Buchkritik

Rebecca F. Kuang – Yellowface

Stand
Autor/in
Nina Wolf

Eine klug beobachtete Satire auf den Literaturbetrieb: „Yellowface“, der neue Roman der Bestseller-Autorin Rebecca F. Kuang

Die Synopsis dieses Romans könnte sehr kurz ausfallen: „Yellowface“ ist ein Buch über eine junge, erfolglose Autorin, die das Manuskript ihrer verstorbenen Kollegin stiehlt und als ihren eigenen Roman veröffentlich, der zum Bestseller wird. Ein Plagiat!

Eine offensichtliche Ungeheuerlichkeit. Der Diebstahl ist allerdings nur eine von vielen Ungeheuerlichkeiten in dieser Geschichte. Denn ganz so simpel ist es dann doch nicht. Aber für simple Geschichten ist „Yellowface“-Autorin Rebecca F. Kuang auch nicht bekannt. Die 27-Jährige Kuang ist kommerziell mega erfolgreich, ein Shooting Star der amerikanischen Buchlandschaft.

Bestseller-Autorin Rebecca F. Kuang
Mit ihrem neu ins Deutsche übersetzten Roman „Yellowface“ verlässt die US-amerikanische Autorin Rebecca F. Kuang ihr bisheriges Genre, die Fantasy, und wechselt ins Satirische.

Zwei Autorinnen unterschiedlicher Herkunft, aber nur eine hat Erfolg

Ähnlich wie Athena Liu, eine Figur im aktuellen Roman „Yellowface“: Auch sie ist eine erfolgreiche Schriftstellerin. Im Gegensatz zu June Hayward. Sie bewundert und beneidet Athena, die sich zu everybodys darling der Verlagswelt gemausert hat. Junes Debutroman hingegen floppte. 

June ist weiß. Athena Sino-Amerikanerin. Und ihre ethnische Herkunft sei für den Erfolg nicht irrrelevant, findet June. Sie ist die Ich-Erzählerin, die durch den Roman führt.

Der Literaturbetrieb sucht sich einen Gewinner oder eine Gewinnerin aus – attraktiv genug, cool und jung und, mal ehrlich, wir denken es doch alle, also sprechen wir es doch aus, »divers« genug – und überschüttet diese Person mit Geld und Unterstützung. Es ist so verdammt willkürlich.

Die Handlung nimmt mit einem absurden Unfall ihren Lauf: In einer Partynacht erstickt Athena bei einem Pancake-Wettessen mit June.

June nutzt die Gelegenheit und steckt das unveröffentlichte Manuskript der Toten ein. „Die letzte Front“ ist der Titel, es handelt von der Geschichte chinesischer Arbeiter, die von der britischen und französischen Armee im Ersten Weltkrieg an die alliierte Front geschickt wurden. June gibt den Text als den ihren aus, allerdings nicht, ohne ihn zu überarbeiten.

Wenig sensibel streicht June chinesische Namen, Zeichen oder kulturelle Anspielungen. Die weißen Figuren macht sie etwas weniger rassistisch. Sogar eine Liebesgeschichte baut sie ein. Natürlich nur um der Lesbarkeit für das Publikum willen – so rechtfertigt die Erzählerin ihr Handeln zumindest.

Das gestohlene Manuskript wird zum Bestseller

Für einen schwindelerregend hohen Vorschuss verkauft sie „Die letzte Front“ an einen renommierten Verlag namens Eden. Sie ist im Schriftsteller:innen-Himmel angekommen. Dort empfängt man sie mit offenen Armen und weisen Ratschlägen:

Sie schlagen vor, dass ich anstelle von June Hayward unter dem Namen Juniper Song veröffentliche (»Dein Debüt hat nicht ganz die Zielgruppe erreicht, die wir uns jetzt erhoffen, und da ist es besser, einen Neuanfang zu wagen. Und Juniper ist so einzigartig. Was ist das für ein Name? Klingt fast ›Native American‹«). Niemand spricht darüber, dass »Song« vielleicht anders wahrgenommen werden könnte als »Hayward«. Niemand spricht explizit darüber, dass man »Song« für einen chinesischen Namen halten könnte (…).

„Yellowface“ greift die Fragen auf, die bei den Neuveröffentlichungen der Gegenwart stets mitschwingen, Fragen nach Repräsentation in der Kreativindustrie: Wer darf welche Geschichten schreiben? Wer welche Perspektiven einnehmen? Welche Rollen spielen Kategorien wie Herkunftsgeschichte, sexuelle Identität, Gender oder Race dabei?

Eine unzuverlässige Ich-Erzählerin

Es ist ein dialektisch cleverer Schachzug, dass Kuang, selbst Amerikanerin mit chinesischen Wurzeln, die Geschichte aus einer weißen Perspektive erzählen lässt. Auch wenn June keine zuverlässige Ich-Erzählerin ist. Sie belügt sich ständig selbst – und damit auch uns Lesende.

Ihr mehr als ambivalentes Verhältnis zu Athena entfaltet sich erst im Laufe der Erzählung. Es enthüllt: Auch Athena scheute nicht vor kruden Methoden bei der Beschaffung von schriftstellerischem Material zurück.

„Die letzte Front“ wird ein Bestseller. Die Spannung in der Erzählung entsteht durch die Frage: Wird Junes Lüge auffliegen? Kuang schreibt in klaren, schnörkellosen Sätzen, pointiert und scharfzüngig. Die Erzählung wird immer temporeicher, je tiefer June in die Abwärtsspirale gerät.

Sie isoliert sich und verfolgt beinahe obsessiv die Diskussion um „Die letzte Front“. Die findet online statt. Es ist ein Konglomerat aus Tweets, Memes, Shitstorms, YouTube Reaction Videos und Todesdrohungen.

Shitstorms, Hassnachrichten und Memes

Einige Kritiker:innen verdächtigen June tatsächlich des Plagiats. Andere werfen ihr vor, mit der Geschichte in „Die letzte Front“ als weiße Frau vom Leid der chinesischen Arbeiter zu profitieren.

June sieht sich mit Rassismusvorwürfen konfrontiert. Den grotesken Höhepunkt erreicht „Yellowface“, als June sich plötzlich von Athena Lius Geist verfolgt fühlt. Dieser taucht – wie sollte es auch anders sein – zuerst auf Social Media auf.

Im Nachwort schreibt Kuang, „Yellowface“ sei ein Roman über Einsamkeit in einer hart umkämpften Branche. Enge Vertraute haben ihre Figuren nicht, weder June noch Starautorin Athena.

Dafür ist der Druck immens: Nach dem Bestseller „Die letzte Front“, sind die Erwartungen an June Haywards – oder Juniper Songs – nächstes Werk groß. Sie muss neues zu Papier bringen.

Ich muss einen Schritt weiter gehen. Ich muss über Dinge schreiben, die weiße Menschen nicht jeden Tag zu Gesicht bekommen.

Eine doppeldeutige Genremischung

Kuang kombiniert Elemente unterschiedlicher Genres: „Yellowface“ ist eine Satire auf den Literaturbetrieb. Eine Spukgeschichte. Ein spannender Verlagswelt-Thriller. Ein Bildungsroman.

Sie kritisiert rassistische Zustände in der Verlagswelt und erzählt von der Erbarmungslosigkeit der Sozialen Medien. „Yellowface“ ist kein subtiler Roman. Er fordert ständig dazu auf, das Verhalten der Figuren moralisch zu beurteilen.

Doch so direkt, wie es auf den ersten Blick scheint, ist Kuangs Buch nicht. Die Doppeldeutigkeit liegt in der vermeintlich selbstreflexiven Erzählweise. Der Text spielt mit einer Erkenntnis der Ich-Erzählerin über das Schreiben:

Die Wahrheit ist fließend. Man kann die Geschichte immer in eine andere Richtung drehen, immer Sand in das narrative Getriebe streuen. Das habe ich aus der ganzen Sache gelernt, wenn auch sonst nicht viel.

Während Kuangs Fantasyromane „Babel“ oder die Mohnblumen-Trilogie durch vielschichtige Charaktere, aufwendiges Worldbuilding und überraschende Elemente überzeugen, ist „Yellowface“ ein vergleichsweises schlichtes Buch.

Trotzdem lohnt sich die Lektüre: „Yellowface“ ist ein spannender, dynamischer Roman einer klugen Autorin über aktuelle Diskursthemen. In der Bildsprache der Sozialen Medien gesprochen: Herzemoji für „Yellowface“.

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