Bertrand Russel: reicher Lord bekennt sich zu demokratischem Sozialismus
Bertrand Russell lehnte alle Ideologien und Dogmen ab. Er setzte auf uneingeschränkten Individualismus und die denkerische Freiheit des Menschen. Philosophen, die nicht zu immer neuen Erkenntnissen kamen, bezeichnete er als "tote" Denker.
Russell wurde am 18. Mai 1872 in Wales geboren und stammte aus britischem Adel – ein reicher Lord, der sich zum demokratischen Sozialismus bekannte.
Russell stritt gegen Atomwaffen, Kapitalismus und Kommunismus. Er gilt weltweit als unbestechlicher Denker und moralische Instanz.
Freier Intellekt ist der Motor allen Fortschritts …
… so schrieb er – und ging gleich zweimal für seine Überzeugungen ins Gefängnis. Im Ersten Weltkrieg, weil er Kriegsdienstverweigerung befürwortet und die amerikanische Armee beleidigt. Und später wegen „Widerstands gegen die Staatsgewalt“, nach einer Demonstration gegen atomare Aufrüstung.

Erster Weltkrieg: Mathematiker Russell widmet sich politischen Themen
Russell studiert Mathematik und Philosophie in Cambridge. Bald ist er für seinen scharfen Intellekt bekannt. Mit Alfred North Whitehead verfasst er die dreibändige „Principia Mathematica“ – ein Standardwerk der philosophischen Logik, als deren Mitbegründer Russell heute gilt.
In seine etwas abgehobene Welt des reinen Denkens platzt 1914 der Ausbruch des Ersten Weltkriegs.
Ich erlebte, wie junge Männer mit der Eisenbahn an die Somme verfrachtet wurden, um dort abgeschlachtet zu werden, weil die Generäle dumm waren. All die hochfliegenden Gedanken, die ich über die abstrakte Welt der Ideen gehabt hatte, erschienen mir fade und bedeutungslos angesichts des unermesslichen Leidens, das mich umgab.
Russell wendet sich verstärkt gesellschaftlichen und politischen Themen zu. Für einen Neuanfang nach dem Ersten Weltkrieg scheint ihm der Sozialismus der beste Weg. 1918 erscheint sein Buch „Wege zur Freiheit“ über Sozialismus und Anarchismus.
Russell hat sich immer als dezidierter demokratischer Sozialist verstanden – um sich eben von den diktatorisch-totalitären Herrschaftssystemen in der Sowjetunion und den späteren Warschauer Pakt-Staaten zu distanzieren.
Gegen Kommunismus und Kapitalismus
Der Politikwissenschaftler Armin Pfahl-Traughber erklärt Russells Haltung zum Kommunismus:
Den Kommunismus in Gestalt der Herrschaft der Bolschewisten in Russland hat er von Anfang an kritisch gesehen und nach einem Besuch in Sowjetrussland und einer persönlichen Begegnung mit Lenin auch rigoros verworfen. Er hat dort eine Diktatur der Gewalt und des Terrors gesehen, er hat in Lenin einen grausamen Tyrannen gesehen – und deswegen auch einen klaren Trennungsstrich zu diesem politischen System immer gezogen, und zwar durchgängig in seinem Leben.
Russell kritisiert den Kommunismus, aber auch den Kapitalismus, weil der die Arbeiter ausbeute, ihnen Freiheiten und Grundrechte nehme. Der Philosoph neigt den Ideen des Gildensozialismus und Fabianismus zu – beide Bewegungen sind Anfang des 20. Jahrhunderts in Großbritannien verbreitet. Im Gildensozialismus organisieren sich Berufstätige in Berufsgruppen und verwalten die Produktionsmittel selbst. Der Fabianismus ist ein ethisch begründeter Reformsozialismus.
Bertrand Russell: kritische Haltung zum Krieg, aber kein Pazifist
Oft wird Bertrand Russell als bedingungsloser Pazifist dargestellt, doch das stimmt nicht. Den Krieg der Alliierten gegen Hitler rechtfertigt er durchaus.
Er ist kein Pazifist gewesen. Er hat dezidiert den Ersten Weltkrieg abgelehnt, er ist dafür auch ins Gefängnis gegangen, weil er das für einen ungerechten Krieg unterschiedlicher Imperialmächte gehalten hat. Er hat dann aber den Zweiten Weltkrieg gutgeheißen, nicht mit Leidenschaft, aber aus einer inhaltlichen Notwendigkeit heraus. Weil es da gegen einen totalitären Diktator und seinen Weltherrschaftsanspruch ging. Und da hielt Russell eine militärische Abwehrmaßnahme in Form einer Kriegsbeteiligung für richtig und notwendig.

Den Krieg der USA gegen Nordvietnam bewertet Russell dagegen als amoralisch und sinnlos.
It is Americans who are killing Vietnamese, attacking villages, occupying cities, using gas and chemicals, bombing their schools and hospitals – all this to protect the profits of American capitalism.
Russells Themen sind heute noch aktuell: Kapitalismus und Atomwaffen
Man kann Bertrand Russell heute lesen aus zwei Gründen. Das erste ist die Klarheit seines Urteils. Er hat immer abgelöst von irgendwelchen Dogmen oder eingeschliffenen Positionen versucht zu denken. Das kann einem ein Vorbild sein. Und es kann etwas sein, an dem man Denken lernen kann. Der zweite Grund ist, dass die Probleme, über die er gesprochen hat und geschrieben hat, heute noch genauso da sind wie damals. Heute ist der Kapitalismus immer noch genauso ein Problem wie damals, oder sogar ein noch größeres als damals. Und heute wird auch wieder über den Einsatz von Atomwaffen gesprochen und nachgedacht.
Russell betont, wie wichtig es sei, frei und unabhängig zu denken. Für ihn brauchen die Menschen keine Vorgaben und schon gar keine Dogmen.
Russell publiziert über 60 Bücher und zahllose Aufsätze. 1950 erhält er den Literatur-Nobelpreis.
An Neujahr 1970 bekommt Bertrand Russell eine schwere Bronchitis. Er stirbt am Tag darauf mit 97 Jahren. Seine Asche wird, wie er es sich gewünscht hat, über walisischen Hügeln verstreut.