Musikthema

Auf der Suche nach den vergessenen Komponistinnen Italiens

Stand
Autor/in
Thomas Migge
Onlinefassung
Dominic Konrad

Komponierende Frauen sind immer noch und immer wieder ein spannendes Forschungsfeld der Musikwissenschaft. Vor allem in Italien, wo die meisten historischen Archive von Musikakademien, Palästen und Klöstern bisher gerade mal ansatzweise erforscht worden sind. Dort forschen Expertinnen und Experten nach vergessenen Komponistinnen des italienischen Barock. Keine leichte Sache.

Die vergessenen Komponistinnen des italienischen Barock

Die herzergreifende Canzona „Che si pò fare?“ komponierte Barbara Strozzi im 17. Jahrhundert. Strozzi ist die vielleicht bekannteste und am meisten aufgeführte Komponistin des italienischen Barock. Schon zu Lebzeiten war sie berühmt als Tonsetzerin und Sängerin.

Weniger bekannt und weitaus seltener zu hören sind die geistlichen Werke von Vittoria Raffaella Aleotti, einer Augustiner-Nonne aus Ferrara. Dabei war sie die erste komponierende Frau Italiens, die eine Sammlung religiöser Polyphonie veröffentlichte, die „Sacre cantiones”.

Auch Isabella Leonarda war eine komponierende Ordensfrau. Die Tochter eines Grafen konnte als Mutter Oberin eines Klosters relativ frei von gesellschaftlichen Zwängen ihrer Zeit als Komponistin arbeiten. In ihrer Heimatstadt Novara war sie eine Berühmtheit. Auch deshalb, weil sie nicht nur Kirchen- sondern auch Kammermusik komponierte.

Im übrigen Italien kannte man sie so gut wie gar nicht und noch heute zählt Isabella Leonarda zu den eher unbekannten komponierenden Frauen des italienischen Barock. Und damit zu einer großen Mehrheit musizierender und auch singender Frauen, die eigene Werke vertonten, aber in Italien musikwissenschaftlich nur wenig erforscht sind.

Venedig

Porträt Barbara Strozzi – Komponistin und Kurtisane im barocken Venedig

Barbara Strozzi (1619 - 1677) sang sich mit ihrem Sopran aus dem gesellschaftlichen Morast, redete sich an die Spitze von Venedigs Gelehrtenzirkeln und stand in der ersten Reihe der Venezianischen Komponisten. Vor 400 Jahren wurde sie geboren.

Komponierende Adelsdamen, Nonnen und Kurtisanen

 „Ich kann leider nicht sagen, wie viele und welche Komponistinnen dieser Epoche wir noch nicht wissenschaftlich erforscht haben”, sagt der Musikhistoriker Gregorio Moppi „weil die meisten dieser Frauen des 17. und frühen 18. Jahrhunderts vollkommen unbekannt sind. Erst seit einigen Jahren werden Italiens Musikarchive nach komponierenden Frauen untersucht. So wurde zum Beispiel die Ordensfrau Raffaella Aleotti aus Ferrara wiederentdeckt”

Interessant ist, dass die Mehrheit der komponierenden Frauen des italienischen Barock entweder den gehobenen Schichten – dem Adel, dem wohlhabenden, gebildeten Bürgertum oder dem Klerus – angehörten, oder auch der Halbwelt als Kurtisanen. Sie waren keine einfachen Prostituierten, sondern so genannte „cortigiane oneste” (ehrbare Kurtisanen), die in ihrer Zeit nicht nur für ihre Schönheit und ihre Fähigkeiten in der Liebeskunst, sondern auch für ihre Bildung berühmt waren.

Wie etwa Nina Barcarola, die bekannteste Kurtisane Roms im 17. Jahrhundert. Sie war die Geliebte von Kardinal Antonio Barberini, einem ausgewiesenen Musikliebhaber. Für ihn komponierte und sang sie. Nina Barcarola wurde eines Abends, nachdem sie ihren Geliebten verlassen hatte, verhaftet. Man warf ihr vor, satirische Canzone gegen Donna Olimpia, die allmächtige Cousine des regierenden Papstes Innozenz X., komponiert und gesungen zu haben.

Pierre Mignard: Die heilige Cecilia singt das Lob Gottes (1691)
In Italien setzt sich die Musikgeschichte erst seit kurzem mit Komponistinnen der frühen Neuzeit auseinander. Viele Quellen und wahrscheinlich auch Werke schlummern in Archiven von Klöstern und Adelspalästen.

Die Musikforschung Italiens setzte sich erst spät mit Komponistinnen auseinander

Von diesen singenden Kurtisanen ist dokumentarisch bisher nichts bekannt, was musikwissenschaftlich von Interesse sein könnte. Die an der Universität von Palermo forschende Musikwissenschaftlerin Ilaria Grippaudo ist seit Jahren auf der Spur vergessener barocker Komponistinnen: „Die Musikforschung Italiens hat sich erst sehr spät des Themas komponierender Frauen des Barock angenommen.”

Es waren, so Grippaudo, zunächst ausländische Musikwissenschaftler*innen, die in Italien nach den Werken komponierender Nonnen zu forschen begannen. 

Ilaria Grippaudo hat sich auf Komponistinnen in Palermo spezialisiert. Sie ist davon überzeugt, dass es da in den vielen Archiven von Palästen und Klöstern, zum großen Teil noch gar nicht wissenschaftlich erforscht, einiges zu entdecken gibt: „Das Musikleben in Palermos Klöstern war damals sehr reich und doch habe ich noch keine eindeutigen Hinweise auf komponierende Palermitaner Ordensfrauen finden können”, erklärt Grippaudo.

Isabella Leonardas Triosonaten, interpretiert vom Ensemble Giardino di Delizie

Auf der Suche nach einer komponierenden Nonne in Palermo

Die müsse es aber geben, Indizien habe sie viele, meint Grippaudo: „Etwa die Existenz einer Komponistin, eine Nonne des Klosters der Unbefleckten Empfängnis, das 1735 für die Krönung Karls III. von Spanien ein musikalisches Fest ausrichteten. Das Libretto des dafür von den Nonnen organisierten Oratoriums stammte von einer der Ordensfrauen. Wer die Musik komponiert hat? Sicherlich eine andere Nonne, deren Namen aber von zeitgenössischen Chroniken verschwiegen wird.”

Musikwissenschaftlerin Grippando vermutet, dass im damaligen Sizilien die Namen der religiösen Komponistinnen verschwiegen wurden, weil es sich nicht gehörte, dass die adligen Damen im Kloster als Tonsetzerinnen öffentlich in Erscheinung traten. Und genau deshalb wühlt sich Grippando durch die immensen Dokumentenbestände der Klöster Palermos. Immer in der Hoffnung, schon bald Hinweise auf namentlich genannte Komponistinnen und ihre barocken Werke des Barock entdecken zu können.

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Thomas Migge
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Dominic Konrad