INHALT
Konzerttermine
Programmfolge
Werkeinführungstext
Künstlerbiografien
Orchesterbesetzung
Orchester-News
Konzertvorschau
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Service
KONZERTTERMINE
Do 13. Februar 2025, 20 Uhr
Fr 14. Februar 2025, 20 Uhr
Stuttgart, Liederhalle
Do 20. Februar 2025, 20 Uhr
Freiburg, Konzerthaus
Fr 21. Februar 2025, 19 Uhr
Mannheim, Rosengarten
Kostenlose Einführungen jeweils eine Stunde vor Konzertbeginn
PROGRAMMFOLGE
György Ligeti
(1923 – 2006)
"Lontano" für großes Orchester
ca. 12‘
Dmitri Schostakowitsch
(1906 – 1975)
Konzert für Violine und Orchester Nr. 1 a-Moll op. 77
Nocturne (Moderato – Meno mosso – Tempo I)
Scherzo (Allegro – Poco più mosso – Allegro – Poco più mosso)
Passacaglia (Andante) – Cadenza
Burlesque (Allegro con brio – Presto)
ca. 37‘
Pause
György Ligeti
"Mysteries of the Macabre"
Drei Arien für Violine und Kammerorchester aus der Oper "Le Grand Macabre"
(eingerichtet von Elgar Howarth, bearbeitet von Patricia Kopatchinskaja)
ca. 9‘
Karl Amadeus Hartmann
(1905 – 1963)
Sinfonie Nr. 3
Largo ma non troppo – Allegro con fuoco (Virtuose Fuge)
Adagio
ca. 33‘
Mitwirkende
Patricia Kopatchinskaja, Violine
Michael Acker (SWR Experimentalstudio), Klangregie
SWR Symphonieorchester
Ingo Metzmacher, Dirigent
Live-Videostream • Freitag, 14. Februar 2025 ab 20.03 Uhr auf SWR.de/so
Live-Radiosendung • Freitag, 14. Februar 2025 ab 20.03 Uhr auf SWR Kultur
Konzerteinführungen • Meinhard Saremba
WERKEINFÜHRUNGSTEXT
Klage und Anklage
Schostakowitsch – Ligeti – Hartmann
Drei Komponisten, drei Schicksale: Dmitri Schostakowitsch, György Ligeti und Karl Amadeus Hartmann erlebten Krieg und staatlichen Terror – und haben überlebt, wenn auch unter schwerstem psychischem Druck. Aus Schostakowitschs engstem Freundeskreis fielen Marschall Michail Tuchatschewski wegen angeblicher "hoch- und landesverräterischer Verbindung zu einer faschistisch ausländischen Macht" sowie der Komponist und Konservatoriumsprofessor Nikolaj Schiljajew Stalins Terror zum Opfer: Tuchatschewski wurde zusammen mit sieben weiteren Generälen am 11. Juni 1937 auf dem Hof des berüchtigten Lubljanka-Gefängnisses hingerichtet. Schiljajew verurteilte man wegen angeblich konterrevolutionärer Umtriebe, woraufhin er am 20. Januar 1938 erschossen wurde – kurz vor seiner Verhaftung Anfang November 1937 hatte ihn Schostakowitsch zum letzten Mal gesehen. Dass er die Zeit überstand, erschien ihm später wie ein Wunder.
Nur durch Zufälle hat auch György Ligeti überlebt, der 1923 in der kleinen Provinzstadt Dicsőszentmárton als Sohn ungarisch-jüdischer Linksintellektueller geboren wurde. Nachdem 1939 die faschistische, offen völkische und antisemitische Pfeilkreuzler-Partei zur zweitstärksten Kraft Ungarns gewählt worden war, wurde er wie alle missliebigen Minoritäten zum Arbeitsdienst eingezogen, was für viele mit der Erschießung durch SS-Truppen endete. Als sowjetischer Kriegsgefangener gelang es ihm schließlich, sich abzusetzen und nach fünftägigem Fußmarsch ins Elternhaus nach Klausenburg durchzuschlagen. Dorthin kehrte nach 1945 auch die Mutter zurück, die Auschwitz überlebte. Ligetis Vater und jüngerer Bruder waren in den Konzentrationslagern von Bergen-Belsen und Mauthausen ermordet worden.
Und Karl Amadeus Hartmann? Er war einer der wenigen daheimgebliebenen Künstler, die nie mit den Nationalsozialisten kollaboriert haben. Er lebte versteckt in "innerer Emigration" und komponierte für die Schublade – überzeugt davon, dass jeder Künstler "eine politische Anschauung" haben müsse. Immer wieder klingt in seinen Werken jüdische Volksmusik an, im Vorwort seiner Sinfonischen Dichtung "Miserae" heißt es: "Meinen Freunden, die hundertfach sterben mussten, wir vergessen Euch nicht". Am 27. April 1945 war Hartmann vor seinem Haus Zeuge geworden, wie schwer bewaffnete SS-Schergen entkräftete und ausgehungerte Häftlinge aus dem Konzentrationslager Dachau auf einen der vielen Todesmärsche trieben – ein traumatisches Erlebnis, das er auch mit dem Schreiben einer bekenntnishaften Klaviersonate zu bewältigen versuchte: "Unendlich war der Strom, unendlich war das Elend, unendlich war das Leid". Seine oppositionelle Gesinnung brachte der Antifaschist in seiner Musik klar zum Ausdruck: nicht als flammender Protest gegen Ungeist und Gewalt von Krieg und Terror, sondern als Klage, die zur Anklage wird.
"… mit einem geheimen Tabu belegt"
Dmitri Schostakowitschs erstes Violinkonzert
Nachdem der 1932 in Stalins Sowjetunion proklamierte "Sozialistische Realismus" allen ästhetischen Kontroversen vergangener Jahre ein abruptes Ende bereitet hatte, folgten dem Zweiten Weltkrieg weitere kulturpolitische "Säuberungen", bei denen zunächst Schriftstellerinnen und Schriftsteller wie Anna Achmatowa und Michail Soschtschenko an den Pranger gestellt wurden. Anlässlich einer Scheindebatte um Wano Muradelis Oper Die große Freundschaft traf es allerdings auch bald die Komponisten – namentlich Popow, Mjaskowski, Chatschaturjan, Prokofjew und Schostakowitsch. Offiziell wandte man sich gegen "schädliche formalistische und kosmopolitische Tendenzen" in der Musik und verlangte nach leicht verständlichen Chorwerken und Programmsinfonien, in denen die sozialistischen Ideale verherrlicht werden sollten: "Unsere Sinfoniker", so der Komponist Wladimir Sacharow in einer dieser Sitzungen, "haben einen Eisernen Vorhang errichtet […] zwischen dem Volk und sich selber. […] Diese Komponisten haben sich unserem Volk entfremdet, sind völlig unverständlich." Im Verlauf dieser absurde Züge annehmenden Debatte sprach das sowjetische Zentralkomitee ein faktisches Verbot von konzertanter Instrumentalmusik aus – was zur Folge hatte, dass an eine Aufführung von Schostakowitschs David Oistrach gewidmetem ersten Violinkonzert nicht mehr zu denken war: "Am 12. März [1948]", schrieb der mit dem Komponisten befreundete Theaterwissenschaftler und -kritiker Michail Glikman, "stellte Dmritri Dmitrijewitsch das erste Violinkonzert in einer Klasse des Konservatoriums […] vor und hinterließ einen überwältigenden Eindruck. Allerdings war dieses Werk mit einem geheimen Tabu belegt, und es wurde erst sieben Jahre später […] aufgeführt".

Tatsächlich verschwand das Manuskript in der Schublade und wäre wahrscheinlich auch dort geblieben, wenn nicht Oistrach – angesichts der nach Stalins Tod kurzzeitig einsetzenden kulturpolitischen Liberalisierung – 1955 in die USA gereist wäre und der amerikanische Veranstalter darauf bestanden hätte, dass der Virtuose eben dieses Konzert (von dessen Existenz Kenntnis über den Eisernen Vorhang gedrungen war) mitbringen und spielen sollte. Nur deshalb wurde von offizieller sowjetischer Seite noch vor Oistrachs Reise die Premiere am 29. Oktober 1955 in Leningrad genehmigt: Jewgeni Mrawinski dirigierte die dortigen Philharmoniker, Oistrach spielte den Solopart. Das Ereignis wurde in der Sowjetunion weitgehend totgeschwiegen: Es erschien nur eine einzige Besprechung von Marina Sabinina auf der letzten Seite der Zeitschrift "Sowjetskaja musyka". Demgegenüber wurde die von Dmitri Mitropoulos dirigierte New Yorker Erstaufführung am 29. Dezember in der Carnegie Hall (die sogar für eine Schallplattenproduktion mitgeschnitten wurde) zur Sensation. In zahlreichen Rezensionen verwiesen die Kommentatoren nicht nur auf die herausragenden Qualitäten der Musik, sondern auch auf die Tatsache, dass das Konzert nun endlich seinen Weg in die Öffentlichkeit gefunden hatte. Erst jetzt wurde in der Sowjetunion die Publikation der Partitur erlaubt. Dabei wurde das Stück, das ursprünglich die Opuszahl 77 hatte, als Opus 99 gedruckt – eine Änderung, die den sowjetischen Kulturfunktionären suggerieren sollte, Schostakowitsch habe die während seiner öffentlichen Ächtung 1948 entstandene Musik einer tiefgreifenden Revision unterzogen.
Mit seinen vier Sätzen, die sich zu je zwei Satzpaaren zusammenschließen, hat das Konzert einen ungewöhnlichen Aufbau. Das einleitende Nocturne beginnt mit einem verhaltenen Moderato, das mit den musikalischen Hauptgedanken belebt wird, aber dennoch melancholisch gestimmt bleibt. Der zweite Satz präsentiert sich dann als dämonisches Scherzo, bevor sich an dritte Stelle eine tragische Passacaglia anschließt, in der über einer gleichbleibenden Basslinie (dem sogenannten Basso ostinato) eine vielfarbige Variationen-Folge erklingt. Nicht weniger als siebzehnmal wird dieses Thema wiederholt und dabei von verschiedenen musikalischen Gedanken abwechselnd kommentiert. Was folgt, ist eine technisch hochanspruchsvolle Solokadenz, die ohne Unterbrechung ins Finale führt. Doch so ausgelassen sich die Musik in dieser Burleske auch zu geben scheint, die vermeintliche Fröhlichkeit wirkt hohl: unüberhörbar dann, wenn das düstere Passacaglia-Thema überraschend ins musikalische Geschehen einbricht.
"Überwinden der Angst durch Komik, Humor und Groteske"
Ligetis "Lontano" und "Mysteries of the Macabre"
Nach der blutigen Niederschlagung des Ungarn-Aufstands 1956 beschloss György Ligeti, ins Exil zu gehen. Am 10. Dezember nahm er einen Zug Richtung Westen, gelangte noch in der Nacht unter dramatischen Umständen illegal über die Grenze nach Österreich und wurde wenige Monate später Mitarbeiter im Studio für Elektronische Musik des WDR. Im Gepäck hatte er neben der ersten Fassung seiner Apparitions und anderen Werken nur "eine Zahnbürste und Zahnpasta […]. Einen Bleistift habe ich nicht mitgenommen. Ich dachte, so etwas werde ich schon kriegen".
Mit den "Apparitions", vor allem aber mit "Atmosphères", das bei seiner Uraufführung am 22. Oktober 1961 bei den Donaueschinger Musiktagen vor begeistertem Publikum wiederholt werden musste, gelang dem bis dahin weitgehend unbekannten Komponisten der internationale Durchbruch – mit einer feinmaschigen, mikropolyphon gewebten und aus ruhenden Clustern oder vibrierenden Klangflächen bestehenden Musik, in denen er seinen revolutionären Ansatz einer "Klangfarbenkomposition par excellence" verwirklichte. In der klingenden Klangskulptur "Lontano", die im Oktober 1967 in Donaueschingen Premiere hatte, scheint sich zudem die langsam verändernde Klangfläche dem Hörer als "Objekt" anzunähern, ihn zu erreichen, und sich dann wieder zu entfernen. Am Anfang finden die wie in einem Aquarell unscharf gehaltenen Klänge erst allmählich zur tönenden Realität, "wie wenn man aus grellem Sonnenlicht in ein dunkles Zimmer tritt und die Farben und Konturen nach und nach wahrnimmt" (Ligeti).

Zwischen 1974 und 1977 komponierte Ligeti dann seine aberwitzige Weltuntergangsgroteske "Le Grand Macabre" nach einem Schauspiel des surrealistischen flämischen Dramatikers Michel de Ghelderode: eine rabenschwarze Parabel auf den Krieg, angereichert mit Elementen aus absurdem Theater, mittelalterlichem Totentanz und wildem Jahrmarktsspektakel. "Den Tod", so Ghelderode in einem Interview von 1956, "habe ich im ‚Grand Macabre‘ auf den Kopf gestellt. Ich habe aus ihm eine komische Type gemacht. Das war meine Rache, und das war auch die Rache, die das Leben an ihm nahm." Ligeti ging es in seinem Bühnenwerk um das "Überwinden der Angst durch die Komik, durch Humor, durch Groteske", weshalb auch zahllose Anspielungen auf traditionelle Modelle für heitere Distanzierung sorgen – von der Ombra-Szene bis zum "klassischen" Divertimento. Die Geschichte spielt in einer heruntergewirtschafteten Bananenrepublik, in der so illustre Figuren wie der Torten liebende Fürst Go-Go, Mescalina, die Riesenspinnen haltende Ehefrau des Hofastrologen Astradamors, Gepopo, der Chef der "Geheimen Politischen Polizei", und der "Große Makabre" Nekrotzar ihr Unwesen treiben. Letzterer prophezeit den Weltuntergang, wobei am nächsten Morgen alle quicklebendig sind – alle, bis auf Nekrotzar, der von sich behauptet hatte, der leibhaftige Tod zu sein. "Falls er der Tod war", so Ligeti, "ist jetzt der Tod tot, also das ewige Leben angebrochen und die Erde gleichsam das Himmelreich: Das Jüngste Gericht hat stattgefunden. Wenn er aber nur ein anmaßender Scharlatan, ein dunkler falscher Messias war, […] so geht das Leben weiter wie gewöhnlich – eines Tages stirbt jeder, doch nicht heute, nicht sofort." Elgar Howarth, Dirigent der Stockholmer Opern-Premiere, hat mit seinen "Mysteries of the Macabre" Teile aus Ligetis fulminanter Oper für den Konzertsaal arrangiert, genauer: drei Koloraturarien von Gepopo, dessen schriller Nonsens zwischen Hysterie und abwegiger Geheimnistuerei schwankt und im Zusammenspiel mit der Musik zur überzeichneten Groteske gerät. Patricia Kopatchinskaja hat diese Suite nun ihrerseits bearbeitet, um das Spektakel – singend und geigend – selbst auf der Bühne zu präsentieren.
Klage und Anklage
Karl Amadeus Hartmanns dritte Sinfonie
"In der Erkenntnis, dass die Förderung des wertvollen Kunstschaffens zu den vornehmsten Aufgaben des Rundfunks gehört", erhielt Karl Amadeus Hartmann am 14. August 1948 den Auftrag, für den Bayerischen Rundfunk "ein symphonisches Werk von etwa einhalbstündiger Dauer" zu schreiben. Der Komponist war zu dieser Zeit mit der Organisation der Neue-Musik-Matineen an der Bayerischen Staatsoper beschäftigt, was ihn vor allerhand Probleme stellte: "Da das Publikum der neuen Musik vollständig entwöhnt ist, und sogar die Musiker fremden Klängen vollständig hilflos gegenüberstehen, muss ich mit viel Geduld und Vorsicht vorgehen. Dazu kommt noch, dass von den oberen Stellen die Unterstützung sehr schwach ist, da man der neuen Kunst mit größter Verständnislosigkeit gegenübersteht". Dessen ungeachtet sicherte Hartmann dem BR-Intendanten Rudolf von Scholtz zu, die Partitur der neuen Sinfonie "bis Weihnachten" zu liefern – was den Komponisten erheblich unter Zeitdruck setzte.

Um das aufwändige Projekt zu stemmen, griff Hartmann auf zwei bereits vorliegende Werke zurück, die noch auf ihre Veröffentlichung warteten: seinen 1944/45 entstandenen Klagegesang für großes Orchester und seine "Sinfonia Tragica", deren 1941 geplante Brüsseler Premiere sich mit dem belgischen Dirigenten Paul Collaer am Pult zerschlagen hatte, nachdem das neutrale Land von deutschen Truppen überfallen und besetzt worden war. Den fünfsätzigen Klagegesang hatte Hartmann unter "dem furchtbaren Eindruck" der Verhaftung des befreundeten Chemikers, Kommunisten und Widerstandskämpfers Robert Havemann geschrieben. Das Ende komponierte er, als er von dessen Befreiung erfahren hatte, in "strahlendem Des-Dur", wie er Havemann schrieb. Hartmann löste die beiden sinfonischen Werke aus ihren ursprünglichen Kontexten, um sie in neuer Anordnung zur Dritten Sinfonie umzuarbeiten. Die Satzfolge der zur Wiederverwendung ausgewählten Teile stellte er dabei insofern auf den Kopf, als dass die dritte Sinfonie mit dem nur geringfügig veränderten Kopfsatz (Adagio) der "Sinfonia tragica" endet, während die Ecksätze des Klagegesangs, das düstere Adagio, das Andante pastorale sowie die Schlussfuge (Presto, Fugato mit Ritornellthema), umfassend revidiert an die Position des ersten Satzes rückten, nun in der neuen Form einer langsamen Einleitung (Largo ma non troppo) mit anschließendem Hauptsatz: Allegro con fuoco (Virtuose Fuge). Trotz der durch die Satztitel ausgewiesenen zweiteiligen Form bezeichnete Hartmann das neue Werk als latent dreisätzig und verwies dabei auch auf die thematische Verknüpfung der beiden langsamen Rahmenteile, zu denen das bewegte Allegro con fuoco einen ausgeprägten Kontrast bildet.
Der erste Sinfonieabschnitt von rund neun Minuten Spieldauer beginnt "vor dem Klanghintergrund dumpfer Paukenwirbel, Harfen- und Tamtamklänge" (Hartmann) mit einem Kontrabass-Solo im Charakter eines düsteren Trauermarsches. Ihm folgt ein Fugato in der Besetzung eines Streichquartett- bzw. -quintettsolos, das von einem hochexpressiven Streichertutti abgelöst wird. In heftiger Attacke, verbunden mit kontrastreichen Metrums- und Instrumentationswechseln, leiten Pauke, Xylophon und Bläser das "grimmige Scherzo" (Hartmann) ein (Allegro con fuoco) – eine Fuge, deren polyphones Geflecht sich über einem Ostinato von Violoncello und Kontrabass zunehmend glättet. Triolenfiguren setzen schließlich eine Steigerungswelle in Gang, die in einer furiosen Coda gipfelt. In „bewegtem Ausdruck“ beginnt das als zweiter Satz ausgewiesene Adagio – mit einem vage an Strawinskys "Sacre du printemps" erinnernden Trompeten-Solo, das sich mit dem umgehend einsetzenden Orchester in kürzester Zeit vom piano ins Fortissimo steigert. Nach unmittelbarer Rücknahme folgt ein klagevolles "Misterioso quasi lamento", bevor die Musik in Abbrüchen, Stauungen und erneuten Steigerungswellen einem eigens in der Partitur ausgewiesenen "Höhepunkt" entgegensteuert, dessen exzessive Wiederholungen schnell in sich zusammensacken. Was folgt, ist die Wiederaufnahme der musikalischen Hauptgedanken, die dynamisch zurückgenommen werden – bis das Tamtan als traditionelles Todessymbol im fünffachen Piano ein düsteres Ende setzt.
Harald Hodeige ∙ studierte in Berlin Musikwissenschaft und deutsche Philologie. 2003 promovierte er mit einer Arbeit über Gustav Mahler zum Dr. phil. Als Redakteur, Autor und Referent für Konzerteinführungen arbeitet er für Sinfonieorchester, Konzerthäuser, Musikfestivals und Rundfunkanstalten in Deutschland, Österreich und der Schweiz. Er war viele Jahre Programmheftredakteur beim NDR. Seit 2009 ist er fester freier Mitarbeiter der Berliner Philharmonie gGmbH (Redaktion).
KÜNSTLERBIOGRAFIEN
Ingo Metzmacher, Dirigent
In Hannover geboren, studierte Ingo Metzmacher in seiner Heimatstadt Klavier, Musiktheorie und Dirigieren und setzte seine Studien in Salzburg und Köln fort. Seine erste künstlerische Heimat fand er in Frankfurt, wo er das Ensemble Modern leitete und an der Oper Frankfurt unter der Leitung von Michael Gielen arbeitete. Seine internationale Karriere begann 1988 am Brüsseler Opernhaus La Monnaie, als Gerard Mortier ihn für die Neuproduktion von Schrekers "Der ferne Klang" einspringen ließ.
Von 1997 bis 2005 war er Generalmusikdirektor der Staatsoper Hamburg, wo er eine Reihe international anerkannter Produktionen leitete, viele davon in Zusammenarbeit mit dem Regisseur Peter Konwitschny. Anschließend wurde er zum Chefdirigenten der Niederländischen Nationaloper in Amsterdam ernannt. Höhepunkte seiner Amtszeit waren u. a. Aufführungen der drei Da-Ponte-Opern von Mozart, Henzes "Die Bassariden" und Messiaens "Saint François d'Assise". Von 2007 bis 2010 war Metzmacher Chefdirigent des Deutschen Symphonie-Orchesters Berlin, wo seine innovativen thematischen Konzertzyklen das Musikleben der Stadt nachhaltig prägten.

Ingo Metzmacher ist regelmäßiger Gast an den großen internationalen Opernhäusern und Festivals, darunter die Wiener Staatsoper, die Pariser Opéra, die Mailänder Scala, das Teatro Real in Madrid, das Opernhaus Zürich, die Salzburger Festspiele und das Festival d'Aix-en-Provence. Des Weiteren stand er am Pult so bedeutender Orchester wie der Berliner und Wiener Philharmoniker, dem Royal Concertgebouw Orchestra, dem Cleveland Orchestra, dem Chicago Symphony Orchestra, dem Symphonieorchester des Bayerischen Rundfunks, der Tschechischen Philharmonie, dem Russischen Nationalorchester, der Sankt Petersburger Philharmoniker, dem Orchestre de Paris, dem Orchestre Philharmonique de Radio France, dem BBC Symphony Orchestra, dem Oslo Philharmonic, dem Swedish Radio Symphony Orchestra und dem Helsinki Philharmonic.
In der Saison 2024/2025 leitet er zum fünften Mal eine Tournee des Gustav Mahler Jugendorchesters und wird u. a. mit dem Gewandhausorchester, dem RTVE Symphony Orchestra, den Wiener Symphonikern, dem NDR Elbphilharmonie Orchester und dem Armenian National Philharmonic Orchestra auftreten. Zudem dirigiert er die Uraufführungen von Francesco Filideis "Il nome della rosa" am Teatro alla Scala und Georg Friedrich Haas' "... heraus in Luft und Licht ..." mit dem Klangforum Wien. Im Mai und Juni 2025 präsentiert er die zehnten und letzten KunstFestSpiele Herrenhausen unter seiner künstlerischen Leitung.
Patricia Kopatchinskaja, Violine
Konventionen interessieren Patricia Kopatchinskaja nicht. Die 1977 in Chișinău, der heutigen Hauptstadt der Republik Moldau, geborene Geigerin emigrierte 1989 mit ihrer Familie nach Wien, wo sie auch ihr Musikstudium begann, das sie im Jahr 2000 am Konservatorium in Bern mit Auszeichnung abschloss. Als Solistin ist die freidenkende Musikerin und Komponistin mit den führenden Sinfonieorchestern Europas, Japans und Russlands aufgetreten, darunter die Berliner und Wiener Philharmoniker. Zudem arbeitet sie regelmäßig mit Dirigenten wie Teodor Currentzis, Kirill Petrenko und Sir Simon Rattle zusammen. Außerdem pflegt sie die Zusammenarbeit mit Originalklangensembles und leitet bei ihren Soloauftritten immer wieder auch selbst das Orchester. Seit September 2018 ist sie die künstlerische Leiterin der Camerata Bern. Patricia Kopatchinskaja lässt sich nicht so einfach in eine Schublade stecken.

In der Saison 2024/2025 tun sich Patricia Kopatchinskaja und das SWR Symphonieorchester erneut zu einer fruchtbaren Zusammenarbeit zusammen. Bereits 2020/2021 war die außergewöhnliche Künstlerin beim Orchester als "Artist in Residence" zu Gast, nun kehrt sie als "Artistic Partner" zurück. Und lässt sich in dieser Funktion nicht bloß als international bekannte Spitzengeigerin hören, sondern wird zugleich mit eigenen Formaten als kreativer Kopf und ungewöhnliche Programmmacherin ein aktiver Teil der künstlerischen Planungen des SWR Symphonieorchesters sein. Besonders am Herzen liegen ihr künstlerische Ideen mit engen Bezügen zum Hier und Jetzt unserer Welt. "Mit den Musikerinnen und Musikern des SWR Symphonieorchesters möchte ich gerne neue Räume, seelische Zustände kennenlernen und dabei Fragen aufwerfen – auf eine spielerische, nachdenkliche wie experimentelle Art. Ich kenne sie alle schon seit Langem und weiß, dass sie mit offenen Augen, Ohren und Herzen im besten Sinne neugierig sind", sagt Patricia Kopatchinskaja zu dieser neu aufgelegten künstlerischen Partnerschaft.
Zwei Formate werden von ihr programmatisch gestaltet und mit ihr als Geigerin zur Aufführung gebracht. In den Abonnementkonzerten im Februar 2025 verbindet sie mit Dmitrij Schostakowitschs erstem Violinkonzert und György Ligetis "Mysteries of the Macabre" zwei hochexpressive, doppelbödige Werke voll abgründigen Humors miteinander und tritt in beiden als Solistin auf. Für die Reihe "Linie 2" hatte Patricia Kopatchinskaja bereits im November 2024 ein Project mit dem Titel "Im Namen des Friedens" entworfen, in dem die traditionellen Grenzen zwischen Bühne und Publikum verschwanden und das Konzert zu einer klingend inszenierten Realität wurde. Orchestermusiker, Sänger, das SWR Experimentalstudio, ein Pianist, die Künstlerin selbst – zusammen haben sie mit einem Kaleidoskop aus barocker und moderner Musik eine zutiefst berührende, menschliche Geschichte erzählt. Der Mitschnitt von "Im Namen des Friedens" steht kostenlos in der Mediathek von "arte Concert" online bereit zum Nachhören und -schauen.
https://www.arte.tv/de/videos/119959-000-A/im-namen-des-friedens-ein-inszeniertes-konzert/
SWR Symphonieorchester
Das SWR Symphonieorchester hat in der Liederhalle Stuttgart und im Konzerthaus Freiburg sein künstlerisches Zuhause. Im September 2016 aus der Zusammenführung des Radio-Sinfonieorchesters Stuttgart des SWR und des SWR Sinfonieorchesters Baden-Baden und Freiburg hervorgegangen, zählen Interpretationsansätze aus der historisch informierten Aufführungspraxis, das klassisch-romantische Kernrepertoire sowie Musik der Gegenwart gleichermaßen zu seinem künstlerischen Profil. Von 2018 bis 2024 stand Teodor Currentzis als Chefdirigent an der Spitze des Symphonieorchesters. Ab der Saison 2025/2026 übernimmt François-Xavier Roth diese Position. Zu den jährlichen Fixpunkten im Konzertkalender des SWR Symphonieorchesters zählen die SWR eigenen Konzertreihen in Stuttgart, Freiburg und Mannheim sowie Auftritte bei den Donaueschinger Musiktagen und den Schwetzinger SWR Festspielen. Seit 2020 ist das SWR Symphonieorchester das Residenzorchester der Pfingstfestspiele im Festspielhaus Baden-Baden. Einladungen führen das Orchester regelmäßig zu den Salzburger Festspielen, in die Elbphilharmonie Hamburg, nach Berlin, Köln, Frankfurt, Dortmund, Essen, Wien, Edinburgh, London, Barcelona, Madrid und Warschau. International gefragte Dirigenten wie Herbert Blomstedt, Peter Eötvös, Christoph Eschenbach, Pablo Heras-Casado, Manfred Honeck, Jakub Hrůša, Eliahu Inbal, Ingo Metzmacher, Kent Nagano, Sir Roger Norrington, Jonathan Nott, Andrés Orozco-Estrada, Michael Sanderling und Giedrė Šlekytė haben mit dem SWR Symphonieorchester zusammengearbeitet.

Unter den hochkarätigen Solisten finden sich Yulianna Avdeeva, Renaud Capuçon, Martin Grubinger, Isabelle Faust, Vilde Frang, Hilary Hahn, Janine Jansen, Alexandre Kantorow, Sabine Meyer, Fazil Say, Gil Shaham, Antoine Tamestit und Anna Vinnitskaya. Ab September 2024 steht die Geigerin Patricia Kopatchinskaja dem SWR Symphonieorchester als Artistic Partner für zwei Spielzeiten zur Seite. Mit seinem umfangreichen Musikvermittlungsangebot erreicht das Orchester jährlich etwa 15.000 Kinder, Jugendliche und Erwachsene im Sendegebiet des SWR. Zahlreiche Live-Übertragungen auf SWR Kultur und Konzertstreams auf SWR.de/so ermöglichen vielen Musikfreunden in der ganzen Welt, an den Konzerten des Symphonieorchesters teilzuhaben. Seit 2024 ist das SWR Symphonieorchester offizieller Partner von "La Maestra", dem international bedeutendsten Wettbewerb für Nachwuchsdirigentinnen.
ORCHESTERBESETZUNG
ORCHESTER-NEWS

Fragen an László Kunkli,
Stellvertreter Solotrompete
Sie haben gerade das Probejahr beim SWR Symphonieorchester bestanden und sind von den Kolleg:innen zum festen Mitglied gewählt worden. Herzlichen Glückwunsch! Wenn Sie auf dieses Jahr zurückblicken: Was waren für Sie persönlich die herausfordernden Momente oder auch die musikalischen Höhepunkte?
Vielen Dank! Ich bin wirklich überglücklich! Alle Erinnerungen sind schön, da ich mich von Anfang an sehr willkommen gefühlt habe. Es hat mir immer viel Freude bereitet, mit dem Orchester zu spielen, und ich freue mich unglaublich, dass ich diese Erfahrung nun fortsetzen kann. Besonders schön war für mich mein erstes Projekt, die Spanien-Tournee mit Strawinskys "Le sacre du printemps" im Februar 2024, da ich nach sechs Jahren wieder mit dem Orchester zusammenspielen durfte. In der Spielzeit 2017/18 war ich Praktikant hier, und es war einfach wunderbar, wieder dabei zu sein und mit dem Orchester zu musizieren. Die großartigen Konzerte mit Brittens "War Requiem" unter der Leitung von Teodor Currentzis, die Pfingstfestspiele in Baden-Baden oder der Saisonstart mit Bruckners sechster Sinfonie mit Pablo Heras-Casado – es gibt einfach noch so viele andere tolle Momente, dass ich sie gar nicht alle aufzählen kann. Es war auf jeden Fall ein sehr vielfältiges Jahr und ich freue mich sehr auf die vielen schönen, gemeinsamen Konzerte in der Zukunft.
Wann und warum haben Sie sich eigentlich in Ihr Instrument verliebt?
Durch einen Zufall begann ich, Trompete zu spielen. Mein erster Lehrer war Hornist, und er stellte mir alle Blechblasinstrumente vor. Ich entschied mich für die Trompete, das kleinste Instrument, da ich damals noch recht klein war und mir die anderen Instrumente zu groß vorkamen. Mit zehn Jahren trat ich dann in das örtliche Blasorchester ein, in dem wir viel Blasmusik spielten, was in Ungarn eine große Tradition hat. Das gemeinsame Musizieren machte so viel Spaß, dass ich mir vorstellte, wie toll es wäre, dies mein Leben lang zu tun. Wettbewerbserfolge und die Unterstützung durch meine großartigen Lehrer bestätigten mir mein Talent, sodass ich 2015 die Aufnahmeprüfung in Stuttgart bestand und mein Studium begann.
Wenn Sie kein Orchestermusiker geworden wären, dann…
Es ist gar nicht so einfach zu sagen, denn ich wollte schon immer Orchestermusiker werden und habe nie ernsthaft über etwas anderes nachgedacht. Als Kind war es mal mein Traum, Astronaut zu werden. Die Unendlichkeit des Weltalls, die Sterne und die Vorstellung, die Erde von oben zu sehen, haben mich unglaublich fasziniert. Schließlich ist Schwerelosigkeit wahrscheinlich das Einzige, das noch aufregender sein könnte als das Finale einer Mahler-Sinfonie.
Für welches Hobby lassen Sie Ihr Instrument im Kasten?
Ich gehe gerne joggen, denn das befreit meinen Kopf und hilft mir, abzuschalten. Besonders genieße ich die Zeit an der frischen Luft, sei es beim Laufen oder Wandern, da ich dabei die Natur und die Ruhe um mich herum erleben kann. Außerdem spiele ich gerne Fußball. Wenn ich nicht selbst auf dem Platz stehe, verfolge ich die Spiele meines Lieblingsvereins Manchester United. Neben dem Sport lese ich gerne Bücher, höre Musik oder treffe mich mit Freunden – Aktivitäten, die mir ebenfalls helfen, den Alltag auszugleichen und neue Energie zu tanken.
Welche drei Musikstücke nehmen Sie mit auf eine einsame Insel?
Es würde mir tatsächlich schwerfallen, nur drei Musikstücke auszuwählen, da es unendlich viele wunderschöne Werke gibt und ich Musik aus allen Genres schätze. Aber wenn ich mich entscheiden müsste, wären sicherlich die Sinfonien von Gustav Mahler und die Opern von Giacomo Puccini dabei – ihre emotionalen Tiefen und bewegenden Melodien würden mich auf einer einsamen Insel bestimmt begleiten. Außerdem würde ich vielleicht eine recht neue CD von Wynton Marsalis mitnehmen: "Louis Armstrong’s Hot Fives and Hot Sevens". Die lief bei mir in letzter Zeit rauf und runter.
KONZERTVORSCHAU
Haben Sie Interesse an weiteren Konzerten des SWR Symphonieorchesters? Diese finden Sie in unserem Konzertkalender.
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Sonstige Informationen
Wir weisen freundlich darauf hin, dass unautorisierte Bild- und Tonaufnahmen jeglicher Art bei dieser Veranstaltung untersagt sind.
Impressum
Sabrina Haane, Gesamtleitung SWR Symphonieorchester
Dr. Henning Bey, Künstlerische Planung
Tabea Dupree, Redaktion SWR Kultur
Henrik Hoffmann, Redaktion Programmheft
Matthias Claudi, Leitung Kommunikation SWR Ensembles und Festivals
Sämtliche Texte sind Originalbeiträge für dieses Programmheft