Bei seinem Tod im September 1715 tanzten die Menschen vor Freude auf den Straßen von Paris – es reichte einfach mit königlichem Prunk und Glanz, vor allem aber mit den materiellen und insbesondere menschlichen Verlusten in den unzähligen Kriegen, die Ludwig XIV. in den 54 Jahren seiner Herrschaft geführt hatte. Dabei hatte er Frankreich groß gemacht – und diese Größe nötigte selbst einem radikalen Aufklärer wie Voltaire Bewunderung ab. Aber was bedeutete die ‚Größe‘ eines Landes wie Frankreich und wer bewirkte sie wie? Und was folgt heute daraus?
Diesen Fragen ist der im vergangenen Jahr verstorbene Historiker Johannes Willms in vielen Büchern über Frankreich nachgegangen – eine Antwort darauf gibt er gleich zu Beginn seiner Biografie des Sonnenkönigs:
„Louis XIV“, schreibt Willms, „ist eine der drei Herrschergestalten, die Frankreichs neuere Geschichte nachhaltig beeinflussten. Wie Napoleon oder Charles de Gaulle sorgte auch er für einen Überschuss an Glanz und Macht, dessen Erinnerung das Erbe mehrt, aus dem Frankreich kulturelles und politisches Selbstbewusstsein schöpft.“
Ludwig XIV. als Stifter von kulturellem und politischem Selbstbewusstsein Frankreichs darzustellen, das erst durch dessen Herrschaft zur Nation hat werden können, gelingt Johannes Willms auf überzeugende Weise, nicht zuletzt wegen eines souveränen Erzähltons, der eloquente Leichtigkeit mit detailversessener Genauigkeit zu vereinen weiß. Und dabei macht er sichtbar, worauf die Wirkung der Herrschaft Ludwigs XIV. beruhte, dem gloire und Macht als zwei unzertrennliche Seiten der Rolle galten, die er zu spielen hatte.
In den drei Teilen seines Buchs unter den Überschriften ‚Lehrjahre der Macht‘, ‚Illusion der Macht‘, ‚Schatten der Macht‘ variiert Johannes Willms in jeweils fünf Kapiteln diese Dialektik von Macht und Ruhm – wie anders sollte man gloire übersetzen? Die Inszenierungen dieser gloire zeigen den Sonnenkönig als Herrschergestalt, der die mittelalterliche Tradition aufwändiger Ritterspiele geschickt nutzte, um sie seinen dynastischen Zwecken und vor allem dem unersättlichen und durchaus modernen Hunger nach Territorialgewinnen dienstbar zu machen.
Mit psychologischem Geschick analysiert Johannes Willms die vielen eigenwilligen Machtdemonstrationen des Monarchen als Rituale der Bewältigung dessen, was am Anfang seiner Herrschaft stand: nämlich die Gefährdung durch die Frondeure, also jene aus dem Kreis der mächtigen Aristokraten, die den jungen Thronfolger entmachten wollten.
Die gloire des Königs ist also letztlich die Ästhetisierung seines bedrohten und deshalb ins Maßlose gesteigerten Machtanspruchs, den es in immer neuen Varianten zu inszenieren galt. Der grandiosesten dieser Inszenierungen – nämlich dem Schloss und dem Park von Versailles – widmet Johannes Willms das vielleicht beeindruckendste der 15 Kapitel seines Buchs: Unter der Überschrift A Fool’s Paradise nimmt er seine Leserinnen und Leser mit nach Versailles und schildert die zu Stein und Marmor gewordene gloire so anschaulich, als ob man ihn durch diese Traumwelt begleiten würde.
Aber bei jeder noch so detailverliebten Entschlüsselung der mythologischen Motive von Skulpturen, Gemälden und Galerien verliert Willms niemals die ihm eigene ironische Distanz zu dem, was er mit einem Augenzwinkern die „Konsekration des Mythos“ und das „Evangelium des Absolutismus“ nennt: Die Selbstinszenierung des Monarchen zeuge eben auch davon, dass nur die Renaissancepäpste dem Sonnenkönig darin ebenbürtig waren, das religiöse Bildprogramm des Katholizismus derart zur weltlichen Machtentfaltung zu nutzen.
Dabei lässt Johannes Willms keinen Zweifel daran, dass die Grausamkeit der vielen Kriege, welche der Sonnenkönig führte und mit denen er schließlich – trotz der Inszenierungen von Größe und gloire – sein Land ruinierte, die Kehrseite solch faszinierender Ästhetik war.
Gleichzeitig habe Ludwig XIV. „die Partitur entworfen, mit der die nationale Befindlichkeit Frankreichs von der Revolution über Napoleon bis hin zu de Gaulle und Macron intoniert wird.“
Mit seinem letzten Buch ist Johannes Willms ein eindrückliches Porträt dieser Partitur und ihres Urhebers gelungen.
C.H.Beck Verlag, 608 Seiten, 34 Euro
ISBN 978-3-406-80067-2