Der Brenner-Autor einmal ganz anders, Wolf Haas` bisher persönlichstes Buch – eine Mutterschelte, ein Mutterlob und zugleich ein Roman darüber, ob man über das Leben wirklich schreiben kann.
Die Lüge auf dem Sterbebett?
Der Einband des Buches schaut aus wie Packpapier. Darauf ein verrutschter roter Stempelaufdruck: „Eigentum von Wolf Haas“. Und Eigentum, oder genauer, dasjenige, das man nie besitzt, dem man hinterherhechelt, ist der Motor des neuen Romans von Wolf Haas.
Im Zentrum steht die Mutter. Sie habe es schwer gehabt im Leben, dass musste der Sohn sich jahrzehntelang anhören, das war die Litanei der Familie. „Den ganzen Tag nur Arbeit, Arbeit, Arbeit.“ immer wiederholt, damit es sich auch richtig ins Hirn der Kinder einprägt.
Aber dann passiert etwas, was Wolf Haas, den Erzähler, völlig durcheinanderbringt: die im Sterben liegende Mutter bittet ihren Sohn, bei ihrem verstorbenen Mann anzurufen, um ihm zu sagen, ihr gehe es gut:
„Ich war angefressen. Mein ganzes Leben hat mir meine Mutter weisgemacht, dass es ihr schlecht ging. Drei Tage vor dem Tod kam sie mit der Neuigkeit daher, dass es ihr gut ging. Es musste ein Irrtum vorliegen. Wir waren die, denen es schlecht ging.“
Die Mutter, ein schwieriger Mensch
Diese, ja was, Lüge? setzt die Haas`sche Textmaschine in Gang. Wolf Haas will schneller schreiben als der nahende Tod, er schreibt gegen das Sterben der Mutter an, solange er schreibt, solange er sich Klarheit verschaffen muss über die Mutter, läuft die Frist.
Aber im Gegensatz zu berühmten Vorbildern wie 1001 Nacht, in der es der Literatur gelingt, den Tod aufzuschieben, verliert Wolf Haas dieses Rennen. Die Mutter stirbt. Und gleichzeitig verwandelt sich der scheltende und wütende Sohn in einen, der Zeugnis ablegt, in einen, der seiner Mutter ein Denkmal setzt: ihrem widerborstigen Charakter, ihrer Menschenfeindlichkeit. Oder wie es die Wirtin des Orts nach dem Tod der Mutter sagt:
„Deine Mutter war ein schwieriger Mensch. Sie hat fast jeden im Dorf einmal beleidigt.“
Kommunikation als Zwangsmaschine in der Endlosschleife
Wolf Haas schreibt gleichsam zwei Bücher in einem, jedes in einer eigenen Sprache. Da ist der Sohn, der die demente Mutter im Altenheim besucht, das früher einmal die Geburtsklinik war, in der die Mutter Haas ihn und seinen Bruder zur Welt gebracht hat, der zum Friedhof spaziert, in dessen Nähe die Familie einmal gewohnt haben, der über die Mutter nachdenkt, und überall Muster erkennt: Wiederholungen, Wiederholungen, Wiederholungen.
Denn ganz anders als sein großer Landsmann Siegmund Freud, der im Dreischritt: Erinnern, Wiederholen, Durcharbeiten sein Konzept der seelischen Heilung formuliert hat, glaubt Wolf Haas an die heilende Kraft der Wiederholung selbst: es sind die Rituale, die die Schmerzen nicht lösen, sondern neutralisieren. Und genau diesem Glauben entspringt das poetologische Konzept seines Romans: Motive, Sentenzen, Sprüche wandern durchs Buch, alles kehrt wieder. Wiederholung dient der Emanzipation von Realität.
Wir haben es eher mit einer literarischen Mustererkennung zu tun als mit einem linearen Plot. Für Wolf Haas ist Sprache kein Mittel der Kommunikation zweier freier Geister, sondern eine Zwangsmaschine, in der wir gefangen sind und die unerbittlich abläuft. Von wegen souveränes Ich, da kann man nur lachen. Die Erfindung der Sprache, heißt es einmal, ist
„letzten Endes ein überflüssiger Wegwerfdreck, da man mit schlichtem Seufzen auch ganz gut über die Runden kommt“.
Das Eigentum eilt immer davon
Wäre da nicht die andere Sprache des Buches, die Sprache der Mutter, die von ihrem Leben erzählt, ein armes Mädchen, weggegeben von der Familie, weil nicht alle Kinder ernährt werden konnten, die in die Fremde geht, um eine Ausbildung zu machen, das wenige Geld nach Hause schickt, die beharrlich ist, Französisch lernt, Englisch, die in den Nachkriegswirren das chaotische Deutschland durchwandert, die schuftet und schuftet und schuftet, als habe sich die Hyperinflation des Geburtsjahres 1923 in ihre DNA eingebrannt, die Eigentum erwerben will, aber immer, wenn sie entsprechend angespart hat, feststellen muss, der Wohnungspreis hat sich verdoppelt. Das Eigentum, es eilt davon. Und erst am bitteren Ende wird sie also Eigentum erhalten, es ist zwei m² groß: ihr Grab. Erdbestattung, darauf haben die Söhne bestanden.
Wolf Haas einen großen kleinen Roman geschrieben: ein intimes Bekenntnis, eine Mutterbeschimpfung, ein Mutterlob, eine sprachdiagnostische Präzisionsmaschine und den O-Ton eines Mutterlebens. Dieses Buch misst ca. 280 cm² und umfasst ein ganzes Leben. Es ist das Eigentum von Wolf Haas.
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Auf den durchgeknallten Plot um die Organspende-Mafia kommt es aber gar nicht so an, denn die Romane von Wolf Haas haben vor allem eine Heldin: Die Sprache!
Hoffmann und Campe Verlag, 288 Seiten, 24 Euro
ISBN 978-3-455-01430-3
Anja Höfer im Gespräch mit dem Buchautor Wolf Haas