„Ich habe das Gefühl, dass ich in Deutschland meine eigenen Rollen schreiben muss“, sagt Lamin Leroy Gibba. Er steht als Schauspieler auf der Bühne und vor der Kamera, führt Regie, produziert, schreibt Drehbücher und Theaterstücke.
„In Deutschland gibt es immer noch viel zu wenige Theaterstücke oder Filme, die die Geschichten von Schwarzen Personen erzählen – aus ihrer eigenen Perspektive“, betont Lamin Leroy Gibba. Deswegen hat der Schauspieler angefangen, selbst Drehbücher und Theaterstücke zu schreiben. Mit Inhalten, die mit seiner Lebensrealität zu tun haben und mit Figuren, die er selbst gerne sehen und spielen würde.
Hörspielproduktion mit Schwarzem Cast
Sein Theatertext „Doppeltreppe zum Wald“ wurde 2023 beim Heidelberger Stückemarkt mit dem Publikumspreis und dem SWR2 Hörspielpreis ausgezeichnet und ist jetzt als Hörspiel produziert worden. Mit einem ausschließlich Schwarzen Cast. Das war die Bedingung des Autors.
Hörspiel | Heidelberger Stückemarkt Lamin Leroy Gibba: Doppeltreppe zum Wald
In einem imaginären Garten treffen neun Schwarze Menschen aufeinander, die unterschiedlicher nicht sein könnten. Ein wahrgewordener (Alb-)Traum? Gnadenlos witzig, todernst, lebensnah.
„Für mich ist das anders gar nicht denkbar“, sagt er. Schließlich geht es in dem Text um die Aushandlung von Lebenserfahrungen Schwarzer Menschen in Deutschland.
Was heißt „Schwarz-Sein“ heute in Deutschland?
Lamin Leroy Gibba hat in „Doppeltreppe zum Wald“ neun sehr unterschiedliche Figuren erschaffen. Junge und ältere, weibliche, männliche, nicht-binäre, hetero und queere Personen. Es geht um ihre Träume, Enttäuschungen, ihre Rassismuserfahrungen, ihren Kampf gegen Diskriminierung und für Repräsentation.
Alle Figuren haben ihre individuellen Lebensstrategien entwickelt. Manche sind laut, schrill, dominant und kämpferisch, andere schüchtern und in sich zurückgezogen. Nur eines eint sie: sie sind Schwarz und leben in Deutschland.
„Wenn in deutschen Filmen, Serien und im Theater überhaupt Schwarze Figuren vorkommen, dann sind sie oft stereotyp oder holzschnittartig, weil die Entscheidungsträger*innen, die produzieren, schreiben, inszenieren und so weiter, immer noch viel zu selten selber Schwarz sind. Mir war es wichtig, in diesem Stück komplexe Figuren zu erschaffen, die Widersprüche in sich tragen, fehlerhaft und verletzlich sind“, betont Lamin Leroy Gibba.
In dem Hörspiel „Doppeltreppe zum Wald“ treffen sich all diese unterschiedlichen Menschen in einem surrealen Garten. Einem vermeintlich geschützten Ort, an dem sie sich austauschen können.
„Ich war vor ein paar Jahren mal bei einer sehr schönen Community Veranstaltung in Berlin. Dort sind ganz viele verschiedene Schwarze Personen zusammengekommen. Eine der Podiumsdiskussionen ist dann im Zusammenstoß sehr unterschiedlicher Perspektiven etwas aus dem Ruder gelaufen. Durch diese Erfahrung ist die erste grobe Idee für dieses Stück entstanden“, erzählt Lamin Leroy Gibba.
Vielstimmiger Dialog
Herausgekommen ist ein vielstimmiger Dialog: pointiert, absurd, komisch und bitterböse. Er habe diesen Text für ein Schwarzes Publikum geschrieben, sagt der Autor. Wohlwissend, dass die meisten Theatergänger*innen in Deutschland ältere, weiße Menschen sind.
Aber er wollte bewusst eine Geschichte für die Schwarze Community schreiben und sich dabei nicht fragen, wie sie bei einem weißen Publikum ankommt oder was er ihnen erklären muss.
„Für die einen sind Geschichten wie ,Doppeltreppe zum Wald‘ ein direkter Zugang zu neuen Perspektiven und für andere ein dringend benötigter Spiegel und eine Sichtbarmachung der eigenen Lebensrealitäten. Letzteres ist, woran ich beim Schreiben denke. Ich glaube auch fest daran, dass sich mit neuen Perspektiven auf und hinter der Bühne das Publikum verändern wird.“
Empowerment beim Studium in den USA
In der Kulturszene in den USA herrscht bereits eine viel größere Repräsentation Schwarzer Menschen. Bei seinem Schauspiel und Film Studium in New York City habe er dadurch eine ganz andere Realität erlebt. Lamin Leroy Gibba hat dort viele inspirierende Menschen getroffen, die ihn sehr bestärkt hätten.
Wie schafft man Veränderungen?
Zurück in Deutschland frage er sich, wie man hiesige Veränderungen am besten herbeiführen kann? Oft sei er frustriert, weil er immer wieder das Gleiche erklären müsse. Dabei könne man sich doch inzwischen ganz einfach übers Internet informieren oder viele tolle Bücher zum Thema struktureller Rassismus und anderen Diskriminierungsformen lesen.
Selbst in der Kulturszene in Deutschland, die sich gerne aufgeklärt und progressiv gibt, sei es immer wieder schockierend, wie viele Leute so gar kein Bewusstsein für die strukturellen Diskriminierungsformen hierzulande haben.
Inspiration durch Texte US-amerikanischer Autorinnen
Sprache ist ein ganz wichtiger Faktor, wenn es darum geht, Probleme überhaupt erst einmal zu benennen und ein Bewusstsein dafür zu schaffen. Als Teenager hatte er für den alltäglichen und den strukturellen Rassismus noch gar keine Begriffe. „Ich konnte diese Dinge gar nicht benennen“, sagt Lamin Leroy Gibba.
Texte von Personen wie bell hooks und Audre Lorde hätten ihm in vielerlei Hinsicht die Augen geöffnet. Die US-amerikanischen Autorinnen gelten Vielen als Vordenkerinnen im Kampf für eine selbstbestimmte Schwarze Identität.
Seit ein paar Jahren wird in der bundesdeutschen Theaterszene diskutiert, dass die Theater diverser werden müssen. Dass sich viele Menschen von dem, was da auf den Bühnen geboten wird, nicht angesprochen und gemeint fühlen. Weil es nicht ihre Geschichten sind, die dort verhandelt werden. Und sie sich durch die meist weißen Schauspieler*innen auf der Bühne nicht repräsentiert fühlen.
Aus den USA zurückgekommen, um hier etwas zu verändern
Auch wenn Lamin Leroy Gibba oft frustriert ist, dass es so lange dauert, bis sich an den Theatern wirklich etwas ändert: Er gibt die Hoffnung nicht auf. Und er möchte bei den Veränderungen mitwirken. Das war ein Grund dafür, weswegen er nach dem Studium in den USA nach Deutschland zurückgekommen ist. Er hofft, dass sich die Theater weiter öffnen und somit auch ein anderes Publikum gewinnen können.
Ein Theater, dass ein diverseres Publikum anspricht, weil es eben andere Perspektiven zeigt und andere Narrative entwickelt, ist das Ballhaus Naunynstraße in Berlin, ein europaweit einzigartiges Theater mit postmigrantischem Profil.
Und in dessen Schreibwerkstatt ist auch Lamin Leroy Gibbas Text „Doppeltreppe zum Wald“ entstanden. Noch ist das Stück nicht uraufgeführt, aber jetzt von SWR Kultur als Hörspiel produziert und von Sarah Claire Wray inszeniert worden.
„Ich liebe Hörspiele“, sagt Lamin Leroy Gibba, „Hörspiele entwickeln einen ganz besonderen Sog. Die Stimmen sind einem so nah, sitzen einem quasi direkt im Kopf – und das ist gerade für meinen Text mit diesen vielen, verschiedenen Stimmen ideal.“