Warum an der Liebe arbeiten, wenn man sich auch trennen kann? Messerscharf und exemplarisch analysiert Julia Schoch in "Das Liebespaar des Jahrhunderts" die Ermüdungserscheinungen einer langjährigen Beziehung. Und stellt die Frage, wie man eingeschlichenes Unglück wieder loswird.
Die 1974 geborene Julia Schoch hat sich in den letzten zwei Jahrzehnten einen festen Platz in der deutschsprachigen Literatur erschrieben. Im vergangenen Jahr erschien ihr Roman "Das Vorkommnis" und jetzt der Band "Das Liebespaar des Jahrhunderts", platziert auf der SWR Bestenliste im März und April - Wolfgang Schneider.
Er ist groß, gutaussehend, gelassen, eigensinnig und etwas dandyhaft. Sie lernen sich kennen kurz nach dem Zusammenbruch der DDR. Die erste Blüte erlebt ihre Liebe in einer kleinen Potsdamer Plattenbauwohnung. Es folgen Reisen; aufregende, intensive Tage in Paris und Bukarest. Ein glückliches Paar.
Julia Schochs sehr autobiographisch anmutender Roman „Das Liebespaar des Jahrhunderts“ ist dennoch keine Lektüre zum Neidischwerden. Schon der zweite Satz lautet: „Ich verlasse dich.“ Die Trennung wird zur Obsession der Ich-Erzählerin, fast so, als gehörte das Scheitern heute zum zeitgemäßen und richtigen Verlauf einer heterosexuellen Beziehung. Als ginge es darum, einen Prozess zu führen, schreibt die Erzählerin, dass sie fast dreißig Jahre lang „Gründe“ gegen ihre Liebe gesammelt habe. Aber warum eigentlich? Weshalb ist sie so unzufrieden?
Sie findet ihren Mann ja weiterhin attraktiv, zwei Kinder sind ein gemeinsames Projekt, verbindend ist die Erfahrung des Aufwachsens im DDR-Sozialismus, mit den gleichen Sehnsüchten und Enttäuschungen, Liedern und Filmen. Keineswegs handelt es sich also um eine Desaster-Ehe voller Streit und Kränkungen. Im Trott des Familien- und Berufsalltags versandet das Begehren. Pointiert beschreibt Julia Schoch, wie aus dem euphorischen Eins-Sein erst ein pragmatisches Miteinander, dann ein Nebeneinander, schließlich ein bewusstes Aneinander-Vorbeileben wird.
Der Titel „Das Liebespaar des Jahrhunderts“ wirkt weniger plakativ, wenn man ihm das Pathos des Singulären entzieht und ihn im Sinn nüchterner Allgemeingültigkeit versteht. „Wir wurden zu einem Paar“, heißt es einmal, „in dem sämtliche Paare dieser Welt enthalten waren“. Sogar bei den Gefühlen und Gedanken scheint das Individuelle abgeschliffen.
Julia Schoch erzählt die auf den ersten Blick privat-bekenntnishafte Geschichte so repräsentativ wie möglich, als gälte es – bis hin zur exakten Zahl der geschmierten Schulbrote, durchgestandenen Infektionen und geknipsten Fotos – die naturgesetzlich bestimmten Abläufe und Stationen einer dreißigjährigen Beziehung mit zwei Kindern zu protokollieren. Immer größere Wohnungen, immer kleinere Gefühle. Lakonisch werden die Routinen des Familienlebens aufgelistet. Ja, das Leben besteht aus Alltag. Aber ist das gleichbedeutend mit Unglück?
Zunehmend vermisst man bei diesem Monolog die Gegen-Perspektive des Partners. Schließlich geht es um ein Paar. Nimmt er denn alles ungerührt hin? Leidet er nicht unter dem Mangel an Liebe und Leidenschaft? Nie kommt es zu einer Aussprache – und das wirkt wie Ironie angesichts des Satzes, mit dem der Mann einmal die unbefriedigende Dramaturgie vieler tragischer Liebesfilme kritisiert:
„Die hätten doch einfach nur miteinander reden müssen …“
Immerhin sagt er an einer Stelle, dass Liebe auch eine Sache des Entschlusses sei. Es komme auf den Willen an, eine Beziehung langfristig zu führen.
Es gibt kaum längere Beschreibungen in diesem Roman, dafür viele kleine, kluge, mit trockenem Witz formulierte Beobachtungen und Reflexionen, leicht maliziöse Bemerkungen über pubertierende Kinder, alternde Freunde, karrieregeile Geisteswissenschaftler, Mütter auf Spielplätzen, Einkaufs- und Einrichtungsrituale.
Und am Ende gelingt es der Ich-Erzählerin, sich dem depressiv-destruktiven Sog zu entziehen. Man hätte ihre Geschichte auch als Kette „wunderbarer Momente“ erzählen können, stellt sie plötzlich fest – und überrascht ihren Partner nach drei Jahrzehnten dann doch mit etwas anderem als der lange geplanten Trennungsmitteilung.
So erweist sich dieser genaue und dicht geschriebene Roman schließlich als Buch „erfüllten Lebens“, auch wenn er so hartnäckig das Gefühl eines Mangels umkreist.