SWR2 lesenswert Kritik

Karoline Kuttner, Clemens J. Setz – Unique, das traurige Einhorn

Stand
Autor/in
Silke Merten

Das Leben junger Großstädter kann ganz schön schlauchen: Hier der Druck, individuell und unverwechselbar zu sein, da der Wunsch nach Nähe und echten Beziehungen. Von diesem Spagat erzählen der Büchner-Preisträger Clemens J. Setz und die Zeichnerin Karoline Kuttner in ihrer absurd-komischen Graphic Novel "Unique, das traurige Einhorn".

Luftschacht Verlag, 64 Seiten, 24 Euro
ISBN 978-3-903422-15-5

Karoline Kuttner wurde 1987 in Graz geboren und arbeitet in Albanien. Der Büchner-Preisträger Clemens J. Setz ist ebenfalls Grazer, kam aber fünf Jahre früher zur Welt. Gemeinsam haben die beiden jetzt etwas Neues gewagt und einen Comic geschrieben, der heute erscheint: "Unique, das traurige Einhorn" - Silke Merten.

Donald Duck, Mickey Mouse, Snoopy – die Geschichte des Comics ist voller Tierfiguren, die wie Menschen agieren. Das Interessante an diesen Zwitterwesen: ihre menschlichen Schwächen zeichnen sich wie unterm Brennglas gestochen scharf ab. Gleichzeitig schaffen sie als Tiere eine ironische Distanz zur Handlung. Erst recht, wenn’s komisch wird.

Auch im Comic "Unique, das traurige Einhorn" geht es, wie der Titel schon sagt, um ein Tier. Erfunden haben es der Autor Clemens J. Setz und die Zeichnerin Karoline Kuttner. Dass es als Einhorn selten ist, sagt auch der Name: Unique - Einzigartig. Nur steht es auf zwei Beinen und wirkt – abgesehen vom Pferdekopf mit Horn - wie einer von vielen jungen Männern: sein schlanker Körper ist menschlich und wirkt etwas ungelenk, er ist immer in T-Shirt, Hose, Kapuzenshirt gekleidet. Damit machen Setz und Kuttner in ihrem Comic-Debüt gleich die komische Fallhöhe klar. Denn dieser Typ namens Unique kriegt Anspruch und Wirklichkeit nicht überein. Mag er sich auch für außergewöhnlich halten, er hat die gleichen banalen Probleme wie Millionen andere: scheiternde Beziehung, zu wenig Anerkennung, unausgesprochener Ärger.

Setz und Kuttner zeigen ihren traurigen Helden in kurzen Alltagsepisoden. Jede ist nur ein bis zwei Seiten lang und in der ersten Buchhälfte in verwischtem Rostrot gehalten. Da sehen wir Unique und seine Freundin, wie sie aneinander vorbeireden. Unique, wie er sich von seinem Vorgesetzten abkanzeln lässt. Wie er zur Gruppentherapie für Einzigartige geht und feststellt, dass es nicht nur ihn als Einhorn-Menschen gibt, sondern auch Menschen mit Flamingokopf. Oder gar als Käfer. Da hilft es ihm nicht, sich selbst im Spiegel mit "Du bist was Besonderes!" anzufeuern. Hier leidet ein typischer Hipster an der Welt. Nur, dass der von seinem Therapeuten keine Psychopharmaka verschrieben bekommt, sondern Zaumzeug. Aber sich im Zaum halten? Lieber lässt Unique es auf der Kommode liegen.

Das ist so absurd wie witzig. Und von einem Team, das vorher nie Comics gemacht hat, erstaunlich souverän gezeichnet und erzählt. Setz und Kuttner kitzeln die Komik aus den Episoden, indem sie in Sequenzen von Bildern, die eigentlich alle das Gleiche zeigen, winzige Details verändern oder hinzufügen. So funktionieren auch Cartoons.

Bevor Uniques Geschichten aber in reinen Slapstick abgleiten, geben eine Bemerkung oder ein offenes Ende ihnen eine lakonische Note. Denn in den Bildern hängt auch eine unausgesprochene Traurigkeit. Sie nimmt im zweiten Teil des Buchs noch zu, wenn die Buntstiftzeichnungen in kühle Blau- und Grüntöne wechseln. Mit dem Farbwechsel tritt ein neues Wesen in das Lebens des Einhorns: ein dicklicher Wurm, den Unique als Lungenfisch bezeichnet.

Während seine Umgebung den Wurm als Schädling betrachtet, hält Unique ihn wie einen Hund in seiner Wohnung. Was aber nichts an seiner Einsamkeit ändert. Als der Wurm stirbt, sehen wir den Einhorn-Mann allein in Bars sitzen und durch die Straßen seiner Stadt spazieren. Dabei gleicht seine Umgebung seinem Seelenzustand: Ob Innenräume, Straßen oder Park, alles ist nüchtern und ohne jede Wärme. Zeichnerin Karoline Kuttner verzichtet auf jedes dekorative Detail und verwischt die wenigen Konturen, was den melancholischen Ton der Episoden noch verstärkt.

Nach und nach stellt sich heraus: Echte Anteilnahme zeigt hier keiner für keinen. Auch Unique nicht. Clemens J. Setz und Karoline Kuttner zeigen das Porträt einer Generation, die zwischen Selbstverliebtheit und Sehnsucht nach Nähe hin und hergerissen ist. Erträglich, ja sogar komisch wird das, weil Uniques Leiden an der Welt immer wieder ins Leere läuft. Das Leben ist schrecklich, aber weiter geht es trotzdem.

Dass sich Komik und Tragik auf nur 64 Seiten so gekonnt die Waage halten, ist zwei Naturtalenten in Sachen Comic zu verdanken. Clemens J. Setz und Caroline Kuttner wissen genau, was sie zeigen oder nur andeuten müssen, was in Worte gefasst werden muss und was besser ungesagt bleibt. Ein gelungenes Debüt und ein treffender Kommentar zum Leben junger Großstädter.

Buchkritik Clemens J. Setz – Die Bienen und das Unsichtbare

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ISBN 978-3-518-42965-5

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Silke Merten