Es fallen einem nicht viele deutschsprachige Gegenwartsautoren ein, die bereits seit vielen Jahren in den Gattungen der Erzählung und des Romans zuverlässig qualitativ hochwertige Bücher abliefern.
Ralf Rothmann ist einer der wenigen, und nach „Ein Winter unter Hirschen“, „Rehe am Meer“ und „Shakespeares Hühner“ ist das neue Buch das erste, das keine Tiere im Titel trägt, auch wenn auf dem Umschlag eine Schnee-Eule abgebildet ist. Doch die Tiere streunen durch alle seine Bücher als Beobachter menschlichen Treibens.
Rothmanns Erzählungen haben meistens keinen Anfang und kein Ende, sie sind Lebensausschnitte, in denen Tiefenschichten freigelegt werden und in denen in ihren besten Augenblicken Beobachtungen und Emotionen zusammenfließen.
„Romantischer Realismus“ ist wohl die treffendste Beschreibung für Rothmanns Poetik. Er hat stets betont, dass ein rein intellektueller Ansatz beim Verfassen seiner Texte ihn nicht interessiert. Rothmann zielt auf die Evokation starker Bilder, und das gelingt ihm auch in diesem Buch: In der Titelgeschichte führt der in Moskau inhaftierte Schriftsteller Isaak Babel in seiner Zelle ein Gespräch mit Wassili Blochin, bevor dieser ihn hinrichten wird. 1954 wird Babel posthum rehabilitiert. „Das hat mich wirklich gefreut“, merkt Blochin an.
Die Angst ist ein beherrschendes Thema dieser Erzählungen, Angst vor dem Tod, vor Prügel, vor dem Alleinsein. Und als Gegenstück dazu blitzen bei Ralf Rothmann immer wieder Hoffnungsschimmer auf. Das macht seine Bücher so menschenfreundlich.