Joana Mallwitz startete ihre Ära beim Berliner Konzerthausorchester mit Kurt Weill. Nun hat sie auch ihre erste Aufnahme bei der Deutschen Grammophon zusammen mit dem Konzerthausorchester diesem Komponisten gewidmet. Für SWR-Kritiker Manuel Brug ist es eine „glanzpolierte und bedeutungsgeschärfte“ Weill-Renaissance.
Eine Einspielung von zwei starken Frauen
Das Ballett „Die sieben Todsünden“ erblickte erst im Juni 1933 in Paris die Scheinwerfer der Bühnenwelt. Es ist die letzte gemeinsame Arbeit von Brecht und Weill, beide sind schon im Exil. Und bis heute gehört sie zum Repertoire aller großen Diseusen von Gisela May bis Milva, Marianne Faithful bis Ute Lemper.
Die jüngste Einspielung veröffentlichen gerade zwei starke Frauen, die gegenwärtig das Berliner Muskleben maßgeblich prägen – jede auf ihre Weise: die Sängerin, Schauspielerin, Tänzerin Katharine Mehrling, die vom intimen Spiegelzelt der Bar jeder Vernunft bis zur Komischen Oper Erfolge einfährt, und die Dirigentin Joana Mallwitz, die seit einem Jahr dem Konzerthausorchester vorsteht. Freilich wird sie längst auch von den Salzburger Festspielen wie von den Wiener Philharmonikern eingeladen.
Ihre erste Aufnahme bei der Deutschen Grammophon hat Mallwitz nun in wachem historischen Bewusstsein Kurt Weill gewidmet, mit dem sie auch ihr Berliner Amt startete.
„Die sieben Todsünden“ mit Nostalgie und Härte
Die vertanzte Geschichte von den beiden Annas aus Louisiana, die sich durch sündige Beschäftigungen als Verkäuferin und Ware und trotzdem als eine einzige Person das Geld für ein Familienhäuschen verdienen, ist Kapitalismuskritik kulinarisch.
Diese servieren Katherine und Joana sachlich wie präzise, doch mit ebenso viel Spaß an der Klangverkleidung. Dabei versuchen die beiden Frauen, die eine vokal, die andere instrumental, nicht nur in Nostalgie zu schwelgen, sondern der schillernden, wunderbar vielgestaltigen Partitur auch eine zeitgenössische Kontur, ja Härte zu geben.
Kurt Weill 2024 eben: über 90 Jahre alt, aber glanzpoliert und bedeutungsgeschärft. Das funktioniert ganz wunderbar in diesem unsentimentalen, trotzdem bitteren Tonfall.
Mallwitz glaubt an den Instrumentalkomponisten Weill
„Breit und wuchtig“, so wünschte sich Kurt Weill den Beginn seiner ersten, der „Berliner“ Sinfonie. Damit wollte der damals 21-Jährige die Hauptstadt und seinen Lehrer Feruccio Busoni erobern. Ein vergeblicher Versuch, man hat die Sinfonie nicht einmal gespielt, selbst Busoni hatte sie als expressionistisch überfrachtet kritisiert. Sie wurde erst 1958 posthum uraufgeführt.
Umso mehr reüssierte Weill freilich im Musiktheater, wo ihn gleich auch ein später Weltberühmter wie Otto Klemperer dirigierte. Joana Mallwitz aber glaubt auch an den Instrumentalkomponisten Weill, hat ihn ganz bewusst dramaturgisch an den Beginn ihres Engagements in der alten, neuen Hauptstadt Berlin gesetzt.
Wie gebürstet lässt sie das Blech des Konzerthausorchesters hier durch alle Noten der Durtonleiter gellen, doch stets den Wohlklang bewahrend. Großstadtmusik von Gestern, ganz heutig hektisch klingend. Viel Wasser ist seither die Spree hinuntergeflossen, doch der Sound von Berlin bleibt hier durchaus hörbar.
Joana Mallwitz dirigiert „virtuos und standfest“
In enger Beziehung zu den „Sieben Todsünden“ steht hingegen die noch 1933 in Berlin begonnene, dreisätzige zweite Sinfonie, die dann Bruno Walther ein Jahr später in Amsterdam uraufführte.
Scheinbar klassizistisch, ist sie doch ein klingendes Zeitpanorama aus aufblühenden Melodien, Resignation, wilder Zuversicht, einem Trauerkondukt in der Mitte und einem überschäumenden Tarantella-Finale, in das sich ein greller Nazi-Marsch mischt.
Virtuos und standfest überblendet Joana Mallwitz die widerstreitenden Stimmungen, hält sie als überzeugendes Ganzes zusammen. Und sie macht klingend erfühlbar, was sie über Kurt Weill denkt:
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