Er wächst auf im Maribor der 1950er und 1960er Jahre. Hin- und hergerissen zwischen Kommunismus, Kirche und jugendlichen Schwärmereien muss er seinen Platz in dieser für ihn neu entstehenden Welt finden.
Maribor, gelegen im Nordosten Sloweniens, ist die zweitgrößte Stadt des Landes, die in der Geschichte hin- und hergereicht wurde zwischen dem Heiligen Römischen Reich, Österreich-Ungarn, dem Deutschen Reich. Sie gehörte zu Jugoslawien, seit 1991 ist sie Teil des unabhängigen Sloweniens: In dieser Stadt in der slowenischen Steiermark wurde der bedeutende Autor Drago Jančar 1948 geboren, hier spielt auch sein jüngster Roman „Als die Welt entstand“.
Partisanen und Katholiken: Maribor in den 1950er Jahren
Maribor und seine Geschichte sind für den zwölfjährigen Danijel, aus dessen Perspektive erzählt wird, nicht unwichtig. Sein Vater hat mit den Partisanen gegen die deutschen Besatzer gekämpft, wurde ins KZ gesteckt, das ihn jedoch nicht brechen konnte; Marshall Tito ist sein großer Held, und mit seinen Kameraden vom Kampfbund sitzt er abends beim Wein, um sich Heldengeschichten aus den Jahren des Widerstands zu erzählen. Je mehr Alkohol fließt, desto heroischer werden die Erinnerungen. Auf der anderen Seite die Mutter, die ihren Sohn zum Religionsunterricht schickt – der Kapuziner Aloisius, rundlich, klug und streng, kündet den Zöglingen von göttlicher Gerechtigkeit und donnert mit mächtiger Stimme von der Sünde.
Den Widerstreit zwischen Kommunisten und Kirche spürt Danijel am eigenen Leib; beide zerren an ihm, dem angehenden Pionier. Der Vater verachtet das religiöse Brimborium, die Mutter fürchtet ums Seelenheil des Sohnes.
Danijel bekommt Bücher von Professor Fabjan
Dann gibt es noch Professor Fabjan, einen Lehrer, der während des Kriegs mit den Deutschen kollaboriert hat – der aber für Danijel zu einer Art Mentor wird. Er versorgt ihn mit Büchern, mit Geschichten, mit Lebensweisheiten. So verschwimmen in der Fantasie des Jungen, der mit Drago Jančar das Alter und manches biografische Detail gemein hat, biblische Mythen, literarische Projektionen und die fadenscheinigen Kriegserzählungen des Vaters. Immer wieder werden wir von Jančar in die chaotische Innenwelt Danijels mitgenommen.
In diesen tagträumerischen Passagen versucht sein Unbewusstes Sinn ins Gehörte zu bringen. Allen möchte er vertrauen und glauben, heißt es einmal, der Mutter und dem Vater, Pater Aloisius und Professor Fabjan, einer Jugendliebe und einem Freund, dessen Vater in der Wehrmacht gedient und Hitler ein Bein geopfert hat. Dieses Innenleben wird aber noch durch ein anderes Ereignis kräftig durcheinandergewirbelt – es ist eine prägende Geschichte. Im Rückblick scheint diese Episode wirklich und traumhaft zugleich; sie wirkt bis heute nach.
Die schöne und gefährliche Sekretärin Lena
Eine junge Frau zieht ins Erdgeschoss des Hauses von Danijels Familie. Lena ist Sekretärin, und manchmal beobachtet Danijel sie, wie sie lesend im Unterkleid auf dem Diwan liegt. Verführerisch. Kein Wunder, dass er ihren Verehrer Pepi, einen grobschlächtigen Handwerker, verachtet und in die Wüste wünscht. Allerdings entwickelt sich die Geschichte zur Tragödie: Lena betrügt ihren Verlobten mit einem windigen Kleinkriminellen namens Ljubo, und die Sache nimmt einen bösen Ausgang – Pepi überlebt die Menage à Trois nicht, und Lenas Glanz ist nach der Affäre, die im Gefängnis endet, vollständig dahin.
Noch viele Jahre später tobt dieses Geschehen – „so manche Nacht im Traum wie ein seltsames, bald liebenswürdiges, bald wildes und letztlich verängstigtes Tier. Heute weiß ich, sagt Danijel, dass es die große Geschichte des Lebens ist, die sich in zahllosen Varianten seit Anbeginn der Welt abspielt.“
Drago Jančar erzählt vom Drama des Erwachsenwerdens, von den Desillusionierungen, die aus einem Übermaß an Fantasie und der banalen Abgründigkeit des Realen entstehen. Wie er dabei die slowenische Nachkriegswelt, den Aufbruch des jugoslawischen Vielvölkerstaates mit all seinen Altlasten und den Beharrungskräften der Tradition, die Verwirrungen eines zum Schwärmen aufgelegten Kindes einfängt, das ist sehr beeindruckend.
Erwin Köstler hat diesen erinnerungswunden Text hervorragend ins Deutsche gebracht – die Schwere der geschilderten Erfahrung ist darin unter der Leichtigkeit des erzählerischen Tons immerfort zu spüren.