Social Entrepreneurship: Lösungen für moderne Herausforderungen finden
Social Entrepreneurship fordert ein radikales Umdenken, um den gesellschaftlichen Herausforderungen unserer Zeit zu begegnen. „Hochwertige Bildung“, „Nachhaltiger Konsum und nachhaltige Produktion“, „Gesundheit und Wohlergehen“ und „Menschenwürdige Arbeit und Wirtschaftswachstum“ – dies sind die wichtigsten Bereiche, in denen soziale Unternehmerinnen oder Unternehmer sich engagieren und eine positive Wirkung erzielen wollen. Sie wollen ein soziales Problem lösen und genau daran wird auch ihr Erfolg gemessen.
Sneakers aus Plastikflaschen und Jute
Sébastien Kopp war 25, als er Veja 2004 zusammen mit seinem Partner François-Ghislain Morillion gründete. Beide hatten Wirtschaft studiert – von Modedesign oder der Herstellung von Sneakern hatten sie keine Ahnung. Dafür besaßen sie Überzeugungen und den festen Glauben, die Welt verbessern zu können. Veja Sneaker werden aus recycelten Plastikflaschen, Bananenöl, Rizinusöl, Rohrzucker, Reisabfall, Jute, Bio-Baumwolle und Latex aus Naturkautschuk gemacht. Fast 60 Prozent der so hergestellten Schuhe ist biologisch abbaubar.
Investition in faire Produktion statt in Marketing
Veja-Sneaker sind ein Beispiel für Entflechtung, faire Produktion und Verantwortungsethik. Die Firma zahlt für den Rohstoff weit mehr als das Weltmarktübliche; der Lohn der Beschäftigten in der Fabrik in Porto Alegre liegt deutlich über dem brasilianischen Durchschnittseinkommen. Es gibt vier Wochen bezahlten Urlaub und eine Rentenversicherung. Veja unterstützt lokale Initiativen und Gemeinschaften. Dass die Container für den Transport nach Europa von Menschen mit körperlicher Beeinträchtigung gemanagt werden, gehört auch zum Konzept. Die Produktionstiefe ist hoch, die Zuliefererkette kurz.
Doch wieso kann Veja so viel mehr für die Produktion ausgeben? Um trotz höherer Kosten konkurrenzfähig zu sein, gibt Veja kein Geld für Marketing aus. Bei Adidas macht allein dieser Posten 10 bis 15 Prozent vom Umsatz aus – 2019 lag das Marketing-Budget bei 3 Milliarden Euro. Am Ende des Tages ist der Schuh von Veja im Laden zum gleichen Preis erhältlich wie ein Schuh, der unter schlechten Arbeitsbedingungen hergestellt wurde, so Sébastien Kopp.
Verantwortungseigentum als Gründungsalternative
Doch Soziales Unternehmertum braucht nicht nur Innovation und Radikalität – es braucht auch Kapital. Gerade Start-ups stecken häufig in einer Kapital-Klemme. Sparkassen und traditionelle Banken verlangen kaum leistbare Sicherheiten und Businesspläne bis weit in die Zukunft. Risiko-Investoren spekulieren oft auf kurzfristige Gewinnmaximierung und sorgen so schon in der Gründungsphase dafür, dass Pläne für nachhaltige Produktion oder Mitbestimmung der Belegschaft gleich begraben werden.
Die Alternative ist, ein Unternehmen in Verantwortungseigentum zu gründen. Alle Gewinne sind Mittel zum Zweck und werden in die Unternehmensidee reinvestiert oder gespendet.
Adrian Hensen ist einer der Gründer von Purpose Ventures – einer Genossenschaft, die andere Unternehmen dabei unterstützt, Verantwortungseigentum zu entwickeln. Die Unternehmen, die Purpose Ventures berät, sind neben ganz traditionell inhabergeführten oft auch Start-ups und Sozialunternehmen, die Eigentum neu denken und passende Formen der Finanzierung, Organisation und Zusammenarbeit finden wollen.
Sperrminoritäten verhindern feindliche Übernahmen durch ungewollte Käufer
Es gilt, den Sinn eines Unternehmens zu wahren und zum Beispiel ein Aufkaufen oder eine „feindliche Übernahme“ auszuschließen. Voraussetzung für so einen Schutz ist ein Gesellschaftervertrag, der ein Vetorecht für einzelne Gesellschafter vorsieht. So wird ermöglicht, dass Stimm- und Gewinnrecht getrennt werden, sagt Achim Hensen. Er hat mit seinem Bruder Adrian nicht nur Purpose Ventures gegründet, sondern auch die Purpose Stiftung, die inzwischen an zahlreichen Unternehmen beteiligt ist. – Aber nicht, um Geld zu verdienen, sondern um im kritischen Fall ihr Vetorecht auszuüben. So ist ein Verkauf oder eine feindliche Übernahme nicht mehr möglich, denn die Purpose Stiftung hat die Sperrminorität.
Viele von Purpose unterstützte Unternehmen dienen einem gemeinwohlorientierten Zweck: Ecosia, die Suchmaschine, die mit ihren Einnahmen Bäume pflanzt; Arche, ein Anbieter für bio-zertifizierte Lebensmittel aus Asien; oder Einhorn, der Hersteller nachhaltiger Kondome und Periodenprodukte. Und Sharetribe aus Helsinki, das vor zehn Jahren begonnen hat, Software für die Sharing Economy zu entwickeln.
Die Wirtschaft muss dem Menschen dienen
Die meisten Social Entrepreneurs der Gründerszene haben eine sehr gute Ausbildung, sind technisch, gesellschaftlich und international vernetzt – und nutzen ihr Privileg. Viele wissen schon früh, was sie wollen, erzählt Rainer Höll aus seiner Erfahrung. Höll ist Business Coach und gehört in Deutschland zu den Pionieren des sozialen Unternehmertums. Er baute den deutschen Ableger von Ashoka auf, einem internationalen Netzwerk für soziales Unternehmertum.
Social Entrepreneurship gewinnt zudem an Akzeptanz, die sich durch alle Schichten der Gesellschaft zieht. Immer mehr sind auch volkswirtschaftlich erfolgreich. Sozialunternehmer und Sozialunternehmerinnen sind Menschen, die mit großer Hingabe und Risikobereitschaft an einer neuartigen und tiefgreifenden Lösung sozialer Probleme arbeiten. Und dafür Organisationen gründen, um die Lösung großflächig zu verbreiten – das ist ein Social Entrepreneur.
Doch kann eine ganze Volkswirtschaft mit solchen Grundsätzen und Regeln organisiert werden? Rainer Höll sieht, dass die Unterscheidung zwischen Sozialunternehmertum und normalem Unternehmertum praktisch vollständig verschwinden muss. Denn letztlich muss die Wirtschaft dem Menschen dienen.