- „Die Stadt und ihre ungewisse Mauer“ – Neuer Roman zum 75. Geburtstag
- „Naokos Lächeln“ – Ein Mann zwischen zwei Frauen
- „Kafka am Strand“ – Reise in eine magische Zwischenwelt
- „Nach dem Beben“ – Auseinandersetzung mit Terror und Naturgewalten
- „Südlich der Grenze, westlich der Sonne“ – Faszination der gefährlichen Geliebten
- „Erste Person Singular“ – Über die Nostalgie des Vergangenen
Zwischen japanischer Gesellschaft und westlichem Individualismus
Die Inspiration zum Schreiben sei ihm im wahrsten Sinne des Wortes mit einem Schlag gekommen, erzählt Haruki Murakami seinen Werdegang, nämlich während eines Baseballspiels. Es sei kein herausragendes Spiel gewesen, doch als der US-Spieler Dave Hilton einen Double schlägt, hat der 29-jährige Murakami die Idee einen Roman zu schreiben.
Es ist bezeichnend, dass gerade ein Amerikaner die Initialzündung zu Murakamis Schriftstellerkarriere ist. Die westliche Literatur habe ihn immer mehr fasziniert als die japanische, so Murakami. Schriftsteller wie Dickens, Flaubert, Dostojewski, Kafka oder Kerouac zählt er zu seinen wichtigsten Einflüssen.
Neuer Roman „Die Stadt und ihre ungewisse Mauer“ zum 75. Geburtstag
Wer mit dem Bild aus Murakamis Romanen nach Japan reist, der riskiert einen Kulturschock der etwas anderen Art. Murakami ist ein Wandler zwischen den Welten: zwischen dem Realen und dem Fantastischen und auch zwischen japanischer Gesellschaft und westlichem Individualismus.
Pünktlich zum 75. Geburtstag veröffentlicht der DuMont-Verlag Murakamis neuesten Roman „Die Stadt und ihre ungewisse Mauer“. Es ist der erste Roman des Autors in sechs Jahren. Doch auch Murakamis ältere Titel lohnen einen zweiten oder dritten Blick.
„Naokos Lächeln“ – Ein Mann zwischen zwei Frauen
Murakamis Kritiker werfen ihm gerne vor, seine Bücher seien „niveauvoller Kitsch“. Maßgeblich beigetragen zu dieser Einschätzung hat „Naokos Lächeln“, der Roman, der Murakami 1987 in Japan schlagartig populär machte.
Im Zentrum der Handlung stehen die Erinnerungen des früheren Theaterwissenschaftsstudenten Toru Watanabe an die fragile Naoko. Sie war die erste Freundin von Torus bestem Freund Kizuki. Als Kizuki an seinem 17. Geburtstag Selbstmord begeht, bindet die gemeinsame Trauer die beiden jungen Menschen aneinander.
Für Toru werden seine zwiespältigen Gefühle für Naoko zum Problem, als er seine lebensbejahende und selbstsichere Midori kennenlernt, der er sich auf einer anderen, tiefgreifenderen Ebene verbunden fühlt.
Aller Kritik zum Trotz: „Naokos Lächeln“ erzählt melancholisch und nostalgisch über Jugend, sexuelle Lust und den Umgang mit Trauer und Einsamkeit. Ein wunderbar eindrücklicher Einstieg in die literarischen Welten von Haruki Murakami.
„Kafka am Strand“ – Reise in eine magische Zwischenwelt
Der 15-jährige Kafka Tamura ist auf der Flucht: auf der Flucht vor seinem Vater und dessen Prophezeiung, er werde mit seiner Mutter und Schwester schlafen, die vor elf Jahren aus seinem Leben verschwanden. Kafkas Ziel ist eine private Bibliothek in Takamatsu auf Shikoku, der kleinsten Hauptinsel Japans. Auf seiner Erlebnisreise wird Kafka begleitet von Krähe, einer inneren Stimme, die seinen Ängsten Ausdruck verleiht.
Ebenfalls auf dem Weg, wenn auch aus anderen Gründen, ist der alte Mann Nakata, der bei einem Vorfall im Zweiten Weltkrieg sein Gedächtnis verloren hat. Dafür kann er mit Katzen sprechen und seltsame Ereignisse voraussehen. Mit der Zeit zeigt sich: Nakata und Kafka sind auf seltsame Weise verbunden.
Er habe sich immer für Menschen interessiert, die sich aus der Gesellschaft herausziehen, sagt Murakami in einem Interview anlässlich der Veröffentlichung des Buches. Dies träfe auf die meisten seiner Figuren in „Kafka am Strand“ zu, vor allem auf den Katzenflüsterer Nakata.
Shikoku, wo Kafka Tamura landet, gilt bis heute als Ort der shintoistischen Götter und der buddhistischen Pilgerfahrten. Es wundert nicht, dass Murakami seinen Protagonisten in ihren üppigen Wäldern in eine magische Zwischenwelt entführt. Ein Leseerlebnis für alle Sinne.
„Nach dem Beben“ – Auseinandersetzung mit Terror und Naturgewalten
Am 17. Januar 1995 erschüttert ein großes Erbeben Murakamis Heimatstadt Kobe. Allein in der Stadt kommen mehr als 4.500 Menschen ums Leben. Nur zwei Monate später ereignet sich eine weitere Tragödie in Japan.
In den Morgenstunden des 20. März, während der Pendlerstoßzeiten, verübt die Sekte Omu Shinrikyo einen Giftgasanschlag in der Tokioter U-Bahn. Die Attacke, die 13 Menschenleben fordert und über 5.000 Verletzte, erschüttert die japanische Gesellschaft, die wenig Erfahrung im Umgang mit Terrorattacken hat, bis ins Mark.
Murakami arbeitet die Geschehnisse in zwei Büchern auf. Zum einen in „Untergrundkrieg: Der Anschlag von Tokyo“, einem Interview- und Essayband, und in sechs Kurzgeschichten, die er im Jahr 2000 im Sammelband „Nach dem Beben“ veröffentlicht.
Besonders interessant sind die beiden letzten Geschichten des Bandes: In „Frosch rettet Tokyo“ macht ein Bankangestellter eine kafkaeske Bekanntschaft mit einem großen, sprechenden Frosch, der ihn als Mitstreiter in einen Kampf gegen einen erdbeben-auslösenden Riesenwurm verwickelt.
„Honigkuchen“ erzählt von zwei Freunden, die sich in dieselbe Frau verlieben. Ihre Konstellation entscheidet sich, als einer der beiden nach dem Erdbeben von Kobe aus dem Ausland nach Japan zurückkehrt. Die Kurzgeschichte wurde 2023 bei DuMont als Einzelband mit Illustrationen von Kat Menschik neu veröffentlicht.
„Südlich der Grenze, westlich der Sonne“ – Faszination der gefährlichen Geliebten
Hajime fühlt sich zu Shimamoto hingezogen. Im Babyboom der Nachkriegsjahre waren beide als Einzelkinder Außenseiter auf dem Schulhof und knüpften so ein enges Band. Jahre später, Hajime ist mittlerweile verheiratet, tritt die Kindheitsfreundin wieder in sein Leben. Hajime beginnt ein Versteckspiel vor seiner Frau, um Shimamoto in seinem Leben zu halten.
Im deutschen Fernsehen sorgte der Roman, in der Erstübersetzung als „Gefährliche Geliebte“ betitelt, für einen handfesten Literaturskandal: Im „Literarischen Quartett“ gerieten Sigrid Löffler und Marcel Reich-Ranicki ob der literarischen Qualität des Buchs derartig in Streit, dass Löffler das Format anschließend verließ.
Im Nachgang des Eklats wurde bekannt, dass die deutsche Ausgabe aus dem Englischen zweitübersetzt wurde. DuMont veröffentlichte daher 2013 unter dem Titel „Südlich der Grenze, westlich der Sonne“ eine Neuübersetzung des Romans, diesmal direkt aus dem Japanischen und von Ursula Gräfe, die für einen Großteil der deutschen Murakami-Übersetzungen verantwortlich zeichnet.
„Erste Person Singular“ – Über die Nostalgie des Vergangenen
Musik spielt in den Erzählungen von Haruki Murakami, der vor seiner Schriftstellerkarriere Chef einer Jazzbar in Tokio war, eine besondere Rolle. Die acht Kurzgeschichten dieses Bandes, erstmals zwischen 2018 und 2020 erschienen, sind verbunden durch Musik als wiederkehrendes Thema und die Nostalgie eines alternden Ich-Erzählers, der auf seine Jugendjahre zurückblickt.
Auszug aus dem Hörbuch:
In einer der Geschichten geht es um ein fiktives Album des Jazz-Saxophonisten Charlie Parker, das sich ein Student für eine Besprechung ausdenkt und später in einem Plattenladen entdeckt. In einer weiteren Geschichte schildert der Erzähler seine Begegnung mit einem sprechenden Affen, der in einem heruntergekommenen Spa-Hotel in Shinagawa lebt, Bier trinkt und die Sinfonien Anton Bruckners liebt.
Poetische Nostalgie, fantastische Begegnungen und die Sehnsucht nach Liebe und sexueller Erfüllung: „Erste Person Singular“ behandelt in kondensierter Form zentrale Themen aus Murakamis Werk und bietet einen übersichtlichen Einstieg für diejenigen, die ihn neu entdecken möchten.