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Anne Serre: Die Gouvernanten

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Wild, ein bisschen surreal, dann wieder ziemlich lustig: Nicht einmal 100 Seiten dick ist das neue Buch der 1960 in Bordeaux geborenen französischen Schriftstellerin Anne Serre. 2020 wurde sie für ihren Roman „Im Herzen eines goldenen Sommers“ mit dem Prix Goncourt de la nouvelle ausgezeichnet. Nun erzählt sie in einer atmosphärisch packenden Sprache, die Patricia Klobusiczky ins Deutsche übertragen hat, eine wundersam schwebende Geschichte.

„Die Gouvernanten“ – das sind drei Frauen, die in einer abgeschiedenen, hinter hohen Bäumen versteckten Villa die wahren Herrscherinnen des Anwesens sind. Es ist Sommer, man wartet auf die Rückkehr der Hausbesitzerfamilie, die ihren Urlaub am Meer verbracht hat. Währenddessen hat das Haus den Gouvernanten gehört.

Aber ist das nicht immer so? Bei genauem Hinsehen nämlich, so heißt es, „würde man wohl zu dem Schluss gelangen, dass Monsieur und Madame Austeur sehr nachlässig waren, als sie so leichtsinnige junge Damen einstellten. Womöglich ging es sogar nicht mit rechten Dingen zu.“ Und: „Man muss ihnen allerdings zugestehen, dass sie unschlagbar sind, wenn es ums Feiern geht.“ Unwirklich ist das Szenario, denn die drei Gouvernanten gehen ihrer Pflicht, die Kinder zu erziehen, eher desinteressiert, wenn nicht gar mit subversiver Nachlässigkeit nach.

Wehe aber, ein Fremder verirrt sich auf das Gelände der Villa – dann geht er ihnen ins Netz, „in diese nachtsüße Falle hinter dem goldenen Tor, das sich plötzlich wie durch Zauberhand auftut.“ Anne Serre inszeniert mit Eleganz und Heiterkeit einen ungewöhnlichen Blick auf weibliches Begehren. Sie dreht in einem sinnlichen Buch die Verhältnisse und die Perspektiven um.

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Autor/in
SWR