Gespräch und Lesung

Gespräch mit Poeta Laureatus Michael Krüger zum siebten Gedicht

Stand
Moderator/in
Alexander Wasner
Alexander Wasner, Autor und Moderator bei SWR Kultur
Autor/in
Michael Krüger

Ein Gedicht über Feuer und Wasser, ein Gedicht, in dem der Schlaf, den Dichter mal erträumt haben, der Angst gewichen ist. Ist „Amen“ das richtige Schlusswort für ein Gedicht? Was besseres würde ihm derzeit nicht einfallen, meint Michael Krüger. Und bitte – wer ist J.B., dem das Gedicht gewidmet ist?

Das siebte Gedicht

1

Es brennt. Alles ringsum brennt. Das Haus, die Treppe,
Dach und Böden, alles steht in Flammen. Die Lügen
brennen lichterloh. Das Wasser brennt, das Meer,
selbst die große Stille wird ein Raub des Feuers.
Das Feuer steigt den Berg herab und lässt die Büsche
lodern, sogar die Steine in der Mauer brennen.
Aus der Verklärungskathedrale schlägt ein Feuer.
Das letzte Jahr des Buches ist schon Asche,
ein dünner Rauch zeigt an, wo sie einst standen
und gelesen wurden. Es glimmt und glüht die Lohe
über Parlamenten, das Erbarmen ist schon lang verbrannt,
der Weizen und die Erbsen, alles hin und weg.
Und wenn nicht alles täuscht, dann wüten Feuer
auf der Zunge und verbrennen Wort für Wort die Rede.
Wir, des Weltalls Inbegriff, gehen auf in Flammen.

2

Im Juli waren wir oft unten am See, meistens am Abend,
weil ich sehen wollte, wie die Sonne am anderen Ufer
untergeht. Bevor sie hinter Tutzing verschwindet, zögert sie
einen halben Atemzug lang, als wolle sie es sich noch einmal
überlegen. Sie zögert jeden Tag,dann geht sie unter.
Die Linden sind angefressen, aber halten sich tapfer, den Efeu,
der sie heftig umarmt, ertragen sie wie eine lästige Pflicht.
In der Dämmerung durchbrechen winzige Fische
die Oberfläche des Wassers, ihre Botschaften erreichen uns
in kleinen Wellen: Aber der Herr verschaffte einen großen Fisch,
Jonas zu verschlingen. So hat auch das Unwirkliche freien Zugang
zum See. Man wird einerseits durchsichtig wie Wasser,
selbstlos und leicht, andererseits kann man sich schwer erheben,
weil man schon Wurzeln geschlagen hat, die einen binden.

3

Lieber Gott, ich will dich nicht stören, du hast genug um die Ohren.
Aber lass es einmal regnen, damit das Feuer erlischt. Amen.

Zur Erinnerung an J.B.