In der Begründung des Bundesverfassungsgerichtes (BVG) heißt es, die Zeugnisvermerke seien mit dem Grundgesetz und mit der UN-Behindertenrechtskonvention vereinbar. Die drei ursprünglichen Kläger aus Bayern haben allerdings Recht bekommen. Bei ihnen wird der Vermerk auf Legasthenie aus dem Abizeugnis gestrichen - aber nur weil in Bayern der Notenschutz eben nicht bei allen vergleichbaren Gruppen im Zeugnis vermerkt wurde.
Urteil des Bundesverfassungsgerichtes: Noten müssen transparent sein
Das BVG hält es für grundsätzlich geboten, die Nichtbewertung einzelner Leistungen aufgrund von Behinderungen im Abiturzeugnis zu vermerken. Ganz dezidiert hat das Gericht angeregt, dass es nicht nur Vermerke für Schüler mit Lese- und Rechtschreibeschwächen geben soll – sondern darüber hinaus auch für alle Schüler, denen wegen anderer Behinderungen und Einschränkungen Prüfungserleichterungen gewährt wurden.
Die Begründung: Das öffentliche Interesse an Transparenz bei Prüfungen. Es sei wichtig, dass Abiturprüfungen – oder Abschlussprüfungen transparent für spätere Arbeitgeber bzw. Ausbildungsstellen sein sollen. Der Zeugnisvermerk erhöhe die Aussagekraft der Abiturnoten. Der Vermerk stelle klar, dass die Noten im konkreten Zeugnis nicht auf Grundlage des allgemeinen Bewertungsmaßstabs zustande kamen.
Transparenz wird als wichtiger eingestuft als Datenschutz
Das Urteil hält diese Transparenz der Abiturzeugnisse für wichtiger als das Interesse von Betroffenen, ihre behinderungsbedingte Einschränkungen nicht offenzulegen. Wie das mit dem Datenschutz konform geht, leuchtet mir auch nicht ein. Das sind doch Gesundheitsinformationen, die da über ein Zeugnis offen transportiert werden.
Aber das Bundesverfassungsgericht hat da offenbar keine Bedenken und sich eindeutig auf die Seite derjenigen gestellt, die die Abiturzeugnisse später nutzen, um beispielsweise zu Bewerbungsgesprächen einzuladen. Die Sorge der Abiturientinnen und Abiturienten wegen des Vermerks bei Ausbildungsplatz oder Arbeitsplatzsuche benachteiligt zu werden, wurde vom BVG als weniger wichtig eingestuft.
Personen außerhalb der Norm werden in den Zeugnissen gekennzeichnet
Das ist eine klare Kante gegen alle Schülerinnen und Schüler, die sich gegen Diskriminierung aufgrund von Behinderungen oder anderer gesundheitlicher Einschränkungen wehren.
Für mich das absolut falsche Signal. Statt den Betroffenen Mut zu machen und darauf hinzuweisen, dass gerade Einschränkungen wie Legasthenie – aber auch andere Einschränkungen - durch technische Möglichkeiten super aufgefangen werden können, werden sie hier nochmal extra abgestempelt mit dem Tenor: Entspricht nicht der Norm.
Und was das Ganze noch furchtbarer macht, ist die Tatsache, dass es Heranwachsende betrifft, die in ihrer Persönlichkeit noch gar nicht gefestigt sind. Jugendliche kann so etwas wirklich mitnehmen und ich gehe davon aus, dass sie in ihrer Schullaufbahn bereits ordentlich unter diesen Einschränkungen gelitten haben!
Konsequent zu Ende gedacht müssen jetzt alle Bundesländer den Absolventinnen und Absolventen, die Notenschutz erhalten, einen Vermerk ins Zeugnis schreiben. Und zwar in Zukunft nicht nur wegen Legasthenie, sondern auch wegen Hörschädigung, wegen Sehstörungen, wegen Autismusstörungen und selbst wegen motorischen Behinderungen.
Aussagekraft von Zeugnissen im bundesweiten Vergleich ohnehin schwierig
Und was bringt das? Die Aussagekraft der Abiturzeugnisse und Noten insgesamt ist im Bundesvergleich nicht besonders hoch. Das weiß bereits jede Schülerin und jeder Schüler – je nach Bundesland, Schulformen und Lehrkräften fällt die Leistung einzelner im Zeugnis ganz anders aus. Seit Jahren wird beklagt, dass bundesweit bei Schulabschlussprüfungen ganz unterschiedlich gewogen und bewertet wird.
Die Hochschulen und Universitäten sind darauf bereits eingegangen und setzen immer mehr auf Eignungsgespräche und Tests für das jeweilige Studienfach. Aber für Unternehmen und Firmen scheint es bisher relevant nach solchen Zeugnisvermerken zu schauen, um Bewerberinnen und Bewerber vorzusortieren.
Bleibt nur zu hoffen, dass der Fachkräftemangel in Zukunft auch dazu führt, dass Bewerberinnen und Bewerber aufgrund solcher Zeugnisvermerke nicht diskriminiert werden. Trotzdem finde ich es krass, dass die Hoffnung einer antidiskriminierenden Wirkung nun an die Marktentwicklung gekoppelt werden muss.