Brandbrief warnt vor gesellschaftlichem Stillstand

Psychische Gesundheit Jugendlicher verschlechtert sich zunehmend

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Autor/in
Anja Braun
Anja Braun, Reporterin und Redakteurin SWR Wissen aktuell.
Onlinefassung
Emily Burkhart
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Die psychische Gesundheit Jugendlicher hat sich weltweit in den letzten zwei Jahrzehnten stark verschlechtert. Experten warnen nun vor dem Eintritt in eine gefährliche Phase. 

Eine Internationale Gruppe von Experten zeigt sich besorgt über die aktuelle Lage der weltweiten psychischen Gesundheit. In einer Art Brandbrief warnt die Fachkommission im Magazin Lancet, dass diese Phase nicht nur für die Jugend, sondern auch für die Gesamtgesellschaft gefährlich sei. Die Forschenden sehen globale Megatrends und Veränderungen in vielen Gesellschaften in den letzten zwei Jahrzehnten als wichtigen Einflussfaktor. 

Die psychische Gesundheit habe sich laut den Forschenden weltweit seit Anfang der 2010er Jahre verschlechtert. Zu sehen sei dies in einem Anstieg an Angstzuständen, Depressionen, psychischem Stress, aber auch Selbstverletzungen und Selbsttötungen. Doch die Mehrzahl der jungen Menschen habe keinen Zugang zu wirksamer Therapie – sie bleiben also unbehandelt.

Dies sei eine brandgefährliche Entwicklung, so die Lancet-Kommission, denn die Weiterentwicklung einer Gesellschaft sei von den Fähigkeiten und Beiträgen junger Menschen abhängig. Dieser Rückgang der psychischen Gesundheit bei eben dieser Gruppe sei ein Warnsignal, so der Bericht der Kommission. 

Warum sich die psychische Gesundheit Jugendlicher in den letzten 20 Jahren verschlechterte

Für die Verschlechterung der psychischen Gesundheit machen die Forschenden gesellschaftliche Megatrends verantwortlich, unter denen junge Menschen besonders leiden. Megatrends sind etwa: fehlende Maßnahmen gegen den Klimawandel, unregulierte soziale Medien, abnehmender sozialer Zusammenhalt oder die Polarisierung politischer Ansichten – aber auch zunehmend unsichere Beschäftigungsverhältnisse und wenig bezahlbarer Wohnraum. 

Tobias Banaschewski leitet das Adoleszentenzentrum des Zentralinstituts für Seelische Gesundheit in Mannheim und bestätigt, dass viele Jugendliche beispielsweise Ängste durch den Klimawandel artikulieren. Ebenso sehe man, dass die sozialen Medien eine große Rolle dabei spielen, dass Menschen sich einsam fühlen. „Nichtsdestotrotz ist es natürlich so, dass die Jugendlichen sich nicht immer absolut darüber gewiss sind, welche Faktoren, denn jetzt zu ihrer subjektiven Belastung oder auch zu ihren psychischen Problemen geführt haben“, so Banaschewski. 

 

Globale Megatrends. Weltweite Krisen und die sozialen Medien wirken sich womöglich negativ auf die psychische Gesundheit Jugendlicher aus.
Eine mögliche Ursache: Globale Megatrends. Weltweite Krisen und die sozialen Medien wirken sich womöglich negativ auf die psychische Gesundheit Jugendlicher aus.

Gesellschaftliche Herausforderungen und soziale Medien haben dramatische Auswirkungen auf die psychische Gesundheit Jugendlicher

Die Lancet-Kommission fordert, Risiko- und Schutzfaktoren herauszuarbeiten und gesamtgesellschaftliche Veränderungen anzustoßen. In der Vergangenheit sei bei psychischen Krankheiten stark nach Ursachen beim einzelnen Menschen gesucht worden. Nun werde jedoch deutlich, dass bei jungen Heranwachsenden gesellschaftliche Probleme eine gewichtige Rolle spielen. Prägend sei hierbei die zunehmende Digitalisierung unserer Welt seit etwa 20 Jahren. Soziale Medien wie TikTok, Instagram und Youtube werden für die Identitätsentwicklung von jungen Menschen immer wichtiger. 

Wir sehen, dass ganz andere Wertvorstellungen, aber auch Idealvorstellungen vermittelt werden – also beispielsweise, dass die Bedeutsamkeit der Individualität zugenommen hat.

Diese Aspekte haben laut Tobias Banaschewski vom ZI Mannheim das Heranwachsen, aber auch das Leben generell fundamental verändert und gehen zusätzlich mit bestimmten Schwierigkeiten einher. So werden in der Folge weitere Belastungsfaktoren hervorgerufen. 

Experten warnen: Die ständige Online-Präsenz und Konfrontation mit Gesellschaftlichen Problemen hat potenziell dramatische Auswirkungen auf die psychische Gesundheit Jugendlicher.
Die ständige Online-Präsenz und Konfrontation mit Gesellschaftlichen Problemen hat potenziell dramatische Auswirkungen auf die psychische Gesundheit Jugendlicher.

Neue Behandlungsansätze dringend nötig

Daher sollten Behandlungen in Zukunft besser auf die Bedürfnisse junger Menschen abgestimmt werden, so die Expertinnen und Experten im Lancet. Zurzeit ist es so, dass man ab dem Alter von 18 Jahren, als erwachsen gilt und nach den Richtlinien für Erwachsene behandelt wird. Besser sei es, den Zeitraum von Pubertät bis hin zum jungen Erwachsenenalter als einen Behandlungsbereich zu sehen. 

Das hat das Adoleszentenzentrum des ZI Mannheim im stationären Bereich bereits umgesetzt. Banaschewski erläutert, dass dort Heranwachsende im Alter von 16 bis 24 Jahre behandelt werden. Das sei wichtig, da die meisten Krisen ja in diesem Lebenszeitraum auftreten würde.  

Unser Zentrum hat da die Möglichkeit, die Jugendlichen und jungen Erwachsenen kontinuierlich zu behandeln. Diese Gruppe unterscheidet sich sowohl von Kindern und Jugendlichen am Anfang ihrer Adoleszenz als auch von Erwachsenen, deren Persönlichkeits- und Identitätsentwicklung schon weitestgehend abgeschlossen ist.

Besonders dramatisch: Gerade unter Jugendlichen treten die meisten psychischen Erkrankungen auf.
Die Lage ist besonders unter Jugendlichen dramatisch, da in dieser Lebensphase die meisten psychischen Erkrankungen auftreten.

Psychische Erkrankungen betreffen besonders die Jugendjahre

Etwa drei Viertel aller psychischen Erkrankungen treten in der Phase des Heranwachsens und der jungen Erwachsenen ein - bis zum Alter von 25 Jahren. Und selbst in den Ländern mit den höchsten Ressourcen wird weniger als die Hälfte des Behandlungsbedarfs gedeckt. 

Die Expertinnen und Experten der Lancet Kommission fordern deshalb eine weltweite Kraftanstrengung zugunsten der psychischen Gesundheit junger Menschen. Es sei dringend notwendig, eine bessere psychische Gesundheitsversorgung für diese besonders anfällige Altersgruppe zu entwickeln und ihr den Zugang dazu zu erleichtern. 

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