SWR2 lesenswert Kritik

Jun’ichirô Tanizaki – Das Geständnis

Stand
Autor/in
Isabella Arcucci

Der Schriftsteller Mizuno hat einen Mord begangen. Wenn auch bloß in einer seiner Geschichten. Doch jetzt fürchtet er, ein ominöser Schattenmann könne diesen Mord in die Realität umsetzen und ihn als Hauptverdächtigen an den Galgen bringen.

Tanizaki Jun'ichiros Roman „Das Geständnis" erschien bereits im Jahr 1928 auf Japanisch und liegt nun erstmals auf Deutsch vor.

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Mizuno hat einen Mord begangen. Aber nur in seiner Fantasie. Also: in einem seiner Texte. Mizuno ist um die 40, Schriftsteller und dauerpleite, weil er alle Honorare in Tokyos Geishavierteln verpulvert. Außerdem bezeichnet er sich als Satanisten. Das bedeutet aber eigentlich nur, dass er sich das Recht herausnimmt, unausstehlich zu sein: übellaunig, faul, geizig und zudem auch noch sexsüchtig. Also: durch und durch unmoralisch. Und jetzt wird er auch noch irre, hat das Gefühl, Realität und eigenen Wahn nicht mehr unterscheiden zu können.

In seiner neuesten Erzählung ermordet ein Schriftsteller einen anderen Autor. Der Mörder trägt Mizunos Züge, und auch das Opfer hat ein reales Vorbild namens Kojima. Dummerweise hat Mizuno den echten Namen im Text genannt. Jetzt fürchtet er, dass ein heimlicher Feind seiner Person und seiner Kunst, den realen Kojima wie im Roman tötet, um ihn, Mizuno, unter Mordverdacht zu bringen. So setzt er, wahnhaft und konfus, alles daran, sich für die nächsten Wochen ein wasserdichtes Alibi zu verschaffen - und gerät in die Fänge einer Femme fatale. Das sogenannte «Fräulein Hindenburg» ist eine japanische Prostituierte. Angeblich hat sie länger in «Hamburch» gelebt, und sie bringt den bisher nur in traditioneller Geisha-Erotik bewanderten Mizuno mit ihrem teutonischen Sexappeal um den letzten Rest Verstand. Und dann passiert tatsächlich ein Mord…

Soweit die Story in Jun’ichirô Tanizakis Roman «Das Geständnis». Der erschien 1928 in Japan und liegt nun erstmals auf Deutsch vor. Vom Verlag wird das Buch als «Suspense»-Text vermarktet. Was ihm jedoch fehlt, ist eine wirklich spannungsreiche Entwicklung des Plots. Die Geschichte schlägt genau die Richtung ein, die man von der ersten Seite an vermutet. Da sich dies bereits gegen Mitte des Buches abzeichnet, verliert die anfängliche Spannung ziemlich bald an Zug. Und auch, wenn bis zum Ende Fragen offenbleiben und verschiedene Deutungsmöglichkeiten bieten, hätte man sich auf dieser Ebene mehr Raffinesse erhofft. Dass die Lektüre dennoch Freude macht, liegt vor allem an der genial gezeichneten Hauptfigur. Denn in Mizuno steckt auch eine gute Portion des berühmten Tanizaki selbst. Er galt als Skandalautor, weil er gerne über sexuelle Hörigkeit schrieb und mit degoutanten Ehescheidungen die Klatschspalten füllte.

In «Das Geständnis» entwirft Tanizaki mit Mizuno nun sehr gelungen die Karikatur eines geheimnisumwitterten und der bürgerlichen Moral abholden Schriftstellers - der im Grunde ein «armes Würstchen» ist. Die Verlagsmitarbeiter behandeln den überspannten Mizuno mit gespielter Hochachtung, geben ihm abwechselnd Zuckerbrot und Peitsche, damit er seine Deadlines einhält. Sie bestärken ihn auch in seinem Selbstbild als Satanisten, aber meist so, wie man kleine Kinder für ihr Faschingskostüm bewundert. Allein schon deshalb, weil sich Mizunos diabolisches Image beim Lesepublikum gut verkauft. Schlussendlich wird Mizuno selbst zum Wahnopfer seiner manierierten Pose.

Doch der Roman hat noch eine weitere Motivebene: den Clash zwischen japanischer Tradition und westlicher Moderne. Das Unheil lauert hier ja in Form des «Fräulein Hindenburg», das den Lüstling Mizuno mit seinem «typisch deutschen» nüchternen Modestyling, seinen kräftigen Armen und martialischen Wurststullen verführt. Das liest sich urkomisch. Doch Tanizaki setzte mit dieser Darstellung auch ein gewisses politisches Statement, das damals unter japanischen Künstlern en vogue war: die Kritik an der Verwestlichung seines Heimatlandes und die Suche nach japanischer Authentizität. Ein Zeitgeist, der jedoch nur etwas später – in den frühen 30ern – im japanischen Faschismus gefährliche Blüten trieb. Aus heutiger Sicht liest sich daher die Liaison zwischen Mizuno und «Fräulein Hindenburg» auch als bitter ironische Prophezeiung der unheilvollen Beziehung, die Japan und Deutschland wenige Jahre nach Erscheinen des Romans eingingen.

«Das Geständnis» ist also, trotz erzählerischer Schwächen, ein vielschichtiger und auch amüsanter Text, der von Jan Manus Leupert bravourös ins Deutsche übersetzt wurde.

Aus dem Japanischen von Jan Manus Leupert
Septime Verlag, 261 Seiten, 26 Euro
ISBN 978-3-99120-019-2

Stand
Autor/in
Isabella Arcucci