Buchkritik

Frank Klötgen und Anton G. Leitner (Hg.) – Das Gedicht, Band 31: Laut & Leise

Stand
Autor/in
Beate Tröger

Seit Beginn der 1990er-Jahre entsteht unter der Ägide des Dichters Anton G. Leitner und mit wechselnden Co-Herausgebern die Zeitschrift „Das Gedicht“. Sie erscheint einmal im Jahr. Unter wechselnden Überschriften versammelt sie Lyrik bekannter und weniger bekannter Dichter und Dichterinnen. Nun ist unter dem Titel „Laut & Leise“ die 31. Ausgabe der Zeitschrift erschienen.

Wer sich in der deutschsprachigen Lyrikszene bewegt, kommt an Anton G. Leitner nicht vorbei. Der Dichter, Übersetzer und Herausgeber wurde 1961 geboren. Seit Beginn der Neunzigerjahre schickt er ausdauernd, schier unermüdlich beinahe lückenlos Jahr um Jahr eine neue Ausgabe der Zeitschrift „Das Gedicht“ auf eine der Umlaufbahnen dieses Kosmos.

Kraft der Poesie gegen die Ökonomisierung der Welt

Die Kraft der Poesie will er stärken, gegen die totale Ökonomisierung der Welt. Auch er, der schier Unermüdliche, ist aber unter den Zeichen der Zeit, unter dem Druck von Krieg und Krisen vor Zweifeln nicht sicher. Im Vorwort zur 31. Ausgabe schreibt er: 

In solch finsteren Momenten kommt es mir dann fast verrückt vor, zig Stunden, Tage, Wochen, ja schon etliche Monate lang meine ganze Energie darauf gerichtet zu haben, im 31. Jahr in Folge, unter immer schwierigeren wirtschaftlichen Rahmenbedingungen und unter dem wachsenden Druck der ausufernden Bürokratie, eine neue GEDICHT-Ausgabe auf die Beine zu stellen. Aber dann werde ich schnell wieder ganz ruhig und entspannt, wenn ich mich hochkonzentriert und mit allen Sinnen hineingebe in die lyrische Welt meiner Mitpoetinnen und Mitpoeten.

Klares und deutliches Bekenntnis zur Poesie

Mag Leitner auch manchmal zweifeln, seine Arbeit ist ein klares und deutliches Bekenntnis zur Poesie, und sie ist im wahrsten Sinn des Wortes Arbeit an der Basis der Lyrik. Immer enthält sie einen Schwerpunkt mit Gedichten für Kinder, immer ist sie offen für Einreichungen, die dann zwar kuratiert, aber stets mit viel Wohlwollen angeschaut werden.

Um die 1000 Einreichungen waren es für die vorliegende Ausgabe von „Das Gedicht“. Neben flüchtigen und manchmal etwas banaleren Versen finden sich in jeder Ausgabe auch immer poetische Perlen:  

die Stille dort wie der Wind im Glas/
ob es damit zusammenhängt, weiß ich nicht/
im Zimmer meiner Mutter gibt es ein Sofa/
auf dem seit fünfzig Jahren nur eine Puppe sitzt/
ehe ich jedenfalls zu Ende abwäge/
ob die Stille dort wie der Wind im Glas oder/
doch eher wie eine Gegenwartsschleppe ist/
verschwindet der laut dröhnende/
Mittagsflieger über mir und/
Nimmt seinen ganzen Schall mit […] 

Die Verse aus diesem eindrucksvollen Gedicht des 1962 geborenen, noch viel zu wenig bekannten Heinz Peter Geißler herauszugreifen, mag angesichts der Breite dieser 31. Ausgabe von „Das Gedicht“ zwar ungerecht erscheinen. 

Ohne Basis keine Spitze

Andererseits beweisen diese Verse eben, was Leitner in seinem Vorwort schreibt: „Ohne Basis keine Spitze“. Man muss vergleichen, um die Unterschiede zu erkennen. Und es braucht die Geduld von geschulten Lesern von Gedichten, die in manchen weniger gelungenen Texten doch vielleicht schon die Anlagen eines Autors oder einer Autorin ausmachen. Es braucht die Erfahrung eines Lyrikviellesers wie Leitner aber eben auch, um die Qualität von Versen wie die Geißlers zu erkennen.  

Und es braucht auch besonders die feste Rubrik mit den Kindergedichten, die in dieser Ausgabe „remmi demmi“ heißt. Die Kindergedichte setzen ganz auf die spielerische, rhythmische und frei bewegliche Seite der Sprache, die durch Verse eine so lebendige und gedankenvolle Stille nachhallen lassen kann, wie durch dieses witzige Gedicht von Heike Nieder: 

Endlich still/
ich ess so gern ein Ei,/
Das ist mein großes Glück/
So beiß ich vom GESCHREI/
Grad ab das letzte Stück. Hab ich mein Ei zerkaut/
Klau ich noch R und GE/
Dann bleibt als letzter Laut/
Ein leises SCHschsch... wie Schnee.

Man wünscht Anton G. Leitners Projekt alles Gute und weiterhin Zähigkeit und Leidenschaft. 

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