Auch der „Deutsche Jugendliteraturpreis 2023“ wurde in den Kategorien Bilderbuch, Kinderbuch, Jugendbuch und Sachbuch auf der Frankfurter Buchmesse vergeben. „Alle unsere Siegertitel eint das Engagement für das Entdecken, Wahrnehmen und Empfinden von Vielfalt“, sagte Iris Kruse, die Vorsitzende der Kritikerjury, bei der Preisverleihung auf der Frankfurter Buchmesse.
Ein Viertel aller Viertklässler hat Schwierigkeiten beim Lesen
Rund ein Viertel aller Viertklässler in Deutschland hat massive Schwierigkeiten beim Lesen: Das Ergebnis der im Mai veröffentlichen IGLU-Studie ist mehr als beunruhigend, da waren sich alle Festredner bei der Verleihung des Deutschen Jugendbuchpreises einig, und Ralf Schweikart, Vorsitzender des ausrichtenden Arbeitskreises für Jugendliteratur, fasste das Problem in ein drastisches Bild:
„Unser Bildungsschulgebäude steht in Flammen. Wir stehen davor, und wir wünschen ganz doll, dass jetzt der große Löschzug mit dem mächtigen Feuerwehrschlauch angerast kommt, den Schlauch an den Hydranten anschließt und Profis das Feuer löschen. Was erleben wir stattdessen? 16 Kleinwagen fahren vor, 16 Menschen unterschiedlicher Begabung steigen aus und schätzen erstmal die Lage ein. Eine sagt: Ja, da löschen wir erstmal gar nicht, solange das Lehrerzimmer nicht brennt. Ein anderer: Wenn der Wind so steht, geht das Feuer von ganz alleine aus. Und ein Dritter versucht, seinen Gartenschlauch mit Gardena-Anschluss an den Hydranten zu koppeln. Mit dem Ergebnis, dass unser Bildungsschulgebäude seit Mai unvermindert weiter brennt.“ (Ralf Schweikart)
Lesen ist der Schlüssel zu jeder Art von Bildung
Lesen - das machte nicht nur Ralf Schweikart klar – ist der Schlüssel zu jeder Art von Bildung, und preiswürdige Bücher wie die nominierten zum Deutschen Jugendliteraturpreis tragen ihren wichtigen Teil dazu bei. Gestiftet wird der mit 72.000 Euro dotierte Preis vom Bundesfamilienministerium. Sein Ziel ist es, Kinder und Jugendliche in ihrer Persönlichkeit zu stärken.
Dies gilt besonders in Zeiten, in denen viele Kinder direkt oder indirekt mit Krieg, Gewalt und Verlust konfrontiert werden. Kinderarmut und Bildungsarmut müssten dringend bekämpft werden, betonte Bundesfamilienministerin Lisa Paus in ihrer Rede:
„Armut bedeutet Ausgrenzung, und sie bedeutet viel zu oft, arm an Bildung zu sein. Eine große Chance sind Bücher. Der Arbeitskreis für Jugendliteratur leistet mit seinem Einsatz für eine flächendeckende literarische Bildung einen wichtigen Beitrag auch für Chancengleichheit (…) Lassen Sie uns weiterhin dafür sorgen, dass alle Kinder in diesem Land gut aufwachsen können. Und jetzt bin ich am Ende und bin gespannt wie Sie, wer gewonnen hat.“ (Lisa Paus)
Sparte Bilderbuch: „Spinne spielt Klavier“ - ganz ohne Worte
Ein sogenanntes „Silent book“ - also ein Buch, das ganz ohne Text auskommt, gewann in der Sparte „Bilderbuch“: „Spinne spielt Klavier“ von Benjamin Gottwald, erschienen im Carlsen Verlag. Ein stilles Buch, aber dennoch voller Klänge: Die knallbunten, fröhlichen Illustrationen fordern dazu auf, die jeweils abgebildeten Geräusche nachzumachen, und so darf gesummt, gehaucht, geblubbert, geklimpert oder – bei Ansicht einer Spaghetti zwischen geschürzten Lippen – nach Herzenslust eingesaugt und geschlürft werden. Aktiv und spielerisch lassen sich so für Kinder ganz neue Welten erschließen.
Sparte Kinderbuch: humorvolle Graphic Novel „Babette“
Ein seltsames Wesen namens „Babette“ wiederum steht im Mittelpunkt des Siegertitels der Sparte „Kinderbuch“: „Boris, Babette und lauter Skelette“ von Tanja Esch, erschienen bei Kibitz, erzählt in einem farbenfrohen Comic die Geschichte einer eigenwilligen Selbstfindung: Wer ist Babette? Das weiß sie selbst noch nicht mal: Sie ist gelb, ein bisschen haarig, hat einen kleinen Sprachfehler, erinnert entfernt an ein Wiesel und liebt Grusel! Tanja Esch gelingt mit ihrer Graphic Novel für Kinder ein ebenso humorvolles wie anrührendes Plädoyer für die Anerkennung von Vielfalt - und gegen das Schubladendenken.
Verschiedenheit und Vielfalt sind die die großen Themen Preisträger 2023
Diversität, Verschiedenheit, Vielfalt ist überhaupt das große Thema der diesjährigen Gewinner beim Deutschen Jugendliteraturpreis. Dies hob auch die Vorsitzende der Kritikerjury, die Germanistin und Literaturdidaktikerin Professor Iris Kruse von der Uni Paderborn hervor:
„Alle unsere Siegertitel sind geeint in einer ganz wunderbaren Engagement-Richtung, nämlich in dem Engagement für das Entdecken, Wahrnehmen und Empfinden von Vielfalt. Von ihnen geht ein Appell aus an uns alle und an die Kinder und Jugendlichen eben in so schöner Weise, in diesem großartigen Zusammenspiel von Inhalt und Form, das sie alle auszeichnet. Ein Appell dafür, die Sinne und die Herzen weit zu machen für die Diversität in der Lebenswirklichkeit aller.“ (Iris Kruse)
Kategorie Sachbuch: „Queergestreift“
Ganz in diesem Sinne klärt das Gewinnerbuch in der Kategorie Sachbuch über alles auf, was sich unter dem weiten Begriff „Queer“ versammelt: „Queergestreift“, erschienen bei Hanser, trägt die Regenbogenstreifen schon im Cover und erklärt anhand eines ganz eigenen ABCs, was sich hinter den Buchstaben LGBTIQA+ eigentlich verbirgt: „Es ist längst überfällig, dass sich auch Nichtbetroffene in einer Gesellschaft mit den Lebensrealitäten marginalisierter Gruppen auseinandersetzen“, stellt die Autorin Kathrin Köller gleich zu Beginn klar.
Vorurteile will „Queergestreift“ abschaffen, dazu tragen auch die originellen Illustrationen von Irmela Schautz bei, die mit Verweisen auf Songs oder Memes aus der ganzen Vielfalt der Jugendmedienkultur schöpfen.
Kategorie Jugendbuch: „Die Sonne so strahlend und schwarz“
Formal ungewöhnlich kommt der Siegertitel in der Sparte „Jugendbuch“ daher: „Die Sonne so strahlend und schwarz“ von der afrodeutschen Autorin Chantal-Fleur Sandjon, erschienen bei Thienemann, ist ein Versroman in der Tradition der US-amerikanischen Spoken Word Community: Die Sprache fließt hier wie Musik, mal klingt es wie Rap, mal wie eine Ballade.
In einer metaphernreichen, verdichteten Sprache erzählt der Roman von der komplexen Identität einer schwarzen, queeren Frau in Deutschland. Die Schönheit und Leichtigkeit der Form sorgt dafür, dass das Buch an keiner Stelle von der Schwere seiner Themen wie häusliche Gewalt oder Rassismus erdrückt zu werden droht. Vielfalt, das wurde bei der Preisverleihung oft betont, lebt von Respekt und Toleranz. Was sich Chantal-Fleur Sandjon für unsere Gesellschaft wünscht, das formulierte sie in ihrer Dankesrede so:
„Immer wieder für mich ist es: Raum zu machen für Begegnungen. Also das ist glaube ich auch, wenn wir die Konflikte der Zeit sehen, sind es immer wieder Begegnungen. Weil aus diesen Begegnungen, die notwendig sind, ganz viele von den Ängsten und den Vorurteilen auch genommen werden können.“ (Chantal-Fleur Sandjon)