Die Gedichte von Ocean Vuong – jetzt gibt es sie endlich auch auf Deutsch. Nach dem Erfolgsroman „Auf Erden sind wir kurz grandios“ ist nun die Lyrik des 31-Jährigen zu entdecken.
Geboren in Vietnam, kam Vuong als Kind in die USA. Seine Texte erzählen von Herkunft, Vatergewalt und Homosexualität. Poesie von überwältigender Verführungskraft.
Nach seinem Debütroman folgt nun ein Gedichtband
Er ist eine der wichtigsten Stimmen der jungen amerikanischen Literatur. Sein Weg dorthin ist ungewöhnlich und überraschend: Ocean Vuong.
1988 wurde er in Saigon geboren, mit zwei Jahren kam er in die USA und wuchs unter schwierigen Verhältnissen auf, betreut von seiner Großmutter und seiner Mutter.
Im letzten Jahr erschien in Deutschland sein erster Roman. Jetzt veröffentlicht der Hanser Verlag den Gedichtband auf Deutsch, der Ocean Vuong 2016 in den USA bekannt gemacht hat: Nachthimmel mit Austrittswunden.
„Auf Erden sind wir kurz grandios“ scheut inhaltlich vor nichts zurück
Ocean Vuong ist ein Phänomen. Sein erster Roman erschien letztes Jahr und trägt den schillernden Titel „Auf Erden sind wir kurz grandios“.
Ein Roman, der alle Bestandteile für ein Nischenbuch hat, aber trotzdem in den USA und Deutschland ein riesiger Erfolg wurde.
Er schildert Ocean Vuongs erste homosexuellen Erfahrungen und scheut sich nicht vor der Darstellung drastischer Gewalt, nicht beim schwulen Sex, nicht bei den Auseinandersetzungen innerhalb der Familie, die Vuong aber nie effekthascherisch schildert: Er nimmt sie ernst als Teil seiner Identität.
Die Frage nach der Identität dominiert den Gedichtband
Aber welcher Identität? Ocean Vuong ist Flüchtling, vietnamesischer Amerikaner, homosexuell, kommt aus schwierigen Verhältnissen.
Sein Leben erscheint wie die Widerlegung des amerikanischen Traums, wie eine Blaupause für Identitätspolitik. Aber es ist genau diese universelle Frage, die den globalen Erfolg des Romans erklärt. Wer bin ich?
Die Gedichte sind Mutter und Vater gleichermaßen gewidmet
Und diese Frage dominiert auch den Gedichtband, den Ocean Vuong schon 2016 veröffentlicht hat. Und wieder geht es um Identität.
Ist der Roman „Auf Erden sind wir kurz grandios“ Vuongs Mutter gewidmet, so die Gedichte beiden Elternteilen. Der Vater steht allerdings in Klammern.
Sind im Roman Mutter und Großmutter das erzählerische Zentrum und der Vater bloß prügelndes, gewalttätiges Beiwerk, so wird in den Gedichten von Beginn an die Frage nach dem Vater gestellt. Ocean Vuong lässt Telemach sprechen, den Sohn des Odysseus.
„Wie jeder gute Sohn ziehe ich meinen Vater aus
dem Wasser, schleife ihn an den Haaren
durch weißen Sand, seine Knöchel graben eine Spur
die Wellen blindlings auslöschen. Weil die Stadt
jenseits der Küste nicht mehr da ist
wo wir sie zurückließen. Weil die zerbombte
Kathedrale nun eine Kathedrale
von Bäumen ist. Ich knie bei ihm, wie tief
ich sinken mag. Erkennst du mich,
Ba? Doch die Antwort bleibt aus. Die Antwort
ist das Einschussloch in seinem Rücken, das überfließt
von Meerwasser. Er ist so still, er könnte
jedermanns Vater sein, angeschwemmt
wie irgendeine grüne Flasch
zu Füßen eines Jungen, das Jahr darin
von ihm niemals berührt. Ich berühre
seine Ohren. Vergeblich. Ich drehe ihn
um. Sie anzublicken. Die Kathedrale
in seinen meerschwarzen Augen. Das Gesicht
nicht meines – doch eines, das ich tragen werde
wenn ich all meine Geliebten zur Nacht küsse:
so auch versiegle ich meines Vaters Lippen
mit meinen eigenen & mache mich
an die getreue Arbeit des Ertrinkens.“
aus: „Nachthimmel mit Austrittswunden“ von Ocean Vuong
Alle zentralen Themen in einem Gedicht
Schon in diesem Gedicht des Bandes sind alle wichtigen Themen von Ocean Vuongs Lyrik versammelt.
Der Vater, der in jeder Hinsicht ein Verlorener ist. Der Sohn, der sich von ihm löst, aber damit einen Teil seiner Herkunft verliert. Das Meer, der Ort der Unbehaustheit, aber auch der Freiheit.
Die Aufmerksamkeit für präzise Farbe, die einem ganz konkreten alltagsrassistischen Hintergrund entspringen. Als 'Gelben' hat man den kleinen Ocean beschimpft.
Vuong schreibt eine queere Poesie
Die griechische Mythologie, ein Versuch, sich eine neue, andere Tradition zu erschreiben. Die Gewalt: Die Brutalität im Leben der Abgehängten.
Der Krieg, also der Vietnamkrieg, der über Generationen das Leben der Betroffenen und Nachgeborenen verseucht. Die Homosexualität, als die Freiheit jenseits des Vaters.
Ocean Vuong ist queer. Wenn man darunter mehr versteht als Abweichung, also Negation von Normalität, nämlich den Entwurf einer anderen Identität, Verwandlung, Metamorphose, dann ist auch seine Poesie im radikalen Sinne queer.
Worte öffnen Übergänge in andere Wirklichkeiten
Er schreibt Langgedichte, in offenen Formen, nicht wirklich erzählerisch, weil ihm seine Inspirationen und Assoziationen immer wieder dazwischenkommen und die narrativen Abläufe stören.
Er benutzt Worte wie Scharniere, wie Schwellen, die Übergänge in andere Wirklichkeiten ermöglichen. Seine Legasthenie macht ihn sensibel für diese sprachliche Durchlässigkeit.
„Ich halte den Revolver
& frage mich, ob ein Einschuss in der Nacht
ein Loch, so weit wie der Morgen, machen würde. Und wenn
ich hindurchblickte, sähe ich das Ende dieses
Satzes.“
aus: „Nachthimmel mit Austrittswunden“ von Ocean Vuong
Durch Wortmuster entsteht die formale Einheit
In diesen fließenden Überschreitungen steckt die überwältigende Verführungskraft seiner Poesie. Ocean Vuong schreibt in freien Versen.
Ihr Bindeglied sind nicht Reime, sondern Wortketten, die durch Wiederholungen entstehen.
Vuongs Lehrmeister klingen in den Versen nach
Seine Lehrmeister die großen Ahnherren der amerikanischen Lyrik, seine neuen Väter: Man hört Walt Whitman, der besessen vom Meer und dem Krieg war und sich Matrosen als erste Leser wünschte.
Man hört Ezra Pound und dessen Spiel mit Vielsprachigkeit und entlegenen literarischen Formen. Auch er ein Seefahrerapostel. Man hört Allen Ginsberg und seine Trauer um seine verlorene Generation.
Man hört und sieht Charles Olson mit seinen filigran übers Blatt verteilten alltagssprachlichen Versen, den graphischen Manierismen.
Die Befreiung vom Vater ist essentiell für Vuong
Aber zusammengehalten wird diese Vielfalt durch das eine für Ocean Vuong existentielle Thema: die Befreiung von seinem Vater, den er paradoxerweise nie hatte, weil der die Familie nach kurzer Zeit verlassen hat.
Erst darum konnte er nach diesem Lyrikband den Roman über seine Mutter schreiben.
Roman und Gedichtband profitieren voneinander
Es ist ein Glücksfall, beide Bücher so kurz nacheinander lesen zu können. Denn viele Andeutungen in den Gedichten erschließen sich leichter, wenn man den sehr autobiographisch gehaltenen Roman im Hinterkopf hat.
Trotzdem stehen die Verse ganz für sich. Es geht nicht um biographisches Schreiben, sondern um den Entwurf einer Biographie mit den Mitteln der Poesie.
Die Identität ist offen. Der Lyrikband selbst die Suche. Sie ist noch nicht an ihr Ende gekommen, denn das vorletzte Gedicht heißt „Eines Tages werde ich Ocean Vuong lieben“ und schließt mit einem Appell:
„Ocean. Ocean -
steh auf. Am schönsten ist dein Körper dort,
wohin er strebt. & denk daran,
Einsamkeit ist immer noch Zeit,
die man mit der Welt verbringt. Hier ist
das Zimmer mit allen darin.
Deine toten Freunde, die dich
durchziehen wie Wind
ein Windspiel. Hier ist ein Tisch
mit dem Hinkebein & einem Ziegel
als Stütze. Ja, hier ist ein Zimmer,
so warm & blutnah,
dass du aufwachen
& diese Wände, ich schwöre,
für Haut halten wirst.“
aus: „Nachthimmel mit Austrittswunden“ von Ocean Vuong
Buchkritik Ocean Vuong - Auf Erden sind wir kurz grandios
Ocean Vuong wurde 1988 in Saigon geboren und kam als Zweijähriger in die USA. In seinem Debütroman „Auf Erden sind wir kurz grandios“ erzählt er eine Geschichte, die der seinen stark ähnelt. Darin erinnert er sich an die Schläge und die Fürsorge seiner Mutter, an die Geschichten seiner Großmutter und an seine Jugendliebe Trevor. Ein poetischer Roman über Liebe, Körper und Sprache.
Rezension von Katharina Borchardt.
Übersetzt von Anne-Kristin Mittag
Hanser Literaturverlage
ISBN 978-3-446-26389-5
240 Seiten
22 Euro