Buch-Tipp

Bernhard König: Musik und Klima

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Autor/in
Hannah Schmidt
Hannah Schmidt

Jetsettende Orchester, weit anreisendes Publikum, internationales Renommee als den wohl größten Qualitätsbeweis für die Arbeit eines Künstlers – wann haben wir das zuletzt ernsthaft hinterfragt? In seinem Buch „Musik und Klima“ geht der Komponist Bernhard König diesen eher unpopulären Weg und fragt, was Konzert, Streaming und Oper mit der Zukunft des Planeten zu tun haben. Kleiner Spoiler: extrem viel.

Wachgerüttelt durch Fridays for Future

Die Fridays-for-Future-Bewegung hat den Komponisten Bernhard König nachhaltig erschüttert. Zwar war er, wie er in seinem Buch „Musik und Klima“ schreibt, als Jugendlicher durchaus umweltbewusst und politisch aktiv – doch habe sich der Wunsch dieses „17-, 18-, 19-Jährigen“, die Welt mit den ihm zur Verfügung stehenden Mitteln für alle Menschen zu einem besseren Ort zu machen, nach und nach mit dem Erwachsenwerden, in Ernüchterung und tatenlose Akzeptanz aufgelöst.

Bei einer der Fridays-for-Future-Demonstrationen 2019 begegnet ihm sein früheres Ich wieder: „Was hast du eigentlich die ganze Zeit gemacht?“, fragt er sich. „Zugfahren und taz-Lesen – ist das alles, was von unserer Kampfansage gegen die Übel der Welt geblieben ist?“

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Das Buch „Musik und Klima“ erzählt auf knapp 450 Seiten, wie der „alternde Komponist“ infolge dieser imaginären Begegnung aus seiner Lethargie erwacht, und nimmt die Leserinnen und Leser mit auf dessen tiefgreifende, erschütternde und utopische Gedankenwanderung.

Wissenschaftlich fundiert, rhetorisch stark

Der Text ist dabei kein Roman, auch wenn er immer wieder mit entsprechenden literarischen Mitteln spielt – im Gegenteil, wir haben es mit einem wissenschaftlich fundierten und rhetorisch außergewöhnlich starken Sachbuch zu tun.

König stellt drängende, aber schmerzhafte Fragen für all diejenigen, die in der Musikbranche tätig sind: Welche Daseinsberechtigung und Relevanz hat unser Musikbetrieb vor dem Hintergrund der gegenwärtigen globalen Krisen – welchen konkreten „Weltbezug“ hat Musik also? Dürfen bzw. können wir so weitermachen wie bisher?

Für König ist unsere Welt aus den Fugen geraten und zwar ökologisch, politisch und sozioökonomisch. Für all diejenigen, die diese Tatsache ernsthaft noch anzweifeln, liefert er kapitelweise Argumentationen und Belege, die von jahrelanger Auseinandersetzung mit dem Themenkomplex zeugen.

Starke und unpopuläre Fragen

Die Stärke besteht hierbei unter anderem darin, dass er immer wieder den konkreten Rückbezug sucht zur Musik – und zwar auch auf bisher unpopuläre Weise: König fragt nicht nur, wie sich die menschengemachte Klimaerhitzung auf die Musik auswirkt, und wie Akteurinnen und Akteure am effektivsten an der Schadensbegrenzung arbeiten können – er fragt auch, wie Musik selbst dazu beigetragen hat, dass der Planet heute wortwörtlich brennt.

Die Antwort: auf ganz vielen Ebenen sehr viel – zum Beispiel bei der Entstehung und Etablierung des Massentourismus:

Immer häufiger erzählte Musik nun auch vom Unterwegssein, von fernen Ländern und exotischen Verlockungen. Immer häufiger wurde Musik ganz gezielt als touristischer Anreiz eingesetzt.

Umweltschädlich: Ob Streaming oder Massenbewegungen des Publikums

Und das ist nur ein Beispiel von vielen. Bernhard König erzählt genauso von der Materialisierung von Musik in Form von Platten und CDs und der CD-Hülle als wohl umweltschädlichste Verpackung. Er spricht vom Streaming als der wohl klimaschädlichsten Art Musik zu konsumieren; von nicht nur reisenden Orchestern – sondern den viel klimaschädlicheren teils internationalen Massenbewegungen des Publikums.

Bregenz

Premiere für 7.000 Zuschauer trocken und warm Viel Applaus für "Der Freischütz" bei den Bregenzer Festspielen

Zum Start der 78. Bregenzer Festspiele hat am Mittwochabend die Oper "Der Freischütz" auf der Seebühne Premiere gefeiert. Die Aufführung erhielt von den rund 7.000 Zuschauern viel Beifall.

SWR4 BW am Morgen SWR4 Baden-Württemberg

Er schreibt von der tief verankerten Haltung des Beherrschens und der Inbesitznahme der Natur gegenüber, die sich zum Beispiel in Musik zeigt, die mit Naturaufnahmen arbeitet, über sie verfügt und nach Belieben umformt; und von innermusikalischen Wachstumslogiken und Steigerungszwängen, die einander bedingen und gegenseitig selbst erzeugen:

So lange maximale Weltreichweite ein zentrales Erfolgskriterium ist, führt Musikliebe unweigerlich dazu, die Welt ein klein wenig hässlicher zu machen.

Mehr Klimaschutz zwingend notwendig

Was also tun? Soll Musik sich nun dem Klimaschutz verschreiben? Darf es angesichts dieser Katastrophe, die wir selbst verursacht haben, überhaupt noch schlicht schöne, unpolitische Musik geben? Beschneidet nicht alles andere die vielgerühmte Kunstfreiheit? Hierauf hat König eine leidenschaftliche Antwort:

„Wenn Kunst die Tochter der Freiheit ist, dann ist Freiheit die Tochter eines intakten Planeten. Zu fordern, dass wir Musikliebenden uns mit höchster Priorität und mit all unseren Fähigkeiten und Ressourcen, unserer Begeisterungsfähigkeit und Gestaltungskraft für den Schutz des Klimas einsetzen sollten, ist deshalb kein Widerspruch zur Freiheit. Es ist dessen zwingende und notwendige Konsequenz.“

„Renaissance des Regionalen“

Kunstfreiheit, schreibt er weiter, dürfe nicht länger „als eine Freiheit zur grenzenlosen Expansion“, sondern müsse „als Freiheit vom Expansionszwang“ verstanden werden. Er plädiert für das Prinzip der „Suffizienz“, das auf der Hoffnung basiert, „dass Menschen in der Lage sind, sich selbst Grenzen zu setzen und sich gemeinschaftlich für eine maßvolle und auskömmliche Lebensweise zu entscheiden.“

Konkret bedeutet das für die Musik zum Beispiel eine „Renaissance des Regionalen“ statt weiter auf „eine expansive, ungerechte und hässliche Form der Mobilität“ zu setzen, „bei der es einzig und allein um maximale Bekanntheit, maximalen Konsum oder maximale ‚Weltreichweite‘ geht“.

„Resonanz“ statt grenzenlose Expansion

Dem Wachstum soll „Resonanz“ entgegengesetzt werden: Eine Ästhetik, die „zwischen Mensch und Musik, Mensch und Mensch, Mensch und Welt“ eine „Saite zum Klingen bringt“:

Wir alle müssen lernen, dass die Ära der grenzenlosen Expansion vorbei ist.

Bernhard Königs „Musik und Klima“ ist ein aufrüttelndes Buch, das endlich den Zusammenhang zwischen Musik und Welt im 21. Jahrhundert greifbar macht – es lässt keine zentrale Frage aus, keinen kritischen Seitenaspekt ungenannt, es führt durch das Basiswissen der Klimaforschung, durch Ästhetik und Philosophie, es macht kluge feuilletonistische Ausflüge zu Stationen der politischen Menschheitsgeschichte, in der gesellschaftlicher Wandel ganz zentral von Musik ausging und sich in ihr manifestiert hat.

Ernsthafte Lösungsansätze

Aber umso wichtiger: Bernhard König ruht sich nicht darauf aus, die Missstände anzuklagen, sondern er bemüht sich um ernsthafte Lösungen und umsetzbare Denkansätze: Was muss sich ändern, und was können Musikschaffende konkret dazu beitragen?

Das versandet allerdings nicht bei halbgaren Empfehlungen im Stil der Bambuszahnbürste, sondern fußt auf substanzieller Machtkritik und zieht die Konsequenz mit einer Art Forderungskatalog an die Kulturpolitik.

Bleibt nicht mehr zu sagen als: Jede Person, die Musik liebt und sich als aktiven Teil dieser Welt und Gesellschaft versteht, sollte dieses Buch lesen und sich zu Herzen nehmen.

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