G. V. Desani schrieb nur einen einzigen Roman, aber der gehört zu den wüstesten der modernen angelsächsischen Literatur. Darin erzählt er „Alles über Herrn H. Hatterr“, der Inder ist und ein Geistesverwandter von sowohl Mister Bean als auch Casanova und Don Quijote.
Stets ist er auf der Suche nach Glück – will sagen: Geld, Sex und Erleuchtung, doch verläuft das Leben eben niemals ideal. Ein intelligenter Roman – kalkuliert chaotisch und hochkomisch.
Der Romanheld Herr H. Hatterr hat viel mit seinem Autor G.V. Desani gemeinsam: vor allem die indische Herkunft und ein Leben zwischen Orient und Okzident.
Desani verfasste nur einen einzigen Roman
„Alles über Herrn H. Hatterr“ erschien 1948 in London und prägte die anglo-indische Literatur wie kaum ein anderes Werk. Es blieb der einzige Roman Desanis, der als Journalist in England arbeitete, dann aber in indischen Ashrams und buddhistischen Klöstern untertauchte, bevor er Philosophieprofessor in den USA wurde.
Vermutlich hat er all seine erzählerische Phantasie für dieses eine, unfassbare Buch verschwendet, das vor Einfällen und Geschichten nur so überquillt.
„Alles über Herrn H. Hatterr“ ist eine ausschweifende Satire
Es sind durchaus ernste Probleme, die Govindas Vishnoodas Desani in seiner ausschweifenden Satire erörtert. Jedes der sieben Kapitel beginnt mit einem Bündel absurder Fragen und könnte – Eiszapfen im Hades hin oder her – als Höllenfahrt bezeichnet werden.
Einmal sucht der närrische Held einen Guru auf, der offenbar systematisch die Kleider seiner Besucher stiehlt und sie mit einem Handtuch der indischen Eisenbahngesellschaft nur notdürftig umhüllt wieder nach Hause schickt.
Ein Grenzgang zwischen Literatur und Philosophie
Auf der Suche nach sexuellen Abenteuern gerät Herr Hatterr sodann in die Fänge eines Zirkusdirektors, der ihn zum Statisten in einer Dressurnummer degradiert: Mit einem blutigen Steak auf der Brust muss er sich auf den Boden legen, damit ein Löwe seine Mahlzeit von ihm als lebendem Teller fressen kann.
G.V. Desani, wie er sich konsequent abkürzte, war ein Grenzgänger zwischen Indien und dem Westen, zwischen Literatur und Philosophie.
Der Roman trotzt jeder Logik und Erzähltradition
Geboren 1909 als Sohn indischer Eltern in Kenia, aufgewachsen im Sind im heutigen Pakistan, arbeitete er von 1939 bis 1952 als Journalist in London. Fünfzehn Jahre lang lebte er in indischen Ashrams und buddhistischen Klöstern in Japan, bevor er Ende der 60er Jahre Professor für orientalische Philosophie in Austin/Texas wurde. Er starb als amerikanischer Staatsbürger 2000 in den USA.
„Alles über Herrn H. Hatterr“ ist sein einziges literarisches Werk neben einem Theaterstück. Es entstand während des zweiten Weltkriegs in London und erschien dort 1948.
Dieser groteske, alle Logik und europäische Erzähltraditionen fulminant ignorierende Schelmen- oder Abenteuer- oder Bildungsroman prägte die indo-englische Literatur und mit ihr so unterschiedliche Autoren wie T.S. Eliot, Saul Bellow und Salman Rushdie.
„Alles über Herrn H. Hatterr“ will kein Roman sein, sondern eine symbolische Geste
Doch soll man diesen ornamentalen Phantasieüberschwang überhaupt als Roman bezeichnen? Der Autor selbst sprach lieber von „symbolischen Aktionen“ oder von „Gesten“, wie er in einer kleinen, dem Buch vorangestellten Sequenz behauptet:
Der Protagonist ist Kunstfigur und Narr
Ähnlich wie hier dem Autor geht es auch seinem Helden, der immer genau das mit sich geschehen lässt, was er kurz zuvor entschieden abgelehnt hat.
Herr Hatterr ist eine Mischung aus Casanova, Don Quijote und Mister Bean, also ganz und gar Kunstfigur, kein psychologisch ausdeutbarer Held, sondern ein Narr, der stolpert und scheitert und das Schicksal in Gestalt des fernöstlichen „Kismet“ als Himmelsmacht zu akzeptieren lernt.
Die Übersetzung des Romans war keine leichte Aufgabe
Als Sohn eines christlichen Handelsmarine-Matrosen aus Europa und einer asiatischen Dame von der malaiischen Halbinsel wuchs Herr Hatterr in einer Missionsgesellschaft auf, wo englisches Kauderwelsch seine Muttersprache wurde.
Weil Desani ihn in diesem selbstgeschaffenen Idiom aus Pidgin-, Shakespeare- und Gossenenglisch daherreden lässt, ist der Text nur schwer zu übersetzen. Gerhard Bierwirth hat da mehr als 70 Jahre nach der Veröffentlichung des englischsprachigen Originals echte Pionierarbeit geleistet.
Die Geschichten erinnern an Parabeln
Parabelhaft geht es in all diesen Geschichten um Gut und Böse, aber so, dass alle guten Vorsätze an der Wirklichkeit zuschanden werden. So wild wuchernd das Geschehen, so streng gebaut sind die einzelnen Kapitel.
Auf jeweils knappe „Belehrung“ und „Mutmaßung“, wo Herr Hatterr verschiedenen indischen Weisen begegnet und um eine brauchbare Weltanschauung ringt, folgt unter der Überschrift „Wie es im richtigen Leben ist“ die desillusionierende Begegnung mit der harten Wirklichkeit.
Doch schon die Gurus, die zum Zeichen der Demut ihre dicken Bäuche mit Asche eingerieben haben, ergehen sich lieber in wüsten Beschimpfungen. Oder es handelt sich um einen der unzähligen falschen Heiligen Indiens, die aus der Gutgläubigkeit der Menschen Kapital schlagen:
Für den Protagonisten Hatterr gibt es keine Rettung
Die Lebensmaxime, zu der Herr Hatterr angesichts der verbreiteten Dominanz von Geld und Gier und Gelüsten schließlich vordringt, lässt sich so zusammenfassen:
Als Vertreter des Lustprinzips ist Hatterr jedoch denkbar ungeeignet. Er geht durch die bunte Welt, um Prügel zu beziehen. Rettung bieten weder indische Meditation noch westliche Vernunftphilosophie, und der gewaltig dazwischenfuhrwerkende Sexualtrieb ist auch nicht hilfreich.
Die Lektüre erfordert Geduld, ist aber vergnüglich
Um Desanis orientalisch-humoristischen Monumentalbarock genießen zu können, muss man alle Erwartungen hinter sich lassen und angesichts der Abschweifungen auch viel Geduld mitbringen.
Wer sich gerne an etwas, und seien es nur ein paar flüchtige Zwischeneinsichten, festhalten möchte, ist in diesem kalkulierten Chaos verloren. Jenseits davon aber lässt sich dieses funkelnde Machwerk purer Sprach- und Erzählfreude als vergnügliche Schule der Dialektik oder der Relativität lesen.
Vor allem aber folgt Desani selbst dem Lustprinzip: Erlaubt ist alles, was Vergnügen macht – und sei es zum Verdruss des armen Helden, Herrn H. Hatterr.