Der personifizierte Gegenentwurf zum Gangsta-Rap
Als im Juli 2011 „XOXO“ von Casper auf Platz 1 der Charts schoss, stand die deutsche Rapszene Kopf: Die Sensation war perfekt, der viel gescholtene und oftmals belächelte „Emo-Rapper“ mit der kratzigen Stimme und dem ungewöhnlichen Look hatte es tatsächlich geschafft.
Mit düsterem Sound, melancholischen Texten, und Songs, die mehr nach Indie als nach HipHop klingen, hatte der personifizierte Gegenentwurf zum Gangsta-Rap à la Bushido & Co. die Chartspitze erklommen.
Casper passt in keine Schublade: Er schafft sich vielmehr seine eigene
Casper ist anders, in vielfacher Hinsicht weit entfernt von gängigen Rap-Stereotypen: Seine Texte, geprägt von Verletzlichkeit und Selbstzweifel, bringen ihm den Ruf des Emo-Rappers ein. Und an seiner Musik, die mit oft strotzenden Gitarren mehr an eine Rockplatte als an ein Hip-Hop Werk erinnert, scheiden sich die Geister.
Der Rapper, der bürgerlich Benjamin Griffey heißt, passt in keine Schublade, nein, er schafft sich gar eine eigene. Casper hatte nie die Absicht, mit seinen Stilmixen zu provozieren. Er wollte vielmehr ein Gesamtwerk fernab jeglicher Klischees und Erwartungshaltungen schaffen – mit Erfolg: „XOXO“ wird zum Album einer ganzen Generation.
Casper inszeniert sich nicht wie der Junge von der Straße, der er eigentlich ist
Wegen seiner fahlen Haut von seinem Vater nach dem Schlossgespenst „Casper“ benannt, verbringt Casper seine ersten Lebensjahre in den USA. Sein Vater, US-Soldat, lernt die deutsche Mutter bei einem Einsatz kennen. Er ist selten da, oft im Krieg. Das Geld ist knapp und die Familie lebt am Existenzminimum in einem Trailerpark in Georgia.
Als die Mutter den Vater schließlich verlässt und mit ihren Kindern zurück nach Deutschland reist, ist Casper elf Jahre alt und spricht kein Wort Deutsch. Mit dem neuen Stiefvater läuft es nicht besser, Drogen und Gewalt sind ein Thema im Hause Griffey; alles Erfahrungen, die Casper schon früh zum Texten bringen – auch, um die deutsche Sprache zu lernen.
Die markante Stimme kommt nicht von ungefähr
Die Musik spielt im Leben des jungen Wahl-Bielefelders schon früh eine zentrale Rolle. Musikalisch sozialisiert mit The Smiths, Joy Division oder Morrissey hört man diese teils schwermütigen Anleihen seinen Songs bis heute an.
So verwundert es auch nicht, dass sich Casper eine Zeit lang im Metal- und Hardcore Bereich eher den gitarrenlastigen Sounds widmete, ehe er sich voll auf den Rap konzentriert. Ein Andenken ist ihm aus dieser Zeit geblieben: Durch fehlende Gesangstechniken zerstörte er sich in dieser Zeit die Stimmbänder, weswegen seine Gesangs- und Rapstimme bis heute kratzig klingt – sein Markenzeichen.
Casper kam nie im Mainstream an und begeistert dennoch die Massen
Zu Zeiten von „XOXO“ campierten die Teenie-Fans vor Caspers Berliner WG, bei den Konzerten gab es in den ersten Reihen Gekreische und Tränen – nur ein paar Meter weiter hinten jedoch drehten sich die Moshpits im Kreis, wie es auf einer Metal-Show nicht besser sein könnte.
Die Konzerte des Rappers und seiner hauseigenen Band sind bis heute das perfekte Beispiel für Caspers Aufsprengung jeglicher Genre-Grenzen.
Er vereint nicht nur ein disperses Publikum, sondern eben auch die verschiedenen Subkulturen in einer einzigen Show. Ob Hip-Hopper, Rocker, junges Mädchen oder Herr Mitte 50: Auf Casper können sich alle einigen.
So wirklich im Mainstream ist der Bielefelder Rapper dennoch nie angekommen – wenngleich seine Kunst wie ein wunderschöner Kompromiss einer facettenreichen Musikwelt erscheint, die „echte“ Künstler*innen noch wertschätzt.
Zusammenarbeit mit Thees Uhlmann und Blixa Bargeld oder Kraftklub
Die Casper-Fans von 2011 sind erwachsener geworden, haben sich weiterentwickelt – genau wie ihr Idol. Das Album „Hinterland“ aus 2013 ist ein weiteres Zeitzeugnis seines eigenen Lebens. Soundtechnisch hat sich Casper verändert, der Sound ist bombastischer und hymnenartiger geworden und das Spektrum der Einflüsse hat sich deutlich verbreitert.
Der Vielseitigkeit ist er treu geblieben, musikalisch wie textlich. Von Ton Steine Scherben über Tocotronic, Wir sind Helden oder Die Sterne zitiert er sich auf „Hinterland“ quer durch die deutsche Musiklandschaft.
Caspers Liebe zu anderen Künstler*innen zeigt sich nicht nur in textlichen Hommagen, sondern auch an zahlreichen Zusammenarbeiten: Er machte Songs mit Thees Uhlmann oder Blixa Bargeld von den Einstürzenden Neubauten, verhalf seinen Stilmix-Kollegen von Kraftklub entscheidend mit zu ihrem Durchbruch oder nahm mit Marteria gleich ein ganzes Album auf.
Momentaufnahmen des Zeitgeists, in denen Casper sein Innerstes nach außen kehrt
Immer wieder thematisiert Casper auch den Trubel um seine eigene Person, der ihm zunehmend zu schaffen macht, spricht offen über seine Depressionen. In Songs wie „Kreis“ verarbeitet er die Probleme, die sein Prominentenstatus mit sich bringt.
Was bei Casper hängenbleibt, sind persönliche Songs, die ein sehr sympathisches Bild von einem Menschen zeichnen, der in seiner Kunst offensiv sein Innerstes nach außen kehrt. Casper-Platten sind immer auch Momentaufnahmen des aktuellen Zeitgeists.
Songs, mit denen man sich identifizieren kann. Songs, die einen mitnehmen und berühren. Eine einschwörende Anti-Haltung beschwört er in seinen Songs genauso herauf wie das Gefühl der Ablehnung: Mit der Zeile „Dies ist kein Abschied, denn ich war nie willkommen“ eröffnet er sein drittes Album Hinterland.
Casper versprüht in seiner Musik Lust an Traurigkeit, gute Laune gibt es nur selten. Er malt sich die Welt in kuntergrau und dunkelbunt, wie er im gleichnamigen Stück von „XOXO“ rappt.
Back to the roots nach zwei eher ungewöhnlichen Alben
Das 2018 erschienene und an manchen Stellen überproduzierte Album „Lang Lebe der Tod“ wirkte wie ein Zwischenwerk, eine Etappe einer Reise, die eigentlich ein anderes Ziel hat.
Das Album machte einen heterogenen Eindruck: Obwohl Casper die Veröffentlichung damals um ein ganzes Jahr verschob, weil er selbst nicht damit zufrieden war, wirkte es unvollständig.
Mit „Alles war schön und nichts tat weh“ (2022), benannt nach einer Novelle von Kurt Vonnegut, verließ Casper dann endgültig seine musikalischen Wurzeln. Bei Konzerten trat er in prunkvoll geschmückter Blumen-Kulisse auf und das Album nahm starke Anleihen beim Pop, Casper sang oft mehr anstatt zu Rappen.
Mit dem neu erschienenen Album „nur liebe, immer“ macht Casper nun die Rolle rückwärts: Wie in alten Tagen mischt er Hip-Hop mit Pop, die fetten Bässe fehlen und die alten Fans freuen sich. Ist Casper damit endlich angekommen? Es wäre ihm zu wünschen.