Eine Studie von der Bertelsmann-Stiftung fand bereits vor der Pandemie heraus, dass an deutschen Grundschulen über die Hälfte des Musikunterrichtes ausfällt. Ein Zustand, der sich nicht allzu schnell verbessern wird, denn es fehle an Nachwuchs. Das hat mehrere Gründe, kommentiert Axel Brüggemann.
Mangel an Lehrkräften
Die Zahlen sind schockierend. 2020 hat die Bertelsmann-Stiftung herausgefunden: An Deutschen Grundschulen fällt über die Hälfte des Musikunterrichtes aus. Das bedeutet: Der Staat kann das PFLICHT-Fach Musik nicht mehr anbieten. Sport und Musik werden, ausgerechnet im Land von Bach, Beethoven Brahms als Nebenfächer behandelt. In der alten Studie hieß es: bis 2028 würde sich die Situation nicht verbessern. Und nun – nach der Corona-Pandemie – wird alles noch viel schlimmer als erwartet.
Professor Andreas Lehmann-Wermser vom Institut für musikpädagogische Forschung in Hannover (er hatte an der Studie mitgearbeitet) schlägt Alarm: Es fehle an Lehramt-Studierenden. Bewerberzahlen brechen dramatisch ein. In Hannover gibt es inzwischen weniger Bewerber als Studienplätze – und man müsse noch Bewerberinnen und Bewerber abweisen – auf Grund mangelnder Qualifikation.
Die Spätfolgen der Pandemie
Die Politik versucht bereits gegenzusteuern. Aber noch scheitern die Mittel. Bundesländer wie Brandenburg haben heute doppelt so viele Studienplätze für Musikpädagogik als 2020. Aber auch hier: es fehlen Bewerberinnen und Bewerber.
Andreas Lehmann-Wermser führt das darauf zurück, dass das praktische Erlebnis Musik in der Pandemie gelitten habe – vielen sei die Schönheit und Bedeutung der Musik nicht mehr präsent. Und natürlich läge es auch am Studium selbst: zu komplex – neben Musik müssen auch andere Hauptfächer UND Pädagogik – studiert werden. Das schreckt viele ab. Und selbst wer ein Studium beginnt, biegt während der Studienzeit oft auf den Weg einer Solo-Karriere ab.
Einstiegsschwelle zu hoch?
Eine Möglichkeit sei es, die Aufnahmekriterien anzupassen, sagt, die SPD-Kulturpolitikerin und die Präsidentin des Brandenburgischen Parlaments, Ulrike Liedtke. Sie will das Studium weniger wissenschaftlich und mehr praxisorientiert angehen. Ob sich damit die über 20.000 unbesetzten Stellen im deutschen Musikunterricht besetzen lassen?
Oder muss der Beruf grundsätzlich wieder attraktiver gemacht werden? Fakt ist: die Menschen, die wir heute nicht ausbilden, werden morgen auch nicht Musik unterrichten.
Wenn der Staat verpennt
Alle Studien zeigen: Musik kann ein Fach sein, das – ganz nebenbei – die größten Probleme an unseren Schulen lösen könnte: Konzentration, einander Zuhören, gemeinsames Arbeiten an einer Idee, dazu: Rhythmus, Bewegung und Phantasie.
All das geht gerade verloren! Musik gehört nicht mehr zur Selbstverständlichkeit einer deutschen Schulausbildung.
Wenn wir dieses Problem nicht lösen, brauchen wir uns in deutschen Theatern und Orchestern auch keine Gedanken mehr um Publikumsbindung machen. Den Institutionen wurden in den letzten Jahren immer mehr pädagogische Programme auferlegt. Sie sollen durch Kinder- und Jugendkonzerte plötzlich erfüllen, was der Staat verpennt: musikalische Bildung für alle!
Debatte erforderlich
Es ist Alarmstufe Rot. Über die Hälfte Unterrichtsausfall – in einem Land wie Deutschland. Das Problem lässt sich nicht im Hau-Ruck-Verfahren lösen. Wir brauchen jetzt eine Debatte, wie wir es gemeinsam schaffen, den Musikunterricht in Deutschland wieder interessant zu machen. Für die Schülerinnen und Schüler – aber auch für die Musiklehrerinnen und Musiklehrer!