass "sie (die Polizei) nicht in der Lage war, eine Veranstaltung des eigenen Ministerpräsidenten so abzusichern, dass sie durchgeführt werden kann". Das baden-württembergische Innenministerium teilte am Freitag auf SWR-Anfrage mit, die Gewaltbereitschaft sei so nicht vorhersehbar gewesen. Am Vormittag seien 90 Beamte im Einsatz gewesen. Wegen der Gewalt in Biberach habe man sie auf rund 200 Einsatzkräfte aufgestockt.

Ralf Kusterer, der Landesvorsitzende der Deutschen Polizeigewerkschaft (DPolG), nahm seine Kolleginnen und Kollegen in Schutz: Sie hätten gut gehandelt. Schon in der Nacht habe man die Lage beobachtet und nach ersten Hinweisen personell aufgestockt, sagte der Gewerkschaftschef.

Außerdem hätten die Grünen durch ihre Politik selbst dazu beigetragen, dass die Polizei im Land nicht mehr so einsatzbereit sei wie früher: "Es gehört schon auch zur Wahrheit des Tages, dass es die Grünen waren, die beschlossen hatten, die Bereitschaftspolizei in Biberach aufzulösen", so Kusterer in einer Mitteilung.

Vor dem Beschluss der Grünen hätte man in direkter Umgebung mehrere Hundertschaften gehabt.

Ralf Kusterer, der Vorsitzende der Deutschen Polizeigewerkschaft Baden-Württemberg
Ralf Kusterer, der Vorsitzende der Deutschen Polizeigewerkschaft Baden-Württemberg

Kusterer warf den Grünen vor, als Teil der grün-roten Landesregierung zwischen 2011 und 2016 der Auffassung gewesen zu sein, "dass man im gesamten Regierungsbezirk Tübingen, von Reutlingen bis Friedrichshafen, keine Bereitschaftspolizei benötigt". Deshalb müsse man heute längere Fahrtzeiten der Polizei zu Einsatzorten einkalkulieren. "Unter einer Stunde ist man kaum vor Ort", so der Polizei-Gewerkschaftschef.

Die Polizei teilte am Donnerstagabend mit, man habe sich mit rund 90 Einsatzkräften vorbereitet. Aufgrund der "dynamischen und gewalttätigen Lageentwicklung" sowie wegen Angriffen auf Polizeibeamte seien unverzüglich weitere Einsatzkräfte beim Polizeipräsidium angefordert worden, hieß es. In der Spitze seien bis zu 200 Polizistinnen und Polizisten im Einsatz gewesen.

Waren bei den Protesten auch Rechtsextremisten?

Wer den Protest organisiert hatte und ob Extremisten unter den Teilnehmern waren, blieb zunächst unklar. Zu den Protesten gehörten laut dem Vorstand des Kreisbauernverbands Biberach-Sigmaringen, Karl Endriß, verschiedene Gruppierungen. Unter den Demonstrierenden seien hauptsächlich Bauern, aber auch Fuhrunternehmer gewesen.

Bereits zwei Tage vor den Veranstaltungen in Schorndorf und Biberach hatten außerdem verschiedene Telegram-Kanäle aus der "Querdenker"-Szene aufgerufen, sich vor Ort zu versammeln. Nach Angaben des Verfassungsschutzes vom Freitag gab es im Vorfeld der Grünen-Veranstaltung einzelne Mobilisierungsaufrufe aus dem extremistischen Bereich. Zu konkreten Absichten von Extremisten, nach Biberach zu kommen, habe es keine Erkenntnisse gegeben. 

Innenminister Strobl sieht einen Zusammenhang zwischen Querdenkern, der AfD und den Tumulten in Biberach: "Hier zeigt sich, wie die Saat von Hass und Hetze aufgeht, die Extremisten wie Reichsbürger und Querdenker oder Parteien wie die AfD verbreiten", teilte der CDU-Politiker am Freitag mit.

SWR-Terrorismusexperte Holger Schmidt erklärt: "Wir kennen das aus einer ganzen Reihe von anderen Ereignissen, unterschiedlichen Demonstrationen und Veranstaltungen, dass dort Extremisten unterwegs sind, die gute und berechtigte Anliegen zu kapern versuchen". Doch ob das in Schorndorf (Rems-Murr-Kreis) oder in Biberach so gewesen ist, könne man noch nicht eindeutig beurteilen. "In Biberach scheint es mir ein bisschen eindeutiger zu sein, dass da Extremisten unterwegs waren, als in Schorndorf", so Schmidt.

Wie geht es jetzt weiter?

Innenminister Strobl teilte am Freitag mit: "Bislang sind gegen mehrere Personen Ermittlungsverfahren wegen des Verdachts des mehrfachen tätlichen Angriffs auf Vollstreckungsbeamte, mehrfacher Sachbeschädigung sowie Verstößen gegen das Sprengstoffgesetz und anderes mehr eingeleitet". Konkretere Angaben zur Zahl der Ermittlungsverfahren machte ein Sprecher am Freitag nicht. Es gebe so viele Verstöße wegen des Verdachts der gefährlichen Eingriffe in den Straßenverkehr, wegen Nötigung und anderer Straftatbestände, dass sie sich noch nicht konkret beziffern ließen. Das zeige verdeutliche das Ausmaß der gewaltbereiten Aktion.

Das Polizeipräsidium Ulm hat den Angaben nach eine Ermittlungsgruppe "Riß" mit 20 Personen unter Leitung des Staatsschutzes eingerichtet. Im Hinweisportal der Polizei Baden-Württemberg könnten Nutzer unter dem Ereignis "Politischer Aschermittwoch Biberach" Hinweise geben und auch Videos der Vorfälle hochladen. 

Welche politischen Folgen haben die Biberacher Ereignisse?

Über den eskalierten Protest beim Politischen Aschermittwoch der Grünen und die Folgen soll im baden-württembergischen Landtag diskutiert werden. Die SPD im Landtag fordert, dass Baden-Württembergs Innenminister Thomas Strobl (CDU) Konsequenzen zieht. "Er muss zudem ein Sicherheitskonzept vorlegen, wie er insbesondere im Hinblick auf die Wahlen Parteiveranstaltungen sicherstellen kann", sagte der innenpolitische Sprecher der Fraktion, Sascha Binder.

Strobl will dem Innenausschuss des Landtags nächste Woche Rede und Antwort stehen. In den ARD-"Tagesthemen" am Donnerstagabend sagte der Innenminister, er denke zwar nicht, dass jedes Mal eine Hundertschaft der Polizei vor Ort sein müsse, sondern die Polizei jeweils lage- und situationsabhängig entscheide. Aber: "Es könnte schon sein, dass wir in der nächsten Zeit für Großveranstaltungen, oder wenn es wieder Wahlveranstaltungen gibt, entsprechende neue Schutzkonzepte erarbeiten müssen."

Strobl betonte, die Sicherheitsorgane hätten "ein waches Auge" auf die zunehmende Gewaltbereitschaft und politisch motivierte Kriminalität. Es sei aber nicht nur eine Aufgabe der Polizei, "sondern das ist eine Aufgabe von uns allen, unsere Demokratie aktiv zu schützen". Er warf der Ampelregierung in Berlin vor, mit "ihrem ständigen Streit kein gutes Beispiel und geradezu ein Brandbeschleuniger für diese extremistischen Bewegungen" zu sein. Zugleich riet Strobl allen Politikern, auf die Sprache zu achten und "behutsam auch in der öffentlichen Debatte miteinander umzugehen, um nicht denen, die es nicht gut mit der Demokratie meinen, zusätzliche Argumente zu geben".

Grünen-Fraktion will Aufklärung über Polizeieinsatz

Die Grünen-Fraktion im Landtag erwartet von den Sicherheitsbehörden Aufklärung über den Polizeieinsatz. Dabei solle auch die "Rolle von Messenger-Gruppen als mögliche Brandstifter für solche Eskalationen" genau unter die Lupe genommen werden, so der innenpolitische Sprecher Oliver Hildenbrand. Die Grünen erwarten laut Hildenbrand außerdem konkrete Antworten auf Fragen, wie die Polizei die Situation im Vorfeld eingeschätzt hat, welche Kriterien dabei eine Rolle spielten, wer die Organisatoren waren und wer die Unruhen steuerte.

Die Gewerkschaft der Polizei (GdP) fordert nach den Ereignissen in Biberach ein Verbot von Traktoren bei Demonstrationen. "Die Versammlungsbehörden und die Polizei müssen umgehend reagieren und Traktoren bei Versammlungen untersagen", sagte der GdP-Vorsitzende Jochen Kopelke der "Rheinischen Post".

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