Leider haben weder Wissenschaftler oder Politiker noch Journalistinnen und Journalisten eine magische Glaskugel, die uns sagen wird, wie sich das Virus entwickeln wird. Aber eineinhalb Jahre Erfahrung mit SARS-CoV-2 sind nicht nichts. Wir wissen, wie sich aus dem ursprünglichen Virus, dem sogenannten Wildtyp, die Varianten entwickelten. Das sagt uns zwar nicht was noch alles kommen kann, aber zum Teil sagt es uns, was nicht mehr kommen kann.
Die Entwicklung der bisherigen Varianten
Ob Alpha, Beta oder Gamma, alle Varianten sind durch eine oder mehrere Einzelmutationen entstanden. Dabei wird einer von knapp 30.000 genetischen Bausteinen hinzugefügt, ausgetauscht oder entfernt. Solche Mutationen können in allen Organismen vorkommen und haben in den meisten Fällen keine konkrete Auswirkung. Manchmal ist es jedoch möglich, dass sie bestimmte Eigenschaften verändern. Dadurch ist der Organismus besser oder schlechter an seine Umwelt angepasst.
Im Falle des Coronavirus führten zum Beispiel manche Mutationen des Spike-Proteins dazu, dass das Virus besser an den Zielrezeptor auf der Zellmembran andocken und in die Zellen eindringen konnte. So wird es ansteckender, weil weniger Viren aufgenommen werden müssen, um die Infektion erfolgreich auszulösen.
Das Virus hat nur zwei Möglichkeiten
Dieser Prozess ist aber begrenzt. Das Spike-Protein kann nicht mehr als perfekt an den Rezeptor angepasst sein, genauso wie ein Schlüssel nicht immer besser ins Schlüsselloch passen kann. Das bedeutet auch, dass Antikörper gegen ein perfekt passendes Spike-Protein auch immer einen guten Immunschutz vor dem Virus bieten werden.
Das Virus hat also nur zwei Optionen: Entweder sich so zu entwickeln, dass es die Zelle leicht infizieren kann, oder immer versuchen den Antikörpern zu entkommen und dabei aber weniger ansteckend zu werden – beides gleichzeitig funktioniert nicht.
Die Bedeutung der Virusvarianten für Impfungen
Um dem Impfschutz völlig zu entkommen und dabei hochansteckend zu bleiben, müsste das Virus neue Taktiken entwickeln, wie sie zum Beispiel das Grippe- oder HI-Virus einsetzen.
Das Genom des Grippevirus besteht aus acht Segmenten. Verschiedene Subtypen können einzelne Segmente untereinander austauschen und so schnell neue Varianten generieren. Zwei dieser Segmente – Hämagglutinin und Neuraminidase – sind für diese Varianten häufig namensgebend: H1N1, H5N1, und so weiter.
Es wird auch davon ausgegangen, dass die Mutationsrate des Coronavirus etwa um das Vier- bis Fünffache unter der des Grippevirus liegen wird, sobald die Endemiephase erreicht ist – also die Pandemie mit stark ausgeprägten Infektionswellen vorbei ist. So würde es zumindest seltener nötig sein, den Coronaimpfstoff anzupassen, als das bei Grippeimpfstoffen der Fall ist.
HI-Virus
Auch das HI-Virus schützt sich mit einer enorm hohen Mutationsrate vor dem Immunsystem. So entstehen in einem HIV-positiven Menschen pro Tag mehr HI-Virusvarianten als Grippevarianten weltweit pro Jahr.
Hinzukommt, dass HIV in einer stark zuckerhaltigen Hülle steckt, die vom Immunsystem nicht gut erkannt wird. Das alles kann das Coronavirus nicht und es kann auch nicht von jetzt auf gleich so einen Mechanismus entwickeln.
Trotzdem ist nicht ausgeschlossen, dass das Virus nicht doch noch plötzlich komplett den Impfschutz aushebeln kann. In der enormen Komplexität von chemischen und biologischen Prozessen kann sich immer ein Mechanismus verstecken, der all unsere Bemühungen wieder über den Haufen wirft. Noch legt uns das Virus aber nur kleinere Steine in den Weg über die wir vielleicht hin und wieder mal stolpern.