Donaueschinger Musiktage 2008 | Werkbeschreibung

Werke des Jahres 2008: "Cire Perdue"

Stand
Autor/in
Eduardo Moguillansky

"Fragment of music too stern, heard once and heard no more, what aileth thee that thy deep rolling chords come up at intervals through all the worlds of sleep, and after thirty years have lost no element of horror?"

Thomas De Quincey, "Dream Fugue",1849

"Cire perdue" ist eine Herstellungsweise für Metallskulpturen, die aus einer wächsernen Gussform gewonnen werden. Nach dem Schmelzen der Gussform verbleibt ein leerer Raum, in den eine Legierung, beispielsweise Bronze, gegossen wird. Es ist möglich, eine Vielzahl von Kopien zu fertigen, mit dem Nebeneffekt, dass mit jeder neuen Kopie die Details der Gussform zunehmend eliminiert werden.

Ich imaginiere ein geheimes Schauspiel, in dem sich eine unnennbare Gräueltat ad infinitum wiederholt (ich glaube, es war Averroes, der sagte oder schrieb, dass, was aus den Flammen der Hölle den Terror inspiriert, weniger das Feuer ist als vielmehr die Ewigkeit). In jener Metapher der Schlaflosigkeit (oder der Obsession, beide sind dasselbe), welche das (unendliche) Gedächtnis ist, ist jedes Faktum singulär. Durch die linkische Ungenauigkeit der Wiederholungen erodieren die Details, bis aus dem Original eine Maske entsteht. In der Gegenüberstellung von mehr oder weniger treuen Kopien lassen die unzähligen Variationen ihre Urform verschwinden.
Für Spinoza war die Ewigkeit nicht die Gesamtheit des Vergangenen, Gegenwärtigen und Zukünftigen, sondern die Beständigkeit des Augenblicks. Ich stelle mir jene makabre Darstellung in einer Zeit außerhalb der Zeit vor, in der jedes Element der Reihe simultan auftritt. "Cire perdue" besteht aus sechs Versuchen, jenes Ursymbol zu rekonstruieren. Warum sechs? In der Mathematik Cantors ist eine transfinite Zahl die, in der die Teile nicht kleiner als das Ganze sind. Ich vermute, dass in jeder Wiederholung alle ihre Spiegelungen vorhanden sind. Jede Zahl, beispielsweise sechs, enthält in sich die ganze Ewigkeit.

Ich habe bereits früher versucht, wahrscheinlich mit zweifelhaftem Erfolg, den Moment einzufangen, in dem die Wahrnehmung der Details (jenes Palimpsest, in dem eine Wiederholung die vorausgegangene an den Stellen, bei denen die Formen sich überschneiden, wegradiert) Metawahrnehmung wird, Wahrnehmung von sich selber. Das "Thema", der "Inhalt" verschwinden vor dem Beweis ihrer Austauschbarkeit. Jedes Ritual hat etwas Heretisches und etwas Belangloses an sich, mehr wahrscheinlich letzteres. Wie im Paradox der Landkarte und des Territoriums versuchen wir, in der menschlichen Skala die Unermesslichkeit des Universums wiederzufinden, in der Hoffnung, dass aus irgendeinem versteckten Winkel die Buchstaben des Universums unseren Namen bilden.

Stand
Autor/in
Eduardo Moguillansky