Neurologie

Was ist Legasthenie?

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Autor/in
Anja Braun
Anja Braun, Reporterin und Redakteurin SWR Wissen aktuell.
Onlinefassung
Lena Schmidt

Das Bundesverfassungsgericht prüft, ob Legasthenie auf dem Zeugnis vermerkt werden darf. Betroffene befürchten, dadurch bei der Jobsuche benachteiligt zu werden. Doch was ist eigentlich eine LRS?

Klage vor dem Bundesverfassungsgericht

"Aufgrund einer fachärztlich festgestellten Legasthenie wurden Rechtschreibleistungen nicht bewertet" - So wird eine Legasthenie auf dem Abiturzeugnis vermerkt. Das Bundesverfassungsgericht prüft, ob das rechtens ist. Drei junge Männer haben geklagt, da sie befürchten, stigmatisiert zu werden und beispielsweise Nachteile bei Bewerbungen zu haben.

Die Sorge vor einer Benachteiligung ist natürlich gerechtfertigt. Die Vorbehalte der Arbeitgeberinnen und Arbeitgeber hingegen nicht, denn für sie entstünden keine Nachteile, sagt Tanja Scherle, Vorsitzende des Bundesverbands Legasthenie und Dyskalkulie. Auch sie hält diese Regel für diskriminierend. Es gebe mittlerweile genügend Hilfsmittel, mit denen eine Lese- und Rechtschreibschwäche später im Beruf ausgeglichen werden könne, erklärte sie SWR aktuell.

Eine LRS hängt nicht mit der Intelligenz zusammen

Eine Legasthenie-Diagnose sagt nichts über die allgemeine Intelligenz oder die sonstigen Fertigkeiten eines Menschen aus. Denn es sind nicht alle Bereiche des Lernens beeinträchtigt, sondern nur das Erlernen von Schreiben und Lesen.

Das Bild zeigt ein Grundschulheft mit Schreibübungen und Korrekturen der Lehrkraft.
Legasthenikerinnen und Legastheniker haben gravierende Schwierigkeiten beim Lesen und Schreiben.

Laut Bundesverband Legasthenie und Dyskalkulie sind etwa zwölf Prozent der Bevölkerung in Deutschland von einer Lese-Rechtschreibstörung betroffen. Symptome sind unter anderem das Verdrehen, Verwechseln oder Auslassen von Buchstaben, langsames Lesen, Schwierigkeiten mit Groß- und Kleinschreibung, bei ähnlich klingenden Buchstaben und Worttrennungen.

Lernstörung gibt Neurologie Rätsel auf

Neurologisch sind die Ursachen einer Lese-Rechtschreibstörung noch nicht vollständig geklärt, denn im Gehirn gibt es kein eigenes Lesezentrum, dessen Beeinträchtigung allein ursächlich sein könnte. Eine Studie vom Massachusetts Institute of Technology (MIT) deutet an, dass ein neuronales Anpassungsdefizit einige Symptome erklären könnte. Die Forschenden fanden heraus, dass das Gehirn von Menschen mit Legasthenie Reize anders verarbeitet.

In mehreren Experimenten spielte das Forschungsteam jungen Erwachsenen mit und ohne Legasthenie etwa eine Reihe von gesprochenen Worten vor. Alle wurden in diesem Durchlauf von der gleichen Stimme eingesprochen. Bei den Teilnehmenden ohne Legasthenie stellte sich nach den ersten Worten ein sogenannter Gewöhnungseffekt ein. Die Gehirnaktivität sank, da die Teilnehmenden die Stimme erkannten.

Bei den Legasthenikerinnen und Legasthenikern blieb die Gehirnaktivität gleichbleibend hoch. Die Forschenden schlossen daraus, dass sich die Gehirne der Betroffen viel mehr anstrengen müssen, um Reize zu verarbeiten. Das könnte erklären, warum es betroffenen Kindern solche Probleme bereitet, gesprochene Sprache in Buchstaben zu übersetzen.

Klar ist bereits, dass genetische Faktoren bei einer Legasthenie eine große Rolle spielen: Etwa 50 Prozent der betroffenen Kinder haben ein Elternteil, das ebenfalls von Legasthenie betroffen ist.

Das Bild zeigt einen Jungen beim Lernen und Hausaufgaben machen.
Jungen sind häufiger von Legasthenie betroffen als Mädchen.

Gezielte Förderung kann helfen

Eine Legasthenie nicht im eigentlichen Sinn heilbar. Wird die Lernstörung aber früh erkannt und behandelt, ist die Prognose gut. Eltern sollten mit ihren Kindern ab Anfang oder Mitte der ersten Klasse eine Diagnostik erstellen lassen, wenn sich Anzeichen für eine Legasthenie zeigen, rät Julia Holtheuer, Dyslexietherapeutin und Logopädin.

Diese Ärztinnen und Ärzte dürfen bei Kindern und Jugendlichen die Diagnose stellen:

  • Ärzte für Kinder- und Jugendpsychiatrie und -psychotherapie
  • Kinder- und Jugendpsychotherapeuten
  • Psychologische Psychotherapeuten

Auch Schulpsychologen sind eine mögliche Anlaufstelle. Um die Diagnose zu stellen, werden Eltern und Kinder befragt, Tests zum Lesen und Schreiben sowie ein IQ-Test gemacht. Letzteres ist wichtig, um auszuschließen, dass den Symptomen andere Ursachen zugrundeliegen. Denn laut dem internationalen Klassifikationsschema ICD-10 der Weltgesundheitsorganisation (WHO) liegt eine Legasthenie nur dann vor, wenn anhaltende und eindeutige Schwächen im Bereich der Lese- und Rechtschreibung zum Beispoiel nicht auf eine unterdurchschnittliche Intelligenz zurückgeführt werden können.

Das Bild zeigt ein Mädchen beim Lesen.
Auch eine außerschulische Förderung kann hilfreich sein, falls die schulischen Maßnahmen nicht ausreichen. Das kann für die Eltern jedoch schnell teuer werden. Denn die Krankenkassen tragen die Kosten für eine Legasthenie-Therapie in der Regel nicht.

Steht die Diagnose, können Kinder durch eine geeignete schulische Förderung und therapeutische Maßnahmen große Fortschritte erzielen. Eine Maßnahme sind zum Beispiel rhythmische Lesehilfen. Wichtig ist, dass der Förderansatz auf die individuellen Schwierigkeiten angepasst wird - denn Legasthenie zeigt sich nicht bei allen Betroffenen gleich.

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