Buch-Tipp

Hindemith - Schottverlag. Der Briefwechsel 1919-1967

Stand
Autor/in
Matthias Nöther

Fast fünfzig Jahre lang führte Paul Hindemith einen Briefwechsel mit dem Schott-Verlag, der unter dem Titel „Hindemith - Schottverlag. Der Briefwechsel“ in vier umfangreichen Bänden in Hindemiths einstigem Stammverlag erschienen ist. Die Karriere des Komponisten ereignet sich in einer höchst krisenhaften Zeit: Sie beginnt in den Anfängen der Weimarer Republik, wird durch die Zeit des Nationalsozialismus unterbrochen und kommt schließlich in der frühen Bundesrepublik nur noch schwerfällig wieder in Gang. Von dieser gebrochenen Künstlerkarriere erzählt der Briefwechsel in nie gekannter Detailliertheit. Matthias Nöther hat die Briefe gelesen.

Der Briefwechsel zwischen Paul Hindemith und den Erben des Schott-Verlags Ludwig und Willy Strecker beginnt im Juni 1919, zwölf Tage bevor Deutschland den Friedensvertrag von Versailles unterzeichnet. Zur Vergangenheit gehören da zum Beispiel die Hoftheater in ihrer alten Struktur: Und gerade ein Musikverlag kann sich auf die Meriten der Vergangenheit nicht verlassen – Schott zum Beispiel nicht auf einen florierenden Vertrieb der Opern Richard Wagners. Vielleicht deshalb stößt es auf das Interesse der Gebrüder Strecker, dass ihnen ein dreiundzwanzigjähriger Komponist einige Kammermusikwerke vorlegt, die sie sich daraufhin auch gerne einmal anhören.

 „Sehr verehrte Herren Schott’s Söhne! Hoffend, dass das Anhören meiner Stücke bei Ihnen keine nennenswerten bösen Folgen gezeitigt hat, erlaube ich mir, Ihnen hier zu zeigen, wie Andere darunter gelitten haben, namentlich der Musikkritiker Paul Bekker, der vor lauter Übergescheitheit Dinge entdeckt hat, die man nicht einmal mit einer Fünfhundert-Prozent-Brille finden kann, als da sind Grämlichkeit, jugendlicher Weltschmerz, Grübelei. Er muss anscheinend ganz um die Ecke gehört haben.“

Willy und Ludwig Strecker lassen sich durch die Musikkritik nicht beirren. Paul Hindemith ist Konzertmeister des Frankfurter Opernorchesters, als Komponist allerdings ein Nobody. Wobei Hindemith selbst gegenüber den Streckers bald schon eine ganz andere Meinung vertritt.

 „Zudem wissen Sie ebenso gut wie ich, dass das erst der Anfang ist und dass ich auf dem besten Wege bin, sehr bekannt und sehr viel gespielt zu werden. Sie werden also im Laufe der nächsten Jahre nicht nur auf Ihre Kosten kommen, sondern wahrscheinlich auch ein gutes Geschäft an mir machen. Ich bin in Geldsachen sehr ungeschickt und war bis vor kurzem nicht orientiert über Verlagshonorare, Tantiémen etc. Umso verwerflicher finde ich es, dass Sie meine Unkenntnis ausgenutzt und mich mit miserablen Honoraren abgespeist haben.“

Dieser Brief stammt von 1922, aus dem Jahr der Hyperinflation – eine Zeit, in der die Nerven beim Verlag blank gelegen haben dürften. Gerade die Briefe aus der Weimarer Republik belegen, wie selbstbewusst Hindemith seinem Verlag gegenübertrat. Ob er wirklich einen anderen Verlag zum Wechseln in der Hinterhand hatte, geht natürlich aus dem Briefwechsel mit Schott nicht hervor. Die Brüder Strecker mussten aber offenbar damit rechnen und erfüllten Hindemith viele seiner Wünsche. Doch das gegenseitige Vertrauen wuchs. Als Hindemith Frankfurt 1928 für eine Professur in Berlin verlässt, hatte sich ein enges Verhältnis zwischen Künstler und Verlag herausgebildet, wie man es von kaum einem anderen berühmten Komponisten und seinem Verleger kennt.

In den Dreißiger Jahren wollten die Streckers Paul Hindemiths neue Oper „Mathis der Maler“ in Nazi-Deutschland zur Aufführung bringen. Der Dirigent Wilhelm Furtwängler versuchte, Hitler und Goebbels von der Oper überzeugen. Besonders Gertrud Hindemith ging in ihren Briefen an den Verlag zu Codewörtern über: Fu stand für Furtwängler, SS für Schotts Söhne.

 „Liebe SS – also lauscht, wenn die liebe Grossmama erzählt und passt gut auf! Bei unserer Ankunft war Strom gerade am Telefon, von einem Verbot sei nicht die Rede. Paul sollte nach Hamburg, sagte aber ab mit der Begründung, dass er lieber seine Musik als seine Verbeugung im Augenblick wirken liesse. Montag im Konzert war der Meister Fu trotz schwerem Bruckner aufgeräumt und tatendurstig. Er sprach begeistert vom Operntext. Gestern nun waren wir abends bei Kulenkampffs mit Fu zusammen zum Essen, Fu spricht nur von der Aufführung als Selbstverständlichkeit, er wird alles daran setzen. Alles. Die Unterredung mit dem Führer findet nächste Woche statt, sagte er. Ich glaube, unter uns, es kann auch übernächste Woche werden.“

Furtwängler hatte kein Glück bei Hitler, „Mathis der Maler“ wurde erst 1938 in Hindemiths erstem Exil-Land, der Schweiz uraufgeführt. In den Jahren zuvor konnten die Verleger Hindemith noch in Deutschland halten – dies ist ein weiterer Teil des Briefwechsels, in den sich resignierte Töne mischen. Im NS-Staat durften keine größeren Werke von Hindemith mehr aufgeführt werden. Er schrieb vor allem Kammermusik für einzelne Orchesterinstrumente – denen man die Meisterschaft eines öffentlich ausgebremsten Künstlers im besten Alter wahrlich anmerkt. Ob diese Stücke von Schott gedruckt würden, war Hindemith jetzt eigentlich egal.

 „Ob, wann und wie Du etwas von diesen Sachen einmal haben willst, ist Dir überlassen – am besten warten wir wohl auf etwas gelegenere Zeiten.“

In der Nachkriegszeit erhalten die Briefe einen fast tragischen Einschlag. Dem Komponisten war nach seiner Rückkehr aus den USA in den 1950er Jahren nur schwer klar zu machen, dass Schott nicht in erster Linie der Hindemith-Verlag war. Der Briefwechsel zwischen dem Schott-Verlag und Paul Hindemith: Man muss nicht die umfangreichen vier Bände vollständig durchlesen, um Bezüge zur Gegenwart herzustellen. Denn bei der Lektüre erhält man schnell einen Sinn dafür, wie sehr wirtschaftliche und politische Umstände eines Zeitalters Künstlerkarrieren beeinflussen können.

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Matthias Nöther