Donaueschinger Musiktage 2012 | Werkbeschreibung

Werke des Jahres 2012: "PANORAMA / PHANTOM / PRÄPARAT"

Stand
Autor/in
Eduardo Moguillansky

für Ensemble und Elektronik.

"What is called music is a device that in the West has appended musical prostheses, instruments, to the body: an adjunction which required new investments onto certain parts of it: the hands, the fingers, the arm-shoulder-chin of the violinist, the knees of the cellist, etc. Being a device, it is a supperposition of grids (pitches, rhythms, chords) that filter flows of energy, in this case, sound. These grids are not things, they are libidinal investments that block the entrance and exit of certain sounds, and that maintain and transmit themselves. A major portion of the libidinal potential is used in these policed-policing functions."

Jean-François Lyotard, "Several Silences"

"Phantom, das heißt wörtlich: Trugbild. In medizinischen Kontexten bezeichnete es die künstlichen Modelle von Körperteilen, die im Unterricht vorgeführt wurden. So beschrieb 1759 beispielsweise die Hebamme Madame Le Boursier du Coudray eine selbsterfundene machine-mannequin aus Seide, ein sogenanntes ‚Phantom', das sie – zusammen mit einer Babypuppe – auf Reisen mitnahm, um die Entbindungskunst zu lehren. Phantome sind demnach Modelle körperlicher Funktionen, die den Ersatzgliedern, den Prothesen, ähneln. Solche Prothesen wurden bereits in den napoleonischen Kriegen konstruiert und verwendet; so hieß es vom Automatenbauer Johann Nepomuk Mälzel, dem Erfinder des Metronoms, er habe sich erfolgreich mit der Konstruktion ‚künstlicher Füße' befasst (...) Die Möglichkeit, einem massenhaften Prothesenbedarf auch durch industrielle Fertigungstechniken zu entsprechen, eröffnete sich freilich erst nach dem Ersten Weltkrieg. Nun wurden allerdings nicht mehr die künstlichen, sondern die fehlenden natürlichen Körperteile als Phantome, genauer, als Phantomglieder, bezeichnet.

"Thomas Macho, "Phantomschmerz"

Die Form verschleiert den Zweck: Wenn wir eine Posaune und eine Klarinette beobachten, nehmen wir an, dass der Klang durch den Trichter projiziert wird. Bei der Posaune trifft das zu, bei der Klarinette nicht: Der Klang verlässt das Instrument vorwiegend durch die erste freie Öffnung. Mahler wusste es: "Schalltrichter auf" ist ein theatraler Akt.

Aus jedem Instrument ist ein Präparat geworden: eine Versuchsanordnung als Klangsituation. Jedes Instrument hat eine spezifische Konfiguration, die erlaubt, Kategorien hörbar zu machen, die im Instrument latent sind und die Bedingungen dessen Funktionierens ausmachen.

KLARINETTE. Mit einer Matrix aus 14 Mikrofonen wird jede Öffnung der Kontrabassklarinette isoliert abgenommen und durch einen bestimmten Lautsprecher im Raum projiziert. Die Lautsprecher folgen der Topologie des Instruments: Sie generieren eine augmentierte Version des Instruments. Die Bewegungen im Raum sind ein direktes Abbild der Abstrahlmuster im Instrument. Fingersätze, mehr als Noten, definieren die Trajektorien und konstituieren das Material.

CELLO. Wir haben es oft gehört: Der Klang eines Streichinstruments wird am Bogen generiert. Das Cello spielt mit einem modifizierten Bogen: Statt mit Haaren wird der Bogen mit einem Tonband bespannt. Der Spielkopf wird auf das Instrument befestigt. Die Beziehung ist umgekehrt: Das Instrument spielt den Bogen. Das Offensichtliche passiert: Die Klangrichtung folgt der Bogenrichtung (Abstrich=vorwärts, Aufstrich=rückwärts), Bogengeschwindigkeit wird als Tonhöhe hörbar, und durch die absolute Position des Bogens werden die verschiedenen Klänge, die im Bogen aufgenommen sind, abgespielt.

POSAUNE. Der Klang der Posaune entsteht an den Lippen. Dabei ist das Instrument nicht ganz unschuldig: Es erzeugt einen Widerstand, resoniert nicht in jeder Frequenz. Durch die Resonanz des Instruments wird den Lippen das Schwingen erleichtert; es entsteht ein Feedback-Loop. In unserer Konfiguration wurde das Instrument invertiert: Ein Lautsprecher projiziert im Inneren des Instruments (durch den Trichter) die Klänge, die durch ein Mikrofon am Mundstück aufgenommen werden. Auch hier entsteht ein Loop, dessen Tonhöhe nicht durch die Länge des Zugs bestimmt ist, sondern durch die Nicht-Linearität des Systems. Sind aber die Zugbewegungen schnell, verschiebt sich die Phase genug, um die stehende Welle temporär zu destabilisieren. Die Tonhöhen-Schwankungen, die mit der Resonanz der Posaune nichts zu tun haben, sind der Loop an sich, der versucht, sich wieder aufzubauen.

E-GITARRE. Im Fall der E-Gitarre zentriert sich die Versuchsanordnung auf das Spezifische des Instruments: Nicht das Elektrische, sondern das Magnetische macht die E-Gitarre aus. Die Strategie der Schaltung wird von der Posaune verbatim übernommen, der Lautsprecher wird durch einen Transducer ersetzt. Ein Transducer, der durch ein Audiosignal moduliert wird, ist im Prinzip ein Magnet. Angebracht am Instrument, können die Saiten dadurch zum Schwingen gebracht werden. Das Signal des Pickups wird zum Transducer weitergeleitet: Eine stehende Welle wird generiert, wo das Verbreitungsmedium nicht die Luft, sondern die Saiten an sich sind. Das Instrument kann negativ gespielt werden, indem man Saiten dämpft, um sie zu filtrieren.

TROMPETE. Was ist ein Klangspiegel? Wenn ein Bildspiegel eine Kopie eines Bildes ist, die zum Original zurückgeworfen wird und nur in dessen Präsenz entstehen kann, dann ist ein Klangspiegel wahrscheinlich auch das: ein Echo, eine Verzögerung. Hier wird eine Konstruktion aus der Zusammenstellung einer Posaune und einer Trompete benutzt. Klang wird durch einen Lautsprecher am Trichter der Posaune projiziert und am Mundstück der Trompete wieder abgenommen. Der totale Abstand beträgt zwischen vier und fünf Metern mit einer Speicherzeit zwischen 10 und 15 Millisekunden. Schade nur, dass das menschliche Ohr diese Verzögerung allein nicht wahrnehmen kann. Wie aber im Fall des Spiegels, kommt der gespeicherte Klang nicht unverändert zurück: Er wurde in der Phase verschoben. Mischt man Original und Spiegel, entstehen Interferenzen. Wird die Speicherzeit moduliert, kann das Spektrum des Klangs manuell verändert werden, so dass verschiedene Obertöne fokussiert werden. Abstand wird Zeit wird Klangfarbe.

KLAVIER. Das Klavier wird nach einer Variation der oben genannten Idee angeordnet. Das Prinzip der Tastatur wird für die Vertikale verwendet. Die erste Hälfte der tiefsten Saite wurde 240 Mal gesampled (einmal pro Rille) und auf einem Keyboard gespeichert. Die Obertöne, die oft vom temperierten System abweichen, werden mit den "richtigen" Klavier-tönen konfrontiert und zur Rechenschaft gebracht.

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Autor/in
Eduardo Moguillansky