Was hat die Welt von einem weiteren Klassik-Pop-Crossover-Album? ABBA im barocken Stil, dem haben sich jetzt die Saxofonistin Asya Fateyeva und die Lautten Compagney Berlin gewidmet. Ihr Album „Dancing Queen“ verbindet dabei die Musik der schwedischen Popgruppe mit Werken des Parisers Jean-Philippe Rameau.
Weltbekannte Melodien
Es gibt musikalische Phrasen und Motive, die erkennt man sofort. Die ersten Takte aus Beethovens 5. Sinfonie gehört dazu, genauso der Beginn von Johann Sebastian Bachs d-Moll-Toccata oder das „Halleluja“ aus Händels „Messias“, oder die ersten Takte von ABBAs Gimme! Gimme! Gimme!
Die melodischen Wendungen, Harmoniefolgen und rhythmischen Akzente sind so sehr ins kollektive Gedächtnis eingebrannt, dass man nicht einmal mehr den spezifischen Sound des Originals braucht, um sofort zu verstehen. Geschrieben von Benny Andersson und Björn Ulvaeus im Jahr 1979 – dem Jahr der ersten Welt-Klima-Konferenz, der beginnenden Anti-Atom-Proteste, der Gründung der Grünen und Ersterscheinung der taz.
Die Schwedin Agnetha Fältskog singt darin von ihrer Einsamkeit und dass sie sich einen Mann wünscht – auf dem Album spielt Asya Fateyeva ihren Part auf dem Saxofon, begleitet von der Lautten Compagney Berlin unter Leitung von Wolfgang Katschner.
Erfolgsgarant Poparrangements
Klassiker aus Pop- und Rockmusik für barocke Besetzung oder anderweitig klassisches Ensemble zu arrangieren, ist kein revolutionärer Akt. Das haben vor der Lautten Compagney und Asya Fateyeva schon Hunderte gemacht, es gibt ganze Veranstaltungsreihen, -Orte, Verlage, Formate, Kollektive und Einzelkünstlerinnen und -Künstler, die sich genau das als Profil auf die Fahnen geschrieben haben.
Meistens sind sie damit extrem erfolgreich – die Night of the Proms, Luciano Pavarotti oder David Garrett sind da vielleicht die prominentesten Beispiele. Geht es hier also darum die Streamingzahlen hochzutreiben und sich neues Publikum zu erschließen?
Rameau liefert musikalisches Gegengewicht
Im Booklet zum Album heißt es, die Idee kam vom Lautten-Compagney-Arrangeur und -Cellist Bo Wiget – er „wollte gern ABBA-Songs machen“. Um damit allerdings nicht ästhetisch in der Luft hängen zu bleiben, hat sich das Ensemble zu einer Kombination entschieden: ABBA mit einem Gegengewicht daneben.
Die Musik von Jean Philippe Rameau steht ABBA deshalb auf dem Album nicht wegen vermeintlicher innermusikalischer Ähnlichkeiten gegenüber – sondern weil Rameaus Werke „sehr artifiziell, aber auch exaltiert und avantgardistisch [sind]“, weil sie für damalige Ohren am Hofe Ludwigs XIV. tänzerischer und individueller klangen als alles Vorherige.
Freude beim Muszieren und Zuhören
In ihrer Interpretation machen die Musikerinnen und Musiker der Lautten Compagney keinen Unterschied zwischen den schillernden und farbenreichen Instrumentalsätzen Rameaus und der einfacher gestrickten Musik der schwedischen Popgruppe.
Dazu muss man aber sagen, dass Bo Wigets Arrangements manchen der Rameau-Orchestrierungen in nichts nachstehen – in seiner Fassung des Hits „Mamma Mia!“ etwa arbeitet er mit kontrapunktischen Elementen in der Begleitung, individuellen Soli einzelner Stimmen und improvisatorisch anmutender Klanggestaltung.
Man merkt den Musikerinnen und Musikern, genau wie der Solistin Asya Fateyeva, an, dass sie anscheinend große Freude an diesem Experiment haben – und das offenbar kein bisschen weniger als am täglich Wasser und Brot Rameau.
„Macht Spaß“
Mit ihrem Album erweitern Fateyeva und die Lautten-Compagney das abgegrast scheinende Feld des Klassik-Pop-Crossovers um eine kleine Blumenwiese in der Ecke. Die Arrangements erlauben an vielen Stellen die so überbekannten Melodien noch einmal neu zu hören, ohne dabei ihren Gehalt künstlich zu überhöhen.
Selbst das hüpfende four-to-the-floor mancher Arrangements wird dadurch nicht peinlich, und das ist vielleicht die größte ästhetische Leistung: Das Album macht Spaß, weil es gar nicht groß in die Interpretationsgeschichte eingehen will. Es nimmt sich selbst nicht so ernst.
Warum nicht auch mal etwas Spaßiges machen in einer Welt, die immer gewaltvoller wird? Irgendwo muss die Energie zum Weitermachen ja herkommen. Diese Musik ist leicht und luftig, virtuos arrangiert und interpretiert. Die möglicherweise intendierten explodierenden Streamingzahlen seien also von Herzen gegönnt.
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