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Die Dichterin Sappho – Antikes Sprachgenie und Philosophin der Liebe

Stand
Autor/in
Lukas Meyer-Blankenburg
Lukas Meyer-Blankenburg
Onlinefassung
Ulrike Barwanietz
Candy Sauer

Emanzipiert, intellektuell, homosexuell – Wie kommt es, dass uns eine Frau, die vor mehr als 2500 Jahren gelebt hat, so modern erscheint?

Sappho: Muse, Sprachkünstlerin, Dichterin

Für den Philosophen Platon war sie eine Muse. Autoren wie Charles Baudelaire, Rainer Maria Rilke oder die Autorin Sylvia Plath schwärmten von Sapphos Sprachkunst. Bei dem Maler Raffael kommt Sappho im Bild gleich nach Homer und Dante. Ihre Liedtexte, zu denen keine einzige Note erhalten ist, inspirieren bis heute Musiker zu eigenen Stücken. Wer war diese berühmte Frau?

Von Sapphos Leben auf Lesbos sind kaum Zeugnisse erhalten

Sappho lebte ungefähr von 630 bis 570 vor Christus auf der Insel Lesbos. Über ihr Leben ist fast nichts bekannt, Fachleute schätzen, dass nur sieben Prozent von Sapphos Werk erhalten sind. Die größte Bibliothek der Antike in Alexandrien soll tausende Verse von ihr besessen haben. Fast nichts davon ist geblieben.

Die in Griechisch geschriebene Textstelle der Dichterin Sappho "Aphrodite, Göttin auf buntem Throne, dich, des Zeus listsinnende Tochter, ruf ich: zwing in Gram und Qualen nicht ganz danieder, Herrin, das Herz mir" im neuen Philologicum der Ludwig-Maximilians-Universität (in dem Schriftzug hat sich ein Schreibfehler eingeschlichen)
Die in Griechisch geschriebene Textstelle der Dichterin Sappho "Aphrodite, Göttin auf buntem Throne, dich, des Zeus listsinnende Tochter, ruf ich: Zwing in Gram und Qualen nicht ganz danieder, Herrin, das Herz mir" im neuen Philologicum der Ludwig-Maximilians-Universität (in dem Schriftzug hat sich ein Schreibfehler eingeschlichen)

Sappho als Theoretikerin der Liebe

Kaum jemand weiß so viel über Sappho wie der Basler Philologe Anton Bierl. 2021 hat Anton Bierl alle bekannten Textfragmente der antiken Dichterin neu übersetzt, kommentiert und mit einem ausführlichen Nachwort versehen. Herausgekommen ist ein dickes, orangefarbenes Reclam-Buch mit vielen Fußnoten, großem Kommentar – und wenig Originaltext.

Aber das bisschen reicht, um Anton Bierl ins Schwärmen zu bringen. Für ihn ist Sappho die erste und vielleicht genialste Theoretikerin der Liebe, die alles gesagt hat. Sie entwickelt gewissermaßen eine anthropologische Theorie der Liebe, so Bierl.

Alkaios und Sapphos auf einem Weinkübel (5. Jahrhundert v. Chr.). Erstaunlich ist die Beziehung der beiden, denn der Dichterfürst Alkaios blickt zu Boden – war Alkaios in Sappho verliebt?
Alkaios und Sapphos auf einem Weinkübel (5. Jahrhundert v. Chr.). Erstaunlich ist die Beziehung der beiden, denn der Dichterfürst Alkaios blickt zu Boden – war Alkaios in Sappho verliebt?

Sappho über das Leiden an der Liebe

In einem der berühmtesten Sappho-Fragmente, dem sogenannten Kyprislied, beschreibt die antike Dichterin die psychischen und körperlichen Folgen der Liebe. Sie beschimpft die Göttin Kypris und macht sie für ihr Leiden an der Liebe verantwortlich.

"Wie denn dürfte einer nicht immer wieder qualvolle Abscheu über denjenigen empfinden, / Herrin Kypris, den er jeweils wirklich liebt, / und nicht vor allem den Wunsch hegen, Erleichterung zu erhalten von den Leidenstorturen, / die du aufrechterhältst? / Mit bebenden Erschütterungen zerreißt du mich sinnlos aufgrund eines Verlangens, das mir meine Knie löst."

Die Liebe als Himmelsmacht

2018 hat Judith Schalansky ein Buch veröffentlicht mit dem Titel „Verzeichnis einiger Verluste“ – ein international vielbeachtetes Werk. In essayistischer Weise kreist sie darin um vermeintlich Verlorenes, das doch irgendwie da ist – der kaspische Tiger, die Bücher des Mani und: Sapphos Liebeslieder.

Im Buch und dem von Judith Schalanskys Partnerin Bettina Hoppe eingesprochenen Hörbuch heißt es:

"Wo Sapphos Worte lesbar sind, sind sie so unmissverständlich und klar, wie Worte nur sein können. Besonnen und leidenschaftlich zugleich erzählen sie in einer untergegangenen Sprache, die mit jeder Übersetzung erst zum Leben erweckt werden muss, von einer Himmelsmacht, die auch sechsundzwanzig Jahrhunderte später nichts von ihrer Gewaltigkeit eingebüßt hat: Die plötzliche, ebenso wundersame wie grausame Verwandlung eines Menschen in ein Objekt des Begehrens, das einen wehrlos macht und Eltern, Ehegatten und sogar Kinder verlassen lässt."

Texte von Sappho sind nur bruchstückhaft erhalten

Auf den jahrhundertealten Fragmenten – staubtrockener Papyrus, zerbrochene Tonscherben – lassen sich oft nur wenige Worte entziffern. Für Schriftstellerinnen wie Judith Schalansky und etliche Intellektuelle in den vergangenen Jahrhunderten waren und sind gerade diese Lücken besonders reizvoll.

"… Ziegenhirte … Rosen … ich sage … Begierde … Schweiß …"

Sappho sei eine geradezu fabelhafte Figur, meint Judith Schalansky, die praktisch kurz nach ihrem Tod schon zum Mythos wird und über die es ungeheuer viele merkwürdige Erzählungen gebe, gerade weil ihr Werk so fragmentarisch sei. Wer sich heute mit ihr beschäftige, beschäftige sich vor allem mit Hinzugedichtetem und Projektionen.

Wenn Männer sich nach Lesbos träumen ...

Berühmt ist Sappho allgemein für ihre erotisch aufgeladenen Zeilen – das Leiden an der Liebe und ihre mögliche Homosexualität sind der Stoff, aus dem bis heute sogar Filme gemacht werden. Grundlage dafür bilden Aufsätze und Romane von Männern aus dem 19. und 20. Jahrhundert, die sich in homoerotisch aktive Mädchenkreise auf Lesbos träumten. Sappho ist da eine Art lesbische Lehrerin / Verführerin.

Filmstill aus "Sappho, Venus von Lesbos" von Pietro Francisci (1960), der Geschichte eines antiken Tempelmädchens, das sich in einen Volkshelden verliebt
Filmstill aus "Sappho, Venus von Lesbos" von Pietro Francisci (1960), der Geschichte eines antiken Tempelmädchens, das sich in einen Volkshelden verliebt

Sappho wirkt heute erstaunlich modern und stark

Doch Sappho schreibt auch für heutige Ohren erstaunlich modern über die Liebe. Eine starke Frau, die sich in der antiken Männerwelt behauptete, und deren Einfluss auf das spätere, philosophische Denken und die moderne Geistesgeschichte viel größer eingeschätzt werden müsse als bisher, meint der Basler Philologe Anton Bierl. Und sie war bestimmt nicht die einzige.

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