Kommentar

Über die Kunst des Wartens: Auf dem Bahnsteig, im Konzert und im Advent

Stand
Autor/in
Gordon Kampe

Warten kann nerven: Aber gerade die Adventszeit kann ein Training sein, auf einen besonderen Moment innig und geduldig zu warten. Das hilft uns beim Bahnfahren oder an der Supermarktkasse, findet unser Glossenschreiber Gordon Kampe.

Warten aufs Christkind – Bahnfahren ist wie Daueradvent

Macht hoch die Tür, die Tor macht weit! In der Adventszeit wartet die Christenheit auf die Wiederkunft Jesu Christi. Wer oft mit der Bahn fährt, kennt das: Bahnfahren ist wie Daueradvent, wenngleich die Wiederkunft des Lokführers wenig realistisch erscheint.

Sorry... ich höre ja schon auf! – Warten nervt: Auf den Zahnarzttermin, die Ampel, das Pils. Ist man mächtig, kann man mit „Wartenlassen“ seine Position in der Hierarchie unterstreichen – aber, wie man’s dreht und wendet: im Alltag wartet niemand gern.

Auf den Bass-Drop in Bad Oldesloe warten

In der Musik ist es anders. Da ist das Warten essenziell. Vielleicht waren Sie am Wochenende auch wieder in einer dieser düsteren Techno-Kaschemmen in Bad Oldesloe. Es gibt da immer diesen beeindruckenden Moment, wenn alle zusammen auf den Wiedereintritt des Basses warten. Die Musik schraubt und schraubt sich in die Höhe – man ahnt, was kommt... Doch der Bass wird vorenthalten, bis – Baddabumm – er wieder da ist und das Warten sich gelohnt hat.

Waiting for the bass drop like…

Wäre Godot ein DJ –, die Welt würde vollends verrückt. In der klassischen Musik, hier kenne ich mich ein bisschen besser aus, ist das Warten die Königsdisziplin. Wer Wagner mag, wartet gern. Im Tristan gefühlt 16 Stunden auf eine gescheite Tonika, im Parsifal auf das Ende des Gurnemanz-Monologs. Grundgütiger, das kann dauern.

Warten in der Kklassischen Musik: eine Königsdisziplin

Ein paar Beispiele vom Wartekönig Beethoven: Eroica. Die heftig revolutionären Es-Dur-Schläge zu Beginn. Wenn Sie da gemütlich warten bis es losgeht, verpufft die Revolution – Zackebumms, aus die Maus. Zwei Sinfonien später komponiert Beethoven das Warten dann aus: die Fünfte beginnt ja eben nicht mit di-di-di-daaa, sondern mit jener verwegenen Achtelpause, die unbedingt mitgespielt werden will und musikalisch auch viel interessanter ist als das berühmte Motiv.

Es ist kein Zögern, kein Zagen – vielmehr ist es ein Luftanhalten, bis der Laden richtig kocht. Und in der Neunten kann man es sich vor Eintritt des Themas im ersten Satz gemütlich machen und Popcorn holen. Meistens warten ohnehin alle auf das große Jubel-Finale, auf dessen Rambazamba-Höhepunkt in knapp drei Wochen die Sektkorken am Silvesterabend knallen.

Ungeduldige im Konzert – eine besondere Fallhöhe

Wer – gleich in welchem Stück – die Generalpause nicht abwarten kann, bis genau der Moment kommt, an dem es weiter geht, kann ein ganzes Konzert versauen. Und wer es auf Publikumsseite nicht abwarten kann, nach einem mitreißenden Schnedderedeng-Ende eines ersten Satzes zu klatschen, der ist sich des schmähenden Abonnentinnen- und Abonnenten Blickes gewiss. Abwarten, Anfänger – wir klatschen am Schluss!

Die Adventszeit ist ein schöner Anlass, Warten zu üben – so, wie wir es bei jeder Probe machen müssen. Wenn ich an der Kasse stehe und nicht fassen kann, warum das wieder alles dauert... dann erkläre ich den Vorgang zu einer Performance – und schwupps bin ich entspannt und der Heiland ist nahe. Versuchen Sie’s auch mal. 

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Gordon Kampe