Inzwischen spielt Corona im Alltag der meisten Menschen keine Rolle mehr. Für einige aber ist die Pandemie noch nicht vorbei: Sie leiden täglich an den Folgen. Schwerste Erschöpfung, Atemprobleme, Lücken im Gedächtnis – das sind nur einige der Symptome von Long Covid. Auch Monate nach der Infektion halten die Beschwerden bei einigen Betroffenen an.
Die SWR Wissenschaftsredaktion hat den aktuellen Forschungsstand zu Long Covid recherchiert:
Lässt sich Long Covid denn inzwischen klar diagnostizieren oder ist das noch immer eine Herausforderung?
Es ist tatsächlich immer noch eine Herausforderung, Long Covid zu diagnostizieren. Es gibt keinen Bluttest auf Long Covid und wenn bestimmte Entzündungswerte erhöht sind oder sich Autoantikörper im Blut finden, kann das immer auch andere Ursachen haben.
Ein ganz zentrales Problem ist, dass rund 200 unterschiedliche Symptome unter Long bzw. Post Covid zusammengefasst werden. Viele davon sind unspezifisch, etwa Kopfschmerzen, Abgeschlagenheit und Müdigkeit.
Daneben gibt es körperliche Beschwerden mit der Lunge oder dem Herzen – und neurologische Probleme: Brain Fog, also Nebel im Gehirn und als schwerste Folge einer Corona-Infektion das Chronische Fatigue-Syndrom. Dabei sind Betroffene schon von kleinsten Anstrengungen völlig erledigt und in der Regel nicht mehr arbeitsfähig. Aber auch andere Virus-Erkrankungen, Grippe etwa oder das Pfeiffersche Drüsenfieber können Chronische Fatigue auslösen.
Muss Long Covid also immer durch den Ausschluss anderer Krankheiten diagnostiziert werden?
Ja, und das macht es so kompliziert. Eine gründliche Diagnostik dauert oft mehrere Stunden mit diversen Tests. Hausarztpraxen können das oft gar nicht leisten.
Long-Covid-Ambulanzen sind darauf spezialisiert. Bei einigen der 124 Long-Covid-Ambulanzen in Deutschland müssen Betroffene aber immer noch Monate auf einen Termin warten. Und dann stellt sich immer wieder heraus, dass gar kein Long Covid hinter den Symptomen steckt.
Laut Süddeutscher Zeitung haben zum Beispiel 40 Prozent der Patientinnen und Patienten der Long-Covid-Sprechstunde des Uniklinikums im Saarland gar kein Long Covid. An der Ambulanz in Aachen sollen es 30 Prozent sein. Manchmal steckt eben auch ein unerkanntes Asthma, Herzkrankheiten oder eine Stoffwechselstörung hinter den Beschwerden.
Was ist inzwischen über die Ursachen von Long Covid bekannt?
Da gibt es spannende neue Erkenntnisse. Vermutlich spielt ein bestimmter Teil unseres Immunsystems dabei eine Schlüsselrolle: das sogenannte Komplementsystem. Das gehört zum angeborenen Immunsystem und dient dazu, Krankheitserreger in Schach zu halten. Bei einer Infektion mit SARS-CoV-2 wird es aktiviert – und sollte sich danach wieder abschalten. Aber bei einigen Menschen scheint die körpereigene Abwehr aktiv zu bleiben.
Im Januar ist dazu im Fachmagazin Science eine Studie der Uni Zürich erschienen. Darin haben die Forschenden im Blut von Long-Covid-Patienten Spuren eines überaktiven Komplementsystems gefunden.
Das führt wahrscheinlich zu kleinsten Gerinnseln im Blut, schädigt die Blutgefäße und zerstört rote Blutkörperchen. Damit lassen sich Schäden an verschiedensten Zellen und Organen erklären. Das passt auch zu den Beschwerden bei Chronischer Fatigue.
Steht die Ursache von Long Covid jetzt also fest?
Nein, aber es ist eine plausible Vermutung. Es gab auch kritische Stimmen zu der Studie, die sagten, die Studie sei zu klein für weitreichende Aussagen. Sie umfasste rund 140 Probandinnen und Probanden, etwa 40 davon litten an Long Covid.
Aber dass ein entgleistes Immunsystem eine zentrale Rolle spielt, wird immer klarer. Die Frage ist: Was lässt das Immunsystem entgleisen? Das können zum einen Autoantikörper sein, also ein Angriff auf körpereigene Zellen. Oder Antikörper gegen schlummernde Erreger, die durch eine Corona-Infektion wieder aktiviert werden wie etwa das Epstein-Barr-Virus und andere Herpesviren.
Auch Reste von Covid-Viren können im Körper überdauern und das Immunsystem in Daueralarm versetzen. Das erklärt auch, warum manchmal eine erneute Impfung oder die Behandlung mit Antikörpern gegen Covid helfen kann.
Welche Therapiemöglichkeiten gibt es noch?
Das kommt ganz auf die individuellen Symptome an. Menschen mit Chronischer Fatigue können Entspannungsübungen helfen und das sogenannte Pacing. Das heißt, sie müssen lernen ihre geringen Kraftreserven optimal einzuteilen. Wer Probleme mit der Lunge hat, profitiert von gezielten Atemübungen. Die Therapieansätze sind also so vielfältig wie die Symptome.
Einige Betroffene setzen große Hoffnungen auf verschiedene Formen von Blutwäsche. Das ist ein ziemlich unübersichtliches Feld und die Studienlage ist schlecht. Dies soll sich im Laufe des Jahres ändern, da werden die Ergebnisse zur sogenannten Immunapharese erwartet. Dabei werden Antikörper aus dem Blut entfernt, das soll die Long-Covid-Symptome verschwinden lassen.
In Einzelfällen sind die Ergebnisse einer Immunapharese positiv, aber im Moment bewertet der IGEL-Monitor der Krankenkassen das Verfahren noch als unklar. Manche Betroffene haben auch schon von Hyperthermie profitiert, also einer gezielten Überwärmung des Körpers. Auch hier fehlen aber belastbare Studien.
Könnte es bald auch Medikamente gegen Long Covid geben?
Die Suche nach Medikamenten gegen Long Covid läuft weltweit – und je mehr wir über die Ursachen wissen, desto besser stehen die Chancen auf wirksame Mittel.
Ein möglicher Ansatz könnten Hemmstoffe für das überaktive Komplementsystem sein. Da gibt es schon Medikamente, aber sie sind noch nicht bei Menschen mit Long Covid getestet.
Mit einer anderen Substanz haben die klinischen Studien schon begonnen. BC007 heißt der Wirkstoff, der schon seit einer Weile für Schlagzeilen sorgt. Er soll Autoantikörper neutralisieren und die Durchblutung der feinsten Blutgefäße verbessern.
Eine europaweite Phase-2-Studie mit 114 Freiwilligen soll bald starten, erste Ergebnisse werden im Sommer 2025 erwartet. Es gibt allerdings einen Haken: Der Wirkstoff ist sehr teuer und aufwendig zu produzieren. Für ein breit einsetzbares Medikament sind das keine guten Voraussetzungen.