Buchkritik

Arnold Stadler - Am siebten Tag flog ich zurück. Meine Reise zum Kilimandscharo

Stand
Autor/in
Alexander Wasner

Für eine Wochenzeitung reiste Arnold Stadler nach Afrika. Sein Bericht über die Reise geriet zum Roman. Darin geht es um Politik, Geschichte Exotik und immer auch um den Autor selbst.

Seiltänzer*innen wirken bekanntlich nur dann wirklich aufregend, wenn man glaubt, sie würden stolpern. Genauso ein Buch ist der neue Roman von Arnold Stadler, als würde der große Textkünstler, Büchner-Preisträger von 1999, der schwäbische Romantiker vom Erzählfaden rutschen und sich den Stift brechen oder die Maus.

Hintersinniger Reiseroman

Worum geht es? Es geht um eine Reise im Auftrag einer großen Wochenzeitung an den Ich-Erzähler, einen Schriftsteller, der sehr an Arnold Stadler erinnert.

„Mein Reiseziel hatte ich frei wählen können. Es musste für die Reisebeilage aber ein Sehnsuchtsziel sein, meine Reise. Da hätte ich auch an erster Stelle meine Graf-Ludwig-Hütte nennen müssen, im Wald von Schwackenreute, keine fünf Kilometer von meinem gewöhnlichen Schlafzimmer entfernt. …aber dann war es der Kilimandscharo.“ (Arnold Stadler, „Am siebten Tag flog ich zurück“)

Der Ich-Erzähler erinnert sich an ein Bild, dass bei seinem Großvater in der Wohnung hing, darauf war der Kibo zu sehen, die höchste Erhebung des Kilimandscharo-Massivs. Das Bild hat es ihm fürs Leben angetan.

Kindheitserinnerungen All-inclusive

Er fährt also hin, hat aber wenig Zeit, nur eine knappe Woche, dann muss er zu einem gesellschaftlichen Event, der Bremer Eiswette, man braucht Frack und Lackschuhe dafür, die nimmt der Erzähler mit. In Afrika liegt er am Pool, geht ins Heimatmuseum und in einen Gottesdienst, macht eine Safari mit, am Ende schaut er sich den Berg an und reist wieder zurück.

Viel Stoff für einen Roman ist das nicht — also, wenn man nicht Stadler heißt und irgendwann mal den Büchner-Preis bekommen hat und als Liebling von Handke und Walser die literarische Bühne Deutschlands betrat. Stadler nämlich macht daraus, naja, einen Roman vielleicht, allemal aber einen wunderbar vertrackten, verstolperten Text, von einem der sich aufmacht, was immer das heißt.

Schwabe mit Fernweh

Stadler ist im Leben weit gereist. Aber er kommt aus einer Ecke zwischen Rhein und Donau, die er das Zweistromland, Schwäbisch-Mesopotamien nennt. Herkunft, Heimat, Sehnsucht, Fernweh – darüber schreibt er viel.

Bereits in den 90er Jahren hat er eine kleine Erzählung namens Ausflug nach Afrika geschrieben. Auch das war ein subjektiver Bericht einer Afrika-Reise und ein ausführlicher Vorbericht. Viele Vorurteile aus der Kindheit traten darin auf, die anschließend widerlegt wurden.

Eine Welt zwischen Fortschritt und Globalisierung

Aber dieses Mal ist er näher dran, dieses Mal rückt Afrika aus dem üblichen Paradies-und-Hölle-Klischee ganz raus, dieses Mal gibt es kein normales Europa, von dem sich Afrika exotisch abhebt.

„Kolonialisiert wie die Afrikaner, nur mit dem Unterschied, dass wir es nicht merkten, und dass wir gesagt bekamen, das sei nun der Fortschritt, dass wir angeschlossen seien und zugeteert. Und dass wir nun eine schnellere Verbindung zur Welt hätten. … Was früher Fortschritt hieß, nannte sich nun Globalisierung. Aber die Welt schien mir trotzdem weniger geworden.“ (Arnold Stadler, „Am siebten Tag flog ich zurück“)

Geteerte Straßen zum Ende der Kindheit

Immer wieder hat Stadler zum Beispiel vom Makadam erzählt, vom Straßenbau in seiner Kindheit, als die hellen Feldwege schwarz geteert wurden, ein Bild der Vergangenheitsvernichtung.

„Unterwegs zu diesem Berg, … da dachte ich, dass diesen Kindern am Fuße des Kilimandscharo oder auch erst ihren Kindern der Makadam wohl noch bevorstand, und auch: dass ihre Welt verschwand. Wie ich verstand …. Ich hatte es hinter mir. Das war vielleicht der einzige wirkliche Unterschied. Dass ihre Welt verschwand.“ (Arnold Stadler, „Am siebten Tag flog ich zurück“)

Über Hautfarbe wird übrigens gar nicht gesprochen. Erstaunlich. Weder in der Kirche, noch im Museum noch in der Lodge hat irgendwer eine Hautfarbe. Aber natürlich weiß man, wer wohin gehört. Oder?

Koloniale Spuren des Schwaben-Kaisers

„Mancher Mensch am Fuß des Kilimandscharo träumte vom Paradies und dachte dabei aber an etwas ganz anderes als Afrika, vielleicht war es Europa, und dann landete der junge Mann … bei uns, in einem Auffanglager oder in einer der Transitzonen der Welt.“ (Arnold Stadler, „Am siebten Tag flog ich zurück“)

Vor 120 Jahren hieß der Kibo übrigens mal Kaiser-Wilhelm-Spitze — zu einer Zeit als Wilhelm Hohenzollern noch mit Majestät angeredet wurde. Die schwäbische Herkunft der Hohenzollern und deren Zwangsbeglückungsherrschaft über Deutsch-Ostafrika sind natürlich gefundenes Fressen für einen Sehnsuchtsironiker wie Arnold Stadler.

Auch jetzt ist Stadlers Prosa sehr durch musikalische Formen geprägt, Themen tauchen auf und werden variiert. In einem virtuosen Finale lösen sich Wirklichkeit und Möglichkeit, Afrika und Europa, Heimweh und Fernweh in einer Art Textstrudel auf.

Wenn Sehnsucht zu Heimweh wird

Das Unaufgeräumte der Stadlerschen Suada ist nur ein Kunstkniff, um Themen einzuführen – und zur Ruhe zu bringen. Irgendwann findet der Erzähler den Blickwinkel, den der Maler Fritz Lang auch hatte, dessen Bild bei Stadlers in der Küche hing. Und er setzt sich hin und genießt.

„Wie schön war es aber, hier zu sein! Auch ich wäre nun nirgendwo anders lieber gewesen als hier. Mit dem Kilimandscharo auf der anderen Seite meiner Augen. (…) Ich wusste nun für immer, dass die Sehnsucht nach diesem Berg, die solange meine Zukunft war, nun in der Erinnerung mein Heimweh würde.“ (Arnold Stadler, „Am siebten Tag flog ich zurück“)

Das ist der ruhigste Moment im Text — und der, an dem man deutlich das Gefühl hat: Diese Reise macht was mit dem Erzähler, sie ist wichtig, so klein das Erlebnis auch sein mag. Natürlich steigt er nicht hinauf, was soll er da: Er will ja nur das Kindheitserlebnis wiederholen. 

Freches Finale

Das folgende Finale ist dann wieder sehr viel munterer, allerdings setzt Stadler hier auch diebische Schimpansen ein und einen Smoking. Da wird dann der verstolperte Erzähler vom Anfang endgültig als Erzählter spürbar, als Wiedergänger des großen Don Quichotte, der von einer ritterlichen Vergangenheit träumte, die es so nur im Roman jemals gab.

Arnold Stadlers Buch „Meine Reise zum Kilimandscharo“ ist das poetisch-heitere Gegenstück zu allen pathetischen Abenteuer-Bergromanen. Es ist das richtige Buch für jede*n, der*die Interesse an Afrika und an unserem Blick auf Afrika hat. Und für Stadler-Leser*innen ist es sowieso wie Nachhausekommen.

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Alexander Wasner