Der 2015 verstorbene Ex-Bundeskanzler Helmut Schmidt ist vor allem als herausragender Politiker und Mitherausgeber der Wochenzeitung „Die Zeit“ bekannt. Die längste Zeit seines Lebens war Helmut Schmidt Pianist. In „Helmut Schmidt am Klavier“ von Reiner Lehberger geht es speziell um diese musikalische Seite des Lebens von Helmut Schmidt. Ein Buch, das den oft als kühlen Technokraten empfundenen Politiker Helmut Schmidt als Menschen mit seiner unabdingbaren Liebe zur Musik nahebringt.
Schallplattenaufnahme in den Londoner Abbey Road Studios
Helmut Schmidt war der erste deutsche Bundeskanzler, der eine eigene Schallplatte aufgenommen hat. Allerdings nicht ohne prominente Mitspieler: 1981 gings in die berühmten Londoner Abbey Road Studios. Zusammen mit Justus Frantz, Christoph Eschenbach und dem London Philharmonic Orchestra spielte er dort Mozarts Konzert für 3 Klaviere ein. An diese Einspielung wird sich manch einer noch erinnern; zumindest wurde das Projekt damals vom Plattenlable (EMI) gut promotet.
Vom Wunderkind konnte Anfangs keine Rede sein
Doch welche zentrale Rolle die Musik wirklich im Leben von Helmut Schmidt gespielt hat, ist weniger bekannt oder in Vergessenheit geraten. Seit seiner Kindheit spielte er auf Betreiben seiner Musikliebenden Mutter Ludovika Klavier.
Vom Wunderkind konnte allerdings keine Rede sein, und anfangs empfand er das Üben als sehr lästig. Erst der Wechsel auf die seinerzeit in Hamburg für kreative Pädagogik berühmte Lichtwarkschule brachte die Wende vom nur pflichtbewussten Anfänger zum begeisterten Pianisten.
Justus Frantz, Christoph Eschenbach und Helmut Schmidt
Die Einspielung von Mozarts Konzert für 3 Klaviere war für den Amateur Helmut Schmidt absolutes Neuland und die berühmten Partner (Justus Frantz, Christoph Eschenbach) und das großartige Orchester waren ebenso Ansporn wie Herausforderung.
Doch Helmut Schmidt handelte als Pianist genauso unerschrocken wie als Politiker, denn das Klavierspiel war sein Lebenselixier. Selbst als Soldat musste er an verschiedenen Standorten immer ein Klavier in Reichweite haben und so schloss er in den Kriegsjahren Mietverträge für zwei Leihklaviere ab.
Das Spiel an Orgel und Klavier scheint fast unabdingbar für sein Wohlbefinden in jenen Jahren gewesen zu sein. Anders, so schreibt Reiner Lehberger in seinem Buch „Helmut Schmidt am Klavier“, kann man den Aufwand, den er dafür betrieben hat, gar nicht erklären. Selbst als Bundeskanzler setzte er sich nach 15-Stunden-Tagen noch daran.
Abstand vom Alltag mit Musik
Helmut Schmidt suchte beim Klavierspielen nicht das große Publikum. Das ergab sich oft von selbst, wenn er bei privaten Feiern in die Tasten griff. Vielmehr half ihm die Musik Abstand vom Alltag zu gewinnen, über Entscheidungen zu reflektieren, Trost zu erfahren und neue Kraft zu gewinnen.
Bach war der wichtigste Komponist für ihn und so spielte er 1985 mit Gerhard Oppitz im Bund Bach’s Konzert für 4 Klaviere ein.
Das Leben nach seiner politischen Karriere
Helmut Schmidt blieb als Elder Statesman bis zuletzt ein geachteter Politikerklärer der Nation. Nach dem Ende seiner politischen Karriere war der Ex-Bundeskanzler im Februar 1987 als Publizist und Mitherausgeber der Wochenzeitung „Die Zeit“ nicht nur in einem neuen beruflichen Leben angekommen. Auch als leidenschaftlicher Klavierspieler schlug er neue Saiten an und gönnte sich einen neuen Steinway-Flügel.
Wenn es ihm möglich war, beeinflusste Helmut Schmidt auch die Musikkultur: er half dem Schleswig-Holstein Musik Festival auf die Sprünge, setzte sich beharrlich für das Fortbestehen der Hamburger Symphoniker ein, und er war führend beteiligt an der Gründung der Bundeswehr Big Band.
Bisher unveröffentlichte Fotos
Reiner Lehberger zeichnet in seinem Buch „Helmut Schmidt am Klavier“, erschienen bei Hoffmann und Campe zum Preis von 22 Euro, auf 332 Seiten einfühlsam nach, welchen Stellenwert die Musik und auch die bildende Kunst im Leben des Ex-Kanzlers einnahmen. Beides war Ausgleich zur Politik, aber auch die Grundlage für die jahrzehntelange Ehe mit seiner Frau Loki. Reiner Lehberger erzählt schnörkellos, sehr lebendig und nah an der Biographie von Helmut Schmidt.
Das Buch enthält zahlreiche, teils bisher unveröffentlichte Abbildungen. Lehberger fügt Zitate aus Interview und Reden ein und erwähnt auch schmerzliche Details in Schmidts Lebenserzählung. Am schlimmsten für den musikliebenden Altkanzler war in seinen letzten Jahren der Verlust des Gehörs.
Ein präzises Bild der Epoche Helmut Schmidts
Durch die vielen Aspekte und zeitgeschichtlichen Bezüge entsteht ein präzises Bild der Epoche Helmut Schmidt. Vor allem bringt es den oft als kühlen Technokraten empfundenen Politiker Helmut Schmidt als Menschen mit seiner unabdingbaren Liebe zur Musik nahe. Zugleich ist das Buch ein Plädoyer dafür, dass Musik bis ins hohe Alter mit Freude durchs Leben begleiten kann, auch fernab des Berufsmusikerdaseins.
SWR2 Zeitgenossen Christoph Eschenbach, Dirigent und Siemens-Preisträger
In Deutschland ist Christoph Eschenbach vor allem bekannt als früherer Leiter des NDR Sinfonieorchesters. Christoph Eschenbach ist eher ein stiller Star des Musikbetriebs. In Breslau geboren, wuchs er nach dem Krieg als Waisenkind bei einer Cousine seiner Mutter auf, einer Klavierlehrerin, die ihn mit klassischer Musik in Berührung brachte. Anfang der 1960er-Jahre startet er eine viel versprechende Karriere als Solopianist. Als Klavierpartner von Justus Frantz und Helmut Schmidt wird er auch einem größeren Publikum bekannt.