Im Sinfonie- oder Blasorchester gehört die Tuba zu den wichtigen, aber unauffälligen Instrumenten. Deshalb dauerte es auch ziemlich lange, bis jemand mal ein Solokonzert für das tiefe Blechblasinstrument geschrieben hat: 1954 komponierte Ralph Vaughan Williams das wahrscheinlich erste Tubakonzert der Musikgeschichte.
Vom milden Tenor in den dunkelsten Bass
Es klingt zu Beginn ein bisschen nach einer lustigen Marsch-Parodie, die Tuba macht nämlich nicht das, was man eigentlich von ihr erwartet. Sie bläst eben nicht einfach nur die Bassnoten des Satzes auf den wichtigen Zählzeiten. Sie zeigt vielmehr erstmal selbstbewusst ihren ganzen Tonraum auf.
Von der milden Tenorlage bis in die dunkelsten Bassregionen, das ist schon mal ein starkes Statement. Und gleich danach folgt so etwas wie: das was die Streicher hier spielen, das kann ich auch!
Von Anfang an emanzipiert sich die Tuba im Konzert von Ralph Vaughan Williams als vollwertiges Soloinstrument. Auch in Sachen Beweglichkeit macht der Solist oder die Solistin gleich klar: das Image vom tapsig-komischen Elefanten-Instrument ist bloß ein Klischee.
Auf der anderen Seite spielt Vaughan Williams aber auch bewusst mit komischen Elementen. So flirtet die Tuba nach einem Tonartwechsel erstmal in kurzen Staccato-Noten mit den Holzbläsern des Orchesters.
Tiefster Blechbläser Tief tönt die Tuba: Instrument des Jahres 2024
Sie ist das tiefste Blechblasinstrument und sorgt als solches im Orchester für ein sonores Fundament. Als Soloinstrument führt sie im Allgemeinen ein Nischen-Dasein.
Ein Kompositionsauftrag des London Symphony Orchestra
Warum hat Ralph Vaughan Williams sein Konzert im Jahr 1954 ausgerechnet für eine Solo-Tuba geschrieben? Das ist bis heute nicht ganz geklärt. Der Komponist war damals schon in fortgeschrittenem Alter und hat sich mit eher ungewöhnlichen Instrumenten wie etwa der Mundharmonika beschäftigt.
Dann hat er einen Auftrag für ein neues Konzert bekommen: das London Symphony Orchestra hat damals sein 50-jähriges Bestehen gefeiert. Dabei muss er irgendwie auf die Idee mit der Tuba gekommen sein. Den Solo-Part hat damals der erste Tubist des Orchesters Philip Catelinet übernommen. Und der hat vor allem im zweiten Satz viel Luft gebraucht.
Da gibt es nur wenige Möglichkeiten zu atmen: Vaughan Williams schreibt eine wunderschöne Melodie für die Romanze, den zweiten Satz seines Tubakonzerts.
Dicke Tuba und aufsteigende Lerche
Spannend finde ich auch wie das Orchester erst mal die Grundstimmung etabliert und sich die Tuba dann ganz unauffällig dazu schleicht. Ganz anders als im Kopfsatz des Konzerts!
Dazu hat die Musikwissenschaft herausgefunden: die Melodie der Tuba erinnert stark an ein anderes Werk von Vaughan Williams: „The Lark Ascending“ (deutsch: „Die aufsteigende Lerche“) für Violine und Orchester. Vielleicht wollte der Komponist ja zeigen: Auch die dicke Tuba kann so schön wie der zierliche Vogel singen.
„The Lark Ascending“, NDR Radiophilharmonie mit Arabella Steinbacher
Sehnsuchtsvoller Rückblick auf die Vergangenheit
Nach der verträumten Anfangsstimmung wird es ernst in der Mitte der Romanze. Die Tuba beginnt die Melodie zu umspielen – mit ganz ähnlichen Figuren wie man sie etwa von der Barockmusik her kennt. Überhaupt wirkt der Satz auf mich wie ein sehnsuchtsvoller Rückblick auf die Vergangenheit.
Das liegt wahrscheinlich daran, dass Vaughan Williams hier ein sehr liedhaftes Thema erfunden hat. Er hat gerne mal englische Volkslieder in seine Musik eingebaut.
Der Finalsatz gerät zum Wiener Walzer
Das Finale gehört allerdings dem Land, in dem die Tuba erfunden worden ist: Deutschland. „Rondo alla tedesca“ steht darüber, ein Rondo im deutschen Stil. Und dazu gehört für Vaughan Williams offenbar auch der Wiener Walzer.
Die Tuba versucht ständig, die ersten Zählzeiten des Taktes zu meiden. Das sind die Stellen im Satz, die das Instrument normalerweise beim Walzer mit einem saftigen Basston markiert.
Auch hier also die klare Ansage: Die Tuba kann mehr, als man ihr so zutraut! Sie kann etwa auch in die Rolle eines Waldhorns schlüpfen. Das spielt beim Wiener Walzer gerne mal die lyrische Hauptmelodie. Bei Vaughan Williams darf natürlich die Tuba ran.
Erinnerungen an Maurice Ravel
Das Finale von Vaughan Williams Tubakonzert ist eine Art komprimierter Walzer: alle wichtigen Elemente kommen vor. Aber das Stück ist eigentlich schon zu Ende, bevor es erst richtig angefangen hat.
Das erinnert mich stark an Maurice Ravels Komposition „La Valse“, wo der Wiener Walzer systematisch dekonstruiert wird. Vaughan Williams hat zeitweise bei Ravel studiert. Bestimmt kein Zufall.
Am Ende des Konzerts darf der Solist oder die Solistin dann eine freie Kadenz spielen und nochmal alle Register ziehen. Der Höhepunkt des Konzerts ist erreicht und der kurze Schluss danach mehr Formsache.
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