Zeitwort

8.1.1972: 15. Sinfonie von Schostakowitsch wird uraufgeführt

Stand
Autor/in
Georg Waßmuth

In seiner letzten Sinfonie erzählt der todkranke Komponist sein Leben: Von heiteren Kindheitserinnerungen bis zu den Schrecken der Stalin-Ära ist alles zu hören.

Kindheitserinnerungen eines Todkranken

Mit dem hellen Klang des Glockenspiels und der Solo-Flöte beginnt die 15. Sinfonie von Dmitri Schostakowitsch. Die heitere Stimmung hatte der Komponist ganz bewusst gewählt, um noch einmal Kindheitserinnerungen herauf zu beschwören. Zeiten der Unbeschwertheit und des Optimismus.

Damit war es am Tag der Uraufführung längst vorbei und der Komponist ein schwer kranker Mann. Schostakowitsch litt an einer chronischen Rückenmarksentzündung, seine rechte Hand war gelähmt, vom zweiten Herzinfarkt sollte er sich nicht mehr erholen. Er wusste, dass seine Kraft zu Ende ging und ließ sein Leben mit der 15. Sinfonie noch einmal vorbeiziehen.

Schostakowitsch komponiert die Leningrader Sinfonie
Schostakowitsch am Klavier

Lobeshymnen und Verfemung

Dmitri Schostakowitsch, das ist der Mann mit den überdicken Brillengläsern, hinter denen sich Augen verbergen, die alles Leid und Elend des 20. Jahrhunderts gesehen und erlebt haben. Die Schrecken des Zweiten Weltkriegs, die Paranoia der Stalin-Ära, die Zwänge im Sowjetregime.

Mal wurde der Komponist von höchster Stelle verfemt und die Aufführung seiner Werke als „systemgefährdend“ verboten, dann vereinnahmte man Teile seiner Schöpfungen und hob ihn staatstragend auf das Siegertreppchen.

„Meine Musik sagt eigentlich alles. Es braucht keine historischen oder hysterischen Kommentare. So gesehen ist jedes Wort über sie eigentlich unwichtig.“

Musik als Geheimwaffe

Für Schostakowitsch bleib das musikalische Zitat die Geheimwaffe, um seine wahren Gedanken auszudrücken. Kein Wink mit dem Zaunpfahl, sondern der versteckte Hinweis und der Subtext war sein Mittel der Wahl. Davon machte er in all seinen Werken regen Gebrauch und wer hören wollte, der konnte.

Die 15. Sinfonie ist gespickt mit Anspielungen auf seine Biografie und so flanieren natürlich auch seine musikalischen Hausgötter vorbei. Da funkelt zum Beispiel ganz kurz Gioachino Rossini auf, dessen Leichtigkeit im Hier und Jetzt ihm zeitlebens imponierte.

Schostakowitsch: 15. Sinfonie ∙ hr-Sinfonieorchester ∙ Andrés Orozco-Estrada

Riskante Komposition zum Lebensende

Gegen Ende seines Komponistenlebens war es Schostakowitsch egal, ob seine Musik noch systemkonform war oder der Zensur schlaflose Nächte bereitete. Selbst vom deutschesten aller deutschen Komponisten übernahm er bedeutungsvolle Passagen. Das Motiv der Todesverkündung aus Richard Wagners Heldenepos „Die Walküre“ leitet den letzten Satz der 15. Sinfonie ein. Das Libretto der Oper hatte der Russe natürlich verinnerlicht, denn er wusste, dass auch sein Abschied vorhergesagt war.

„Nur Todgeweihten taugt mein Anblick, wer mich erschaut, der scheidet vom Lebenslicht.“

Ein Meisterwerk

Die Uraufführung seiner 15. Sinfonie am 8. Januar 1972 überlebte Schostakowitsch noch drei quälend lange Jahre. Immer noch schrieb er Musik. Eine Sonate für die geliebte Bratsche ist sein letztes, vollendetes Werk. Die Druckfahnen soll er vier Tage vor seinem Tod im Krankenhaus korrigiert haben.

Der Geheimdienst KGB legte ihm dann einen Kranz auf das Grab, frei nach dem Motto: wir behalten dich weiterhin im Auge. Letztendlich ist Schostakowitsch aber mit seiner unsterblichen Musik allen Schergen entkommen. Die 15. Sinfonie zählt zu seinen Meisterwerken. Für jeden läuft am Ende leise tickend die Zeit ab. Das kann man in keinem Werk so eindringlich hören.

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Georg Waßmuth