Neu verfilmt im Kino

„Die Farbe Lila“: Das lebendige Erbe von Alice Walkers Roman

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Dominic Konrad
Dominic Konrad, Autor und Redakteur bei SWR Kultur und SWR Musik

Unter der Regie von Blitz Bazawule ist Alice Walkers Romanklassiker „Die Farbe Lila“ zum zweiten Mal verfilmt worden, jetzt als Musical. Für ihren Roman gewann Walker als erste Schwarze Frau den begehrten Pulitzer Prize. Auch heute gilt er als Meisterwerk der amerikanischen Literatur, gerade in der Schwarzen Community, und ist zugleich einer der am meisten beanstandeten.

"Die Farbe Lila" (Regie: Blitz Bazawule)
Aus einer durch Männer dominierten Welt erhebt sich eine Gruppe starker Frauen: Alice Wakers feministischer Roman wurde neu verfilmt auf Grundlage des Broadway-Musicals von 2005.

Briefe an Gott gegen das Alleinsein

Georgia im frühen 20. Jahrhundert: Die junge Celie beginnt, Briefe an Gott zu schreiben. In einfachen Worten entfaltet sie das Elend ihres eigenen Lebens. Der Vater missbraucht sie regelmäßig und Celie erduldet es, um ihre jüngere Schwester Nettie vor seinem Zugriff zu beschützen.

Zwei Kinder bringt Celie zur Welt, bevor der Vater sie an einen verwitweten Farmer verheiratet. Bei ihm soll sie nun den Haushalt führen, die Kinder erziehen und auf dem Feld schuften. Auch hier erduldet Celie ihr Schicksal und die Prügel, Erniedrigungen und Vergewaltigungen durch ihren Mann, den Celie nur „Mister“ nennt.

"Die Farbe Lila" (Regie: Blitz Bazawule)
Georgia im Jahr 1909: Nettie (Halle Bailey, rechts) ist das Licht im Leben ihrer Schwester Celie (Phylicia Pearl Mpasi). Nach dem Tod ihrer Mutter leben die beiden Mädchen alleine mit ihrem Vater Alfonso. Bild in Detailansicht öffnen
"Die Farbe Lila" (Regie: Blitz Bazawule)
Der Vater vergewaltigt Celie, die zwei Kinder bekommt. Er zwingt sie zur Heirat mit einem älteren Farmer, der eigentlich um Netties Hand anhält. Als der Vater dann der jüngeren Schwester nachstellt, holt Celie sie zu sich und ihrem neuen Mann. Bild in Detailansicht öffnen
"Die Farbe Lila" (Regie: Blitz Bazawule)
Celies Mann Albert „Mister“ Johnson (Colman Domingo, Mitte) sieht in Celie nicht mehr als eine Haushälterin für sich und seine drei Söhne, die er schikanieren kann. Als Nettie sich gegen seine Avancen wehrt, jagt er sie fort. Nettie verspricht, Celie zu schreiben. Bild in Detailansicht öffnen
"Die Farbe Lila" (Regie: Blitz Bazawule)
Acht Jahre später lebt Celie (nun gespielt von Fantasia Barrino) noch immer im Haus ihres Mannes und erträgt die ständigen Erniedrigungen stoisch. Mut machen ihr die anderen Frauen in ihrer Umgebung. Bild in Detailansicht öffnen
"Die Farbe Lila" (Regie: Blitz Bazawule)
Vor allem Sofia (Oscar-nominiert: Danielle Brooks) beeindruckt Celie. Sie heiratet „Misters“ Sohn Harpo (Corey Hawkins), da er sie geschwängert hat. Als Harpo versucht, sie zu schlagen, wehrt sie sich. Ein späterer Zwischenfall mit der Frau des Bürgermeisters bricht den Willen der resoluten Frau. Bild in Detailansicht öffnen
"Die Farbe Lila" (Regie: Blitz Bazawule)
Statt Sofia lässt sich Harpo nun mit Mary „Squeak“ Agnes (H.E.R.) ein. Über die Jahre wird auch sie zur Verbündeten Celies. Bild in Detailansicht öffnen
"Die Farbe Lila" (Regie: Blitz Bazawule)
Celies Leben ändert sich, als die Jazz-Sängerin Shug Avery (Taraji P. Henson) auf der Türschwelle ihrer Farm erscheint. Die Frau bietet „Mister“ die Stirn und ergreift für Celie Partei. Als sie einen an Celie adressierten Brief von Nettie findet, ist Celie bereit, sich gegen ihren Demütiger zu wehren. Bild in Detailansicht öffnen

Als ihre Schwester Nettie zu ihnen zieht, scheint sich die Welt für einen Moment zu bessern. Doch als sich Nettie den Avancen des Schwagers widersetzt, wirft er sie vor die Tür. Nettie verspricht, Celie zu schreiben. Briefe, die Celie erst Jahre später erhalten wird.

Einer der größten amerikanischen Romane der letzten 50 Jahre

Schwer zu bestreiten, dass „Die Farbe Lila“ einer der einflussreichsten amerikanischen Romane der letzten 50 Jahre ist, vielleicht sogar einer der einflussreichsten überhaupt. Seine Autorin Alice Walker gehört zu den bedeutendsten Autorinnen der afroamerikanischen Literatur, sie steht in einer Reihe mit Toni Morrison und Maya Angelou.

Vieles von dem Schlechten, was den Frauen in Walkers 1982 erschienenem Roman geschieht, beruhe auf Erzählungen von wahren Geschichten aus ihrer eigenen Familie, erzählt Walker in Interviews. Ihre Großmutter sei von einem Mann getötet worden, der sie zur Geliebten nehmen wollte. „Die Farbe Lila“ habe sie aus dem Wunsch heraus geschrieben, eine intimere Beziehung mit ihren Vorfahren aufzubauen.

Rüdiger Suchsland bespricht die Neuverfilmung:

Mit ihren Protagonistinnen gab Walker ihren Ahnen das glückliche Ende, das vielen von ihnen im realen Leben verwehrt blieb. Celie, die sich zu Beginn des Buches in ihr Schicksal ergeben hat, gelingt durch die Begegnung mit starken Schwarzen Frauen die Befreiung aus der Unterdrückung durch die Männer in ihrem Leben, Kirche und gesellschaftliche Zwänge.

Frühe kollektive Erinnerung für Schwarze Frauen

Dass Alice Walker 1983 als erste Schwarze Frau den Pulitzer Preis gewinnt, damit habe sie selbst am wenigsten gerechnet, so die Autorin. Ist der Roman schon zu diesem Zeitpunkt ein Erfolg, macht ihn die Verfilmung von Stephen Spielberg zwei Jahre später dank der starken Besetzung mit Whoopi Goldberg, Danny Glover und Oprah Winfrey zum kulturellen Phänomen.

Whoopi Goldberg als Celie in Steven Spielbergs Filmversion von "Die Farbe Lila" (1986)
Whoopi Goldberg spielte in Spielbergs Verfilmung die Hauptrolle und wurde als beste Hauptdarstellerin für den Oscar nominiert. Trotz 11 Nominierungen ging der Film leer aus. In der Neuverfilmung hat sie einen kleinen Auftritt als Hebamme.

Zwar wurde die stereotype Darstellung der Männer als Gewalttäter kritisiert und wird es bis heute, doch gerade für afroamerikanische Frauen unter 40 wurde „Die Farbe Lila“ zum Schlüsselwerk einer afroamerikanischen, weiblichen Erfahrung.

Es sei eines der frühesten Beispiele kollektiver literarischer Erinnerung für Schwarze Frauen, sagt etwa die US-Medienwissenschaftlerin Samantha N. Sheppard im Gespräch mit dem amerikanischen Nachrichtenportal Vox. Zitate aus dem Film hätten gerade unter Schwarzen Frauen einen hohen Stellenwert. Sie zeugen von der sentimentalen Verwurzelung der Erzählung im kollektiven Gedächtnis.

Noch heute in Amerikas Bibliotheken beanstandet

Dass dabei ausgerechnet Walkers Roman mit seinen düsteren Themen – Inzest, häusliche und sexuelle Gewalt, Erniedrigung – zum Identifikationswerk für Schwarze Frauen in Amerika geworden ist, verwundert nicht. Nicht in einem Land, dessen Schwarze Bewohner ihre Familiengeschichte über Generationen auf das Erdulden jahrhundertelanger Ungerechtigkeit zurückführen und wo noch heute rassistischen Verbrechen wie die Tötung von George Floyd im Mai 2020 trauriger Alltag sind.

"Die Farbe Lila" (Regie: Blitz Bazawule)
Die selbstbewusste Nachtclubsängerin Shug Avery (im Film gespielt von Taraji P. Henson) wird für Celie zum Hoffnungsschimmer. Die beiden Frauen verbindet schließlich mehr als nur Freundschaft.

In diesem Land polarisiert Alice Walkers Roman auch heute noch: Die drastischen Gewaltschilderungen und die homoerotische Beziehung zwischen Celie und der Jazzsängerin Shug Avery sorgen immer wieder für Aufforderungen, „Die Farbe Lila“ aus öffentlichen Bibliotheken zu verbannen. Die American Library Association führt das Buch auf Platz 50 der am häufigsten beanstandeten und verbannten Büchern der vergangenen Dekade.

Alice Walker polarisiert heute mit Antisemitismus

Heute polarisiert Alice Walker selbst durch ihre politischen Positionen: Sie betrachtet den Staats Israel als ein Apartheitsregime, gab in der Pandemie antijüdischen Verschwörungserzählungen eine Plattform und solidarisierte sich jüngst mit „Harry Potter“-Autorin JK Rowling im Kampf gegen die Rechte von trans Frauen.

Schriftstellerin Alice Walker bei einem Interview in Gaza Stadt (2009)
In den letzten Jahren mehr durch ihre politischen Positionen als ihr schriftstellerisches Wirken in der Presse: Schriftstellerin Alice Walker, hier bei einem Interview in Gaza Stadt im Jahr 2009.

Und trotzdem sollte man „Die Farbe Lila“ lesen. Die Kraft, die Celies Briefen innewohnt, ist auch über vierzig Jahre nach der Veröffentlichung des Romans ungebrochen. Er bleibt ein kultureller Prüfstein amerikanischer Schwarzer Kultur, die auch für deutsche Leserinnen und Leser ebenso wie Kinogängerinnen und Kinogänger das Wiederentdecken lohnt.

Von der Musical-Bühne zurück ins Kino Remake des Spielberg-Films „Die Farbe Lila“ als Feelgood-Kinomusical

In Hollywood sind Remakes ein wiederkehrendes Phänomen, derselbe Stoff wird über Jahrzehnte hinweg neu aufgelegt. So geschehen jetzt mit Steven Spielbergs Film „Die Farbe Lila“.

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