Liebesbrief: einstmals zwecks Eheanbahnung von Männern genutzt
Ursprünglich waren Liebesbriefe eine Männerdomäne. Lange Zeit ging es darum, schriftlich eine Ehe anzubahnen. Eine ernste Sache also – nichts für Schulkinder. „Ich liebe Dich!“ war noch vor wenigen Jahrzehnten ein heimliches, weil gewagtes Bekenntnis. Und so sind die schriftlichen Liebesbekundungen vom Büttenpapier bis zum Herz-Emoji ein Zeugnis unserer Gefühle und unserer Art zu lieben.
Größtes Liebesbriefarchiv Deutschlands ruft zum Mitmachen auf
In der Koblenzer Landesbibliothek hat Deutschlands größtes Liebesbriefarchiv seinen Sitz. Aus drei Jahrhunderten haben sich mittlerweile etwa 30.000 Liebesbriefe aus dem deutschsprachigen Raum im Archiv eingefunden. Ständig werden es mehr. Der älteste stammt von 1715, der jüngste ist eine WhatsApp-Nachricht.
Die Mitarbeiterinnen gehen dabei neue Wege, indem sie auf das Know-how einer breiten Öffentlichkeit setzen. Dazu ruft das Liebesbriefarchiv Interessierte auf, sich am Citizen Science-Projekt „Gruß und Kuss“ zu beteiligen und ihre Kompetenzen einzubringen. Das Projekt lebt somit nicht nur von vergangenen Liebesbriefen. Auch die heutigen Gruß-und-Kuss-Botschaften sind willkommen – ganz gleich in welcher Form.
Liebesbriefe gewähren intime Einblicke ins Privatleben
Für die Lagerung im Archiv werden die Briefe gescannt und mit Archivnummern versehen, bevor sie in säurefesten Mappen oder Kartons im klimageregelten Archivregal landen. Das ist gar nicht so leicht, denn nicht alle Briefe lassen sich DIN-gerecht verpacken. So ist der längste Liebesbrief über 3 Meter lang, der größte kommt auf Plakatformat.
Sorgfalt ist wichtig, denn das Archiv lebt vom Vertrauen der Briefespender, die intime Einblicke in ihr Privatleben gewähren. Nur ein Beispiel aus dem Archiv aus dem Jahr 1891:
Noch stehen die Wissenschaftlerinnen am Anfang bei der Erforschung der Kultur und Bedeutung des Liebesbriefs. Das Forschungsobjekt hingegen gibt es im europäischen Kulturraum seit Antike und Mittelalter. Als Massenphänomen treten Liebesbriefe aber erst auf, als es auch für breitere Bevölkerungsschichten die Möglichkeit gab, lesen und schreiben zu lernen.
Wenig diskret: Brautbriefe wurden im Familienkreis vorgelesen
Die Verteilung der Rollen war lange Zeit klar geregelt: Der Mann ist aktiv, geht auf die Frau zu, bemüht sich um die Ehe. Die Frau ist eher zurückhaltend und fügt sich. Man kann sich vorstellen, dass ein Liebesbrief mit einer solchen Haltung heute bei den meisten kaum noch Aussicht auf Erfolg hätte. Und noch etwas unterscheidet die damaligen von den heutigen Liebesbriefen: Brautbriefe wurden im ganzen Familienkreis vorgelesen.
Die Geschichte des Liebesbriefes geht Hand in Hand mit der Entwicklung neuer Kommunikationstechnologien. Als in den 1970er-Jahren das Telefon in fast alle Haushalte Einzug hält, schreiben die Menschen auch weniger Liebesbriefe. Ein Knick, der auch im Koblenzer Liebesbriefarchiv spürbar ist, so Projektleiterin Birte Gnau-Franké.
Internet: Millionen Herzchen-Emojis täglich
Doch wer denkt, das Internet hätte dem Liebesbrief den Todesstoß versetzt, der irrt. Millionenfach werden heute täglich Emojis mit Herzchen oder Küsschen hin und her geschickt, aber auch Post-its an Kühlschränke, Kopfkissen, Computer geklebt oder Karten mit romantischen Motiven zur Post gebracht.
Liebesbriefe oder Liebesbotschaften sind also keineswegs überflüssig geworden – sie haben nur andere Ausdrucksformen gefunden. Und so lange es Liebende gibt, gibt es wohl auch Liebesbriefe.
SWR 2022 / 2023