Stars für Afrika: 40 Jahre Band Aid
Alle Jahre wieder kamen sie zusammen, die Größen des britisch-irischen Pop, um vor Weihnachten ein Lied zu singen, das Bob Geldof und Midge Ure speziell für das Wohltätigkeitsprojekt Band Aid geschrieben hatten: „Do They Know It's Christmas“.
Mehr als drei Dutzend Stars (unter anderem U2, Duran Duran und Spandau Ballet) sammelten 1984 durch den Verkauf der Single insgesamt 150 Millionen Pfund. Elf Live-Aid-Konzerte folgten und in zahlreichen Ländern kamen ähnliche Projekte zustande.
Fünf Jahre später legte Geldof „Band Aid II“ auf, dann nochmal für „Band Aid 20“ und „Band Aid 30“ – mit den jeweils großen Stars der Dekade: 2004 waren es unter anderem Robbie Williams, die Sugar Babes und Natasha Bedingfield, 2014 dann One Direction, Ed Sheeran und Coldplay.
Künstler kritisieren: Band Aid bedient Stereotypen
In diesem Jahr, dem 40. Jubiläum des Projekts, fanden sich keine Stars zusammen. Stattdessen erscheint ein „2024 Ultimate Mix“, in dem alle Versionen neu abgemischt wurden. Ed Sheeran äußerte sich dazu vor Erscheinen: Wäre er gefragt worden, hätte er nicht zugestimmt. „Ein Jahrzehnt später hat sich mein Verständnis der damit verbundenen Botschaft geändert”, schrieb er auf Instagram.
Sheeran verwies auf den britischen Rapper Fuse ODG, der die Einladung zu „Band Aid 30” seinerzeit abgelehnt hatte, weil er kein Interesse daran habe, „schädliche Stereotypen“ zu bedienen. Das Lied zerstöre den Stolz und die Identität afrikanischer Menschen im Namen der Wohltätigkeit.
Bilder von verdorrten Landschaften und hungernden Kindern
Die Sterotypen bedient das Lied hartnäckig bis in die neueste Version. Es fängt an mit dem eklatanten Othering im Titel – wer sind denn „wir“ und wer sind „die“? – und fragwürdigen Liedzeilen:
„Also Gottseidank sind heute mal die andern dran, und nicht wir.“ („Well, tonight, thank God it′s them instead of you”), singt Bono. „Auf euch, erhebt euer Glas für alle, für diejenigen unter der brennenden Sonne” („Here′s to you, raise a glass for everyone, here's to them underneath that burning sun”), singt Paul Young. Alle singen: „Wo nichts jemals wächst, wo kein Regen oder Fluss fließt” („Where nothing ever grows, no rain or rivers flow”.
Schließlich bis hin zu den Musikvideos: 1994 schauen sich die Musikerinnen und Sänger auf einem Röhrenfernseher Bilder von ausgehungerten Schwarzen Kindern an und halten sich vor Entsetzen den Mund zu.
2014 sieht man, wie eine leblose schwarze Frau in Unterwäsche aus ihrem Haus getragen wird, dann Schnitt zu den Musikstars, die sich zusammenfinden und von Paparazzi fotografiert werden. Eine Gegenüberstellung, die sicherlich aufrüttelnd gemeint war, aber heute nur zynisch wirken kann.
Zumindest wurde aus Bonos ursprünglicher Zeile „Well tonight, we're reaching out and touching you“ („Also heute sind wir für euch da und berühren euch”). Emeli Sandé, die ebenfalls mitgesungen hatte, sagte später, dass andere Änderungen, die sie vorgenommen hatte, nicht berücksichtigt worden seien.
Geldof: Immense Spenden rechtfertigen Song
Auch in der neuen Version bedient Geldof wieder ein irritierendes Pathos, wenn er den BBC-Bericht aus den 1980er-Jahren einspielt: Die Rede ist von „einer biblischen Hungersnot im 20. Jahrhundert“ und dem, „was der Hölle auf Erden am nächsten kommt“ -- als bräuchte es die Vergleiche, um sich Leid vorzustellen.
„Do They Know It's Christmas“ habe aufgrund der immensen Spenden eine Daseinsberechtigung, betonte Geldorf kürzlich bei einem Nachrichtensender: „Dieser kleine Pop-Song hat Hunderttausende, wenn nicht Millionen von Menschen am Leben erhalten“.
Mit der Single wurden für die Hungersnöte in Äthiopien und Sudan sowie die Ebola-Epidemie gesammelt. Diesmal soll mit jeder verkauften Platte, CD und Streams für den Band Aid Charitable Trust Fund gespendet werden.
Anfang diesen Jahres brachte Gedolf die Geschichte von Live Aid sogar als Musical auf die Bühne, auch hier wurde ein Teil der Einnahmen gespendet. Ein Kritiker nannte das Stück die Geschichte der „White Saviors”, der Weißen, die sich als Retter Schwarzer Menschen inszenierten. Geldof reagierte erbost: Müsse man denn Schwarz sein, um Schwarzen helfen zu können?
Kritik richtet sich gegen das Bild des weißen Retters
Dass die Kritik ihm weniger seine langjährige Benefizarbeit absprechen will, sondern vor allem auf die Selbstinszenierung als Held zielte, entging dem irischen Rockmusiker. Afrika als vermeintlich homogener Kontinent werde nur zu oft zur Spielwiese, auf der weiße Menschen ihre Egos projizieren können, schrieb der amerikanische Schriftsteller Teju Cole 2012 in seinem Artikel für „The Atlantic”.
Cole prägte den Begriff des „White Savior Industrial Complex”: „Gute Taten” seien dabei mehr als nur „einen Beitrag zu leisten“. Vielmehr sollte es den Grundsatz geben, „von vornherein nicht zu schaden“ – und dass diejenigen, denen geholfen werden soll, miteinbezogen werden.
Dass Wohltätigkeitsprojekte wie die Geldofs auch immer auf eine Hierarchie verweisen – oder sie gar aufrechterhalten – ist eine Kritik, die seit dem Erscheinen des Liedes immer lauter geworden ist.
Sind Popstars noch die richtigen Fürsprecher?
Ob Popstars noch die richtigen Advokaten für solch ein Projekt sind, ist fraglich. Heute dürfte mehr Menschen als 1984 bewusst sein, dass manche Menschen Weihnachten im Überfluss feiern können, während andere darüber nachdenken müssen, wie sie morgen noch über die Runden kommen sollen. Aber eben auch, dass es eine direkte Korrelation dafür gibt.
Zwar ziehen Schauspieler und Musikerinnen mühelos den Fokus auf Hungersnöte, Krisen und Umweltkatastrophen, doch gibt es heute ein größeres Bewusstsein dafür, dass ihr Lebensstil sein Übriges tut, um die Auswirkungen der Klimakatastrophe auf die Länder des Globalen Südens zu verschärfen.
Dass 1984 Boy George kurzfristig und auf eigene Kosten mit der Concorde zur Aufnahme des Liedes nach London flog, wurde damals als heldenhaft angesehen. 2024 wäre wohl niemand auch nur zu Fuß kommen.