Der österreichische Komponist Anton Bruckner feiert in diesem Jahr seinen 200. Geburtstag. Was haben berühmte Dirigentinnen und Dirigenten über Bruckners Besonderheiten zu sagen? Markus Poschner, unter anderem Chefdirigent des Bruckner-Orchesters Linz, erzählt, was ihn an Bruckners Fünfter fasziniert.
Unglaubliche kompositorische Anstrengung
Anton Bruckner soll, nachdem er mit der Partiturabschrift der fünften Sinfonie fertig war, gesagt haben: „Nicht um tausend Gulden möchte ich die noch mal schreiben.“ Das mag an der unglaublichen kompositorischen Anstrengung gelegen haben, die in diese Sinfonie eingeflossen ist.
„Im Prinzip handelt es sich bei dieser Sinfonie um ein Sammelsurium aus 600 bis 700 Jahren Musikgeschichte“, erklärt Markus Poschner, der seit 2017 das Bruckner-Orchester Linz leitet und sämtliche Fassungen aller Bruckner-Sinfonien aufgenommen hat.
Man finde dort Vokal-Polyphonie, Bachsche Fugentechnik oder auch kühnste Wagnerischer Harmonik. Bruckner wollte mit diesem Werk zeigen, dass er Musikgeschichte schreibt, nichts weniger war sein Ansinnen.
Musikstunde Anmaßend genial – Anton Bruckner zum 200. Geburtstag (1-5)
Mit Christoph Vratz
Viel Volksmusik im Scherzo
Anton Bruckners 5. Sinfonie habe ein sehr kitschiges Thema im ersten Satz und ein irres Finale mit Doppelfuge im vierten Satz. Aber Markus Poschner möchte vor allem über den dritten sprechen: das Scherzo, in dem man viel über Bruckners Stil erfahren kann.
Wie auch in anderen dritten Sätzen seiner Sinfonien, spiele hier die Volksmusik eine große Rolle, erklärt Poschner. Diese sei seiner Ansicht nach „der größte und beste Schlüssel“ zu Bruckners Werken. Bruckner, der auch Geiger und Bratschist war, habe in seiner Jugendzeit viel Volksmusik gemacht, viel auf Kirchweihfesten gespielt.
Basierend auf dieser Volksmusik sei er dann extreme Wege gegangen, wie später nur noch Gustav Mahler. Zur hören seien groteske, an Totentänze erinnernde Verzerrungen, Grimassen, Parodien und Karikaturen.
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Bei keinem Künstler scheinen Persönlichkeit und Werk so wenig zusammenzupassen, wie Anton Bruckner, dessen 200. Geburtstag wir am 4. September 2024 feiern.
Nicht alles steckt in der Notenschrift
Viele Dinge müssten dabei ganz bestimmt phrasiert werden, aber das stecke nicht in der Notenschrift, erklärt Poschner. Genauso sei es mit dem Tempo. Für Bruckner war klar, welches Tempo gemeint sein muss, sodass er es nicht extra notierte.
Das sei heute oft ein Problem: „Man weiß zu wenig über die Moden der Zeit und über die Art und Weise, wie Volksmusik wirklich phrasiert und gespielt wurde“, sagt Poschner.
Mittelsätze bei Bruckner besonders wichtig
Es gibt noch weitere Gründe, den gerne übersehenen Mittelsätzen bei Bruckner mehr Aufmerksamkeit zu schenken. Hier passiere oft das, was wirklich neu ist, z.B. dass drei statt zwei Themen zu finden sind oder dass Material weitergedacht oder für den folgenden Satz vorbereitet werde.
Zeit für Recherche, Zeit zum Hören
Insgesamt wünscht sich Markus Poschner, dass man in Bruckners Werke mehr Zeit investiert. Man könne nicht alle Sinfonien über einen Kamm scheren: „Jedes dieser Werke hat sein eigenes Geheimnis, seinen eigenen Duktus und seine eigene Gestik.“
Bruckner setze viel voraus und das brauche sehr, sehr gute Recherche und Vorbereitungsarbeit. Genauso sollte man sich viel Zeit zum Hören nehmen, so der Dirigent. Allein schon, weil die Sinfonie lange dauern, doch es lohne sich.
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