Blende und ISO-Werte in der Klassik

Tristan und ISO(lde): Der Stellenwert der Fotografie in der klassischen Musik

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Autor/in
Sebastian Kiefl
Sebastian Kiefl

Klassische Musik berührt die Herzen vor allem durch ihre Klänge. Das Visuelle spielt zwar bei Opernproduktionen eine große Rolle, ein Sinfonie-Konzert hingegen kann auch mit geschlossenen Augen genossen werden. Wie lässt sich klassische Musik außerhalb des Konzerthauses bildlich repräsentieren? Bei den Porträts der Künstlerinnen und Künstler muss es nicht immer das Bild vor dem Flügel sein.

Die Klassik in den Feuilletons

Im Sommer finden auf der ganzen Welt verteilt Festivals statt, die deutsche Kulturszene blickt gespannt auf Bayreuth, konnte die Premiere die Feuilletons überzeugen? Vor allem die Bühnenbilder wecken neben den gesanglichen Talenten oft Aufmerksamkeit, ein Bild geht um die Welt oder zumindest durch die Welt der Feuilletons.

Dieses von den Bayreuther Festspielen zur Verfügung gestellte Foto zeigt Camilla Nylund (Isolde, l) und Andreas Schager (Tristan) im 1. Aufzug der Oper «Tristan und Isolde» von Richard Wagner auf der Bühne.
Dieses von den Bayreuther Festspielen zur Verfügung gestellte Foto zeigt Camilla Nylund (Isolde, l) und Andreas Schager (Tristan) im 1. Aufzug der Oper «Tristan und Isolde» von Richard Wagner auf der Bühne. (2024)

Man sieht Kostüme oder Kulissen, die einen nicht unbeachtlichen Teil einer erfolgreichen oder von Kritik geplagten Produktion ausmachen. Doch wie fotografiert man jene Klassik-Welt, die dem Zuschauer keine Bühnenbilder bietet?

Marco Borggreve: Der gefragteste Klassik-Fotograf Europas

Sei es für Pressefotos für die eigene Website oder für das Coverbild des neuesten Albums: Gute Fotografen sind auch in der Klassikwelt gefragt. Für Nachwuchskünstler*innen kann es wie ein Ritterschlag wirken, bei einem der bekanntesten Musikerfotografen vor die Linse zu dürfen. Der Name Marco Borggreve verbirgt sich hinter etlichen Fotos der Stars.

Borggreves Herangehensweise wirkt zunächst unkonventionell. Nicht vorbereitet sein, ist seine Vorbereitung. Damit öffnet er sich und sein Gegenüber, die unmittelbare Begegnung zwischen Fotograf und Künstler wird später auf dem Foto erfasst.

Ich bereite mich nicht vor, schlafe viel, mache gutes Licht. Und dann muss es auch entstehen.

Doch nicht nur die Stars sollen bei Borggreve abgelichtet werden, sondern auch der Nachwuchs. Dabei nimmt der Fotograf nicht nur die Rolle eines Dienstleisters ein, sondern auch die Rolle eines Ratgebers, der die Hintergründe der Musikerinnen und Musiker ergründen möchte.

Zur Person Der Musikerfotograf Marco Borggreve

Ob Nikolaus Harnoncourt oder Tabea Zimmermann, György Kurtág oder Patricia Kopatchinskaja, Jörg Widmann oder Fazil Say: Er hat sie alle fotografiert. Seit Jahrzehnten ist Marco Borggreve der führende Musikerfotograf, dessen musikalischer Instinkt in der Klassik-Szene legendär ist.

Liebe auf den zweiten Blick

Während Marco Borggreve vor allem Aufträge annimmt, geht der Österreichische Fotograf Sven-Kristian Wolf aktiv auf die Suche nach Motiven – meist Künstlerinnen und Künstler bei den Proben. Im Fokus ist dabei jedoch kein perfektes Foto, sondern ein Foto, das die Betrachtenden an das Bild fesselt.

Ein leicht unscharfes Bild oder ein Bild das „störende Elemente“ drinnen hat, lässt den Betrachter viel länger am Bild bleiben.

Die Unschärfe und das Bildrauschen ist gewollt, Sven-Kristian Wolf erzeugt das Rauschen durch besonders hohe ISO-Werte. Während bei den typischen Bildern das Subjektv meist in der Bildmitte zu sehen ist, findet man bei Wolf oft einen unscharfen Kopf, ein Mikrofon oder ein Instrument in der Bildmitte, die Musikerinnen und Musiker sind verteilt in den Ecken.

Wolf nennt dieses Projekt „Orchestrapunk“, vereint damit also zwei Musikstile, die man sonst kaum in einem Raum verbinden würde.

Thibault Back de Surany beim dirigieren
Sven-Kristian Wolf fotografiert bei den Proben und fast immer in schwarz-weiß. Das sogenannte Bildrauschen ist dabei mit voller Absicht im Bild. Wie hier bei Thibault Back de Surany vom Ensemble The Van Swietens. Der Kopf in der Bildmitte ist nicht zufällig zu sehen, sondern soll eine realistische Perspektive des Probens ermöglichen.

Sven-Kristian Wolf war schon bei etlichen Proben der Stars, darunter der Tenor Jonas Kaufmann, die Sopranistin Anna Netrebko oder Dirigent Sir Simon Rattle. Doch nicht immer sind die Musikerinnen und Musiker zufrieden mit seinen Werken und erteilen der Veröffentlichung eine Absage. Laut Wolf gehört das zum Geschäft, nach Gründen fragt er nicht, doch das Bildrauschen oder die natürlichen Posen finden anscheinend nicht immer Gefallen.

Würden alle meine Bilder sofort Anklang finden, wäre es nicht Punk.

Ein Bild aus der Reihe „Orchestrapunk“
Dirigent und Pianist Antonio Pappano am Klavier mit Sopranistin Anna Netrebko dahinter und Tenor Jonas Kaufmann ganz rechts. Bild in Detailansicht öffnen
Ein Bild aus der Reihe „Orchestrapunk“
Schlagzeuger bei der Akademie des Symphonieorchesters des Bayerischen Rundfunks Bild in Detailansicht öffnen
Ein Bild aus der Reihe „Orchestrapunk“
Backstage bei der Akademie des Symphonieorchesters des Bayerischen Rundfunks Bild in Detailansicht öffnen
Ein Bild aus der Reihe „Orchestrapunk“
Mitglied des Orchesters der Salzburger Kulturvereinigung Bild in Detailansicht öffnen
Ein Bild aus der Reihe „Orchestrapunk“
Dirigent Sir Simon Rattle Bild in Detailansicht öffnen
Ein Bild aus der Reihe „Orchestrapunk“
Dirigent Sir Simon Rattle Bild in Detailansicht öffnen
Ein Bild aus der Reihe „Orchestrapunk“
Dirigent Sylvain Cambreling Bild in Detailansicht öffnen
Ein Bild aus der Reihe „Orchestrapunk“
Bernie Mallinger aus dem Radio String Quartet Bild in Detailansicht öffnen
Ein Bild aus der Reihe „Orchestrapunk“
Mitglied des Orchesters der Salzburger Kulturvereinigung Bild in Detailansicht öffnen
Ein Bild aus der Reihe „Orchestrapunk“
Mitglied des Orchesters der Salzburger Kulturvereinigung Bild in Detailansicht öffnen
Ein Bild aus der Reihe „Orchestrapunk“
Szene aus der Neuen Oper Wien Bild in Detailansicht öffnen
Ein Bild aus der Reihe „Orchestrapunk“
Szene aus der Neuen Oper Wien Bild in Detailansicht öffnen
Ein Bild aus der Reihe „Orchestrapunk“
Szene aus der Neuen Oper Wien Bild in Detailansicht öffnen
Ein Bild aus der Reihe „Orchestrapunk“
Ein Chorleiter bei den Salzburger Osterfestspielen Bild in Detailansicht öffnen
Ein Bild aus der Reihe „Orchestrapunk“
Der Dirigent Jan Willem de Vriend Bild in Detailansicht öffnen

Die Fotografie der Klassik ist ein wenig wie ein umgekehrtes Radio: Man sieht zwar, doch hört nichts. Aber manche Bilder sprechen für sich. Wie zum Beispiel Gustavo Dudamel beim Dirigieren. Der venezuelanische Dirigent ist ganz oben auf der Liste derer, die Sven-Kristian Wolf gerne einmal fotografieren würde.

Gustavo Dudamel beim Dirigieren im Konzerthaus Stockholm
Gustavo Dudamel beim Dirigieren im Konzerthaus Stockholm am 27. November 2010. Die fliegenden Locken beim Dirigieren gehören zu den Markenzeichen des Dirigenten.

Ein Sprung in die Vergangenheit

Das erste beständige Bild entstand 1826, jedoch von einem Gebäude, denn nur Statisches war zu dieser Zeit – und für viele Jahrzehnte danach – möglich abzulichten.

Ein Gemälde eines anonymen Malers erlaubt uns aber einen Einblick in das Konzertgeschehen des Spätbarocks. Zu sehen ist ein Konzert mit Streichern und zwei Cembali im Zunfthaus zu Zürich, entstanden um 1740–1750. Musik und Bildsprache gehen nicht erst seit der Erfindung der Fotografie Hand in Hand.

Gemälde aus dem Zunfthaus zu Zürich, zeigt viele Menschen stehend vor einem Orchester
Entgegen der heutigen Tradition möglichst still bei einem klassischen Konzert zu sein, scheinen sich die Damen und Herren im Konzerthaus Zürich bei laufender Musik amüsiert zu haben.

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