Alex hat alles, was ihr Herz begehrt. Sie logiert in einer Millionärsvilla in den Hamptons auf Long Island. Sie fährt mit einer Luxuskarosse zum Strand, Hausbedienstete ersparen ihr die Mühen des Alltags, sie kann sich ganz ihrem Aussehen und ihrer Freude am Schwimmen widmen. Doch dann macht sie ein paar kleine Fehler und verärgert Simon, den Sugar Daddy, dem sie ihr angenehmes Leben verdankt. Damit verwandelt sich „Die Einladung", so der Titel des neuen Romans von Emma Cline, in einen Rausschmiss.
Die Frau als dekorativer Gegenstand
Plötzlich zeigt sich, dass Alex nur Teil des Inventars war. Für ihre Klienten ist sie einfach ein sexuell verfügbares Ausstattungsstück „in ungefährer Größe und Form einer jungen Frau", wie die Autorin maliziös feststellt. Auf einmal hat Alex außer dem, was sie am Leibe trägt, nur noch ihre jugendlichen zweiundzwanzig Jahre, eine Tasche mit ein paar schicken Klamotten und allerlei Probleme. Zum einen kann sie nicht zurück nach New York, dort hat sie verbrannte Erde hinterlassen. In ihrer WG ist sie die Miete schuldig geblieben, ein früherer Klient von der härteren Sorte, den sie um Drogen und Geld erleichtert hat, verfolgt sie mit Drohanrufen. Zum anderen hofft sie, dass ihr Sugar Daddy sie wieder aufnimmt, wenn sie bei seiner großen Sommerparty mit demütigem Lächeln auftaucht. Was allerdings heißt, dass sie sich sechs Tage mittellos in einem Reservat der Superreichen durchschlagen muss, in einer Gegend, wo die Häuser riesig sind, die Tore fest verschlossen und Außenstehende misstrauisch beäugt werden.
Die ausgekühlte Klassengesellschaft der Hamptons
Diesen Hindernislauf einer prekären Existenz beschreibt Emma Cline in ihrem Roman mit scharfem Blick für die mehr oder weniger diskreten Ausgrenzungssignale einer bis ins Innerste gnadenlos ausgekühlten Klassengesellschaft. Dort wissen alle ganz genau, wo sie hingehören: die einen nach oben, die andern nach unten.
Emma Cline schildert das alles mit der Sachlichkeit einer Verhaltensforscherin, teilnehmend und dennoch unparteiisch. Sie macht aus Alex' Geschichte kein großes Drama, sondern formuliert ihre präzisen Beobachtungen punktgenau und mit cooler Brillanz. Alex rettet sich über die Tage, indem sie mit routiniertem Dauerlächeln hausieren geht. Mal mogelt sie sich in die Wochenendsause der ansässigen Partyjugend hinein. Mal kann sie einen Hausverwalter in Abwesenheit seiner Arbeitgeber bezirzen. Ein andermal verschafft sie sich durch den Kontakt zu Kindern und ihrer Nanny Zutritt zum Country Club. Der psychisch labile Sohn eines Hollywoodproduzenten verliebt sich sogar in sie, doch ihr Geschäftsmodell zielt natürlich nicht auf wohlstandsverwahrloste Söhne, sondern auf reiche Väter.
Tausche Schönheit gegen Schutz
Die Moral von der Geschichte hat die Klarheit eines Lehrstücks. Es handelt von der Reduzierung menschlicher Beziehungen auf kapitalistische Tauschverhältnisse. Doch die Kunst von Emma Cline besteht darin, dass sie niemals mit dem Zeigefinger fuchtelt, sondern ein meisterliches, facettenreiches Sittenbild aus dem Leben unserer Zeit zeichnet. Dieser Roman mag als seismographischer Befund für heute eine ähnliche Aussagekraft besitzen wie „Frühstück bei Tiffany" für die 1950er Jahre. Für Holly Golightly, die Heldin von Truman Capote, ließ sich die käufliche Liebe noch bohèmehaft romantisieren. Dafür gibt es im Fall von Alex kaum noch Spielraum. Sie ist einfach eine Dienstleisterin in der Branche Sex und Schönheit.