Das Jahr 1980 war in Deutschland ein Jahr des Terrors, des rechtsradikalen Terrors. Im September starben beim Anschlag auf das Oktoberfest 13 Menschen, über 200 wurden verletzt. Fast vergessen ist dagegen der Mord an Shlomo Lewin, dem ehemaligen Vorsitzenden der jüdischen Gemeinde Nürnberg, und seiner Lebensgefährtin Frida Poeschke im Dezember 1980. Der Täter hieß Uwe Behrendt und gehörte, wie der Oktoberfest-Attentäter Gundolf Köhler, zur verbotenen Wehrsportgruppe Hoffmann um den Rechtsextremisten Karl-Heinz Hoffmann.
In seiner Studie „Ein antisemitischer Doppelmord“ will der Historiker Uffa Jensen von der TU Berlin den Mord an Lewin und Poeschke rekonstruieren und „die vergessene Geschichte des Rechtsterrorismus in der Bundesrepublik“ erzählen.
Am Abend des 19. Dezember 1980 hatte eine Person mit Perücke und Sonnenbrille an der Tür des Paars in Erlangen geklingelt und Shlomo Lewin erschossen. Auch die herbeieilende Frida Poeschke starb. Beide, vor allem Lewin, hatten sich in besonderer Weise für die jüdisch-christliche Versöhnung engagiert.
Suhrkamp Verlag, 316 Seiten, 24 Euro
ISBN 978-3-518-76946-1
Lewins Lebensweg war von Brüchen gekennzeichnet. Aufgewachsen in Posen und Breslau, floh er 1935 nach Palästina. Mitte der 1950er-Jahre nach Deutschland zurückgekehrt, gründete er einen jüdischen Verlag sowie die „Gesellschaft für christlich-jüdische Zusammenarbeit“, bei der er Frida Poeschke kennenlernte. Shlomo Lewin hielt Reden bei Veranstaltungen gegen Neonazis, wodurch er ins Visier der Wehrsportgruppe Hoffmann geriet.
Bei den Ermittlungen tappte die Polizei lange im Dunkeln. Der Zusammenhang mit der Neonazi-Szene wurde zunächst nicht erkannt. Uffa Jensens These lautet, dass man in jener Zeit auf linksradikale Gewalt fixiert war und Antisemitismus nicht erkannte, vor allem in Bayern. Die Ermittler konzentrierten sich auf den Bekanntenkreis Lewins und die jüdische Community. Shlomo Lewin wurde dabei immer mehr zur „schillernden Persönlichkeit“, wie es in den Akten heißt. Die Lokalpresse setzte unsägliche Spekulationen in die Welt: Hatte ihn ein Konkurrent aus der jüdischen Gemeinde ermordet? War er ein Mossad-Spion?
Schließlich führte die Sonnenbrille, die der sterbende Lewin dem Täter vom Gesicht gerissen hatte, auf die richtige Spur, nämlich zur Lebensgefährtin von Karl-Heinz Hoffmann. Dieser behauptete, der eigentliche Mörder, Uwe Behrendt, habe ihm die Tat gestanden. Behrendt war danach in einem PLO-Trainingslager untergetaucht und starb dort 1981, angeblich durch Selbstmord.
1984 endlich wurden Hoffmann und seine Lebensgefährtin wegen Beihilfe zum Mord angeklagt. Hoffmann war verdächtig, als Chef der Wehrsportgruppe den Mordbefehl gegeben zu haben. 1986 wurde das Paar im Fall Poeschke/Lewin jedoch freigesprochen, trotz „erheblicher Bedenken“ des Gerichts. Hoffmann erhielt allerdings eine neuneinhalbjährige Haftstrafe wegen anderer Delikte.
Leider gibt Jensens Buch der Rekonstruktion der eigentlichen Tat und dem Prozess wenig Raum. Allgemeine Erläuterungen zur Geschichte des Rechtsextremismus und zur PLO überwiegen. Den damaligen Ermittlern und Richtern wirft Jensen Verschleppung und die Unterschätzung rechtsextremer Gewalt vor. Dadurch sei der Mord umso rascher in Vergessenheit geraten.
Unter anderem kritisiert er, dass der Bundesgerichtshof 1981 bestimmte Vergehen der Wehrsportgruppe nicht weiterverfolgt habe, weil die Vereinigung im Nahen Osten aktiv gewesen sei, nicht aber in Deutschland. Jensens Fazit ist jedenfalls zuzustimmen, auch mit Blick auf die ebenfalls verschleppten Ermittlungen beim Oktoberfest-Attentat: „Letztlich war die NSU-Mordserie nur möglich, weil man sich schon 1980 geweigert hatte, aus dem rechten Terror Schlussfolgerungen zu ziehen.“